Die Zitatsonderregelung

„Die freie Benutzung eines (urheberrechtlich geschützten) Werkes ist zulässig, um ein neues selbstständiges Werk hervorzubringen. Das neue Werk muss aber selbst alle Voraussetzungen eines geistigen Werkes aufweisen und die schöpferische Leistung des benutzten Werks zu einem gewissen Maße verdrängen.“ (§ 63 UrhG)

„Die freie Benutzung eines (urheberrechtlich geschützten) Werkes ist zulässig, um ein neues selbstständiges Werk hervorzubringen. Das neue Werk muss aber selbst alle Voraussetzungen eines geistigen Werkes aufweisen und die schöpferische Leistung des benutzten Werks zu einem gewissen Maße verdrängen.“ (§ 63 UrhG)

Schon krank gewesen heuer? Diese Tage mal fiebrig medizinische Foren durchstöbert, hin und her überlegt, sich und/oder die Kinder impfen zu lassen oder doch homöopathisch zu kurieren? Seit neuestem gibt es ein Angebot mehr: natürliche und bewährte traditionelle afrikanische Medizin. Letztere ist gerade auf dem Weg – dank der Konjunktur verschiedener Zwei- und VierfüßlerInneninfluenzas – ein richtiger Hype zu werden. Auf zurückhaltend ausbalanciert gestalteten Verpackungen, in Sand- und Erdtönen gehalten – die trotzdem wissen, weiß zu bleiben –, wird variantenreich ein neu-antiquiertes Image des unergründlichen Kontinents beschworen: über dem Horizont hängende Sonnenuntergänge, dunkel gehaltene Silhouetten von Savannen und Bäumen samt friedlichen, anscheinend in ein Gespräch vertieften archaischen Kriegern. Unscharf in den Fokus gerückte Berge strahlen Power aus, und einmal dürfen auch AfrikanerInnen strahlend und weise ausschauen, sie müssen nur dazu bereit sein, sich für das Fotoshooting in ein traditionelles Gewand inklusive Federschmuck zu zwängen. Wenn auch die Komposition oft in Umrissen gehalten wird, die Botschaft – kraftvolle peace- and quiet-Variation für weiße MittelstandsbürgerInnen – kommt klar und deutlich rüber: der Stoff, der Sie schützt! Der Stoff, wohl gemerkt, nicht die Pflanze.

Eine solch kleine, apothekenpflichtige Verschnaufpause von extrem gehässigen, rassistischen Darstellungen im Alltag verdanken wir nun aber wem? Einzig und allein dem ® Zeichen. Ihm ist es zu verdanken, dass die im Beipackzettel angeführte traditionelle afrikanische Medizin nicht des Aberglaubens bezichtigt, als Humbug oder Scharlatanerie abgetan, dass sie feinsäuberlich auf ihre Renditen hin untersucht, in ihrer Wirkung erforscht und durch modernste Technologie zu teuren Arzneien und Nahrungsergänzungsmitteln weiterentwickelt wird. Diese sind nur bedauerlicherweise zu teuer, um in den Ländern, die dieses Wissen entwickelt und bewahrt haben, auch nur ansatzweise leistbar zu sein ... Aber das ist freilich immer ein anderes Thema, und darüber hinaus muss dem globalen Süden die Chance gegeben werden, sich an unternehmerischen Strukturen zu beteiligen. Wie genau diese Chance aussieht, lassen Beschreibungen wie „die einheimischen Arbeiterfamilien wohnen auf den Plantagen und werden so in das Farmkonzept eingebunden“ eher offen. Zu guter Letzt und um anscheinend einen bewussten Umgang mit Ressourcen zu bewirken, werden solche Stoffe samt Pflanzen exportiert – bis zu ihrer Ausrottung, falls die unsichtbare Hand etwas zu eifrig war. Aber nur kein Sorge – in den botanischen Gärten und Labors des globalen Nordens werden sie unter absolut hygienischen Bedingungen wieder neu gezüchtet und natürlich patentiert. Auch das verdanken wir dem ® Zeichen. Besonderheiten, Merkmale und Auswirkungen dieser hochtechnologischen Produkte können ab da in Fachjournalen, die durch das © Zeichen ihr fachkundiges Publikum finden, nachgelesen werden ... Produkte wohl gemerkt, nicht Pflanzen.

Alles gut und schön, mögen Sie nun sagen, nur was hat das alles bitte mit Zitaten zu tun? Gar nichts, würde ich meinen. Nur eines vielleicht: Wer Produktionsmittel besitzt, die es möglich machen, das Verhältnis zwischen (Gemeinschafts)SchöpferInnen und (Gemeinschafts)Werken zu zerstören, es neu zu definieren und daraus (Privat)Profit zu schlagen, hat oft auch die Definitionsmacht, mitzubestimmen, was als Zitat, als Plagiat, als Weiterentwicklung oder aber als Humbug gelten soll.

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Smiers, Jost/van Schijndel, Marieke: No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift Berlin: Alexander Verlag 2011
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