Ausgesessen

Als ab Herbst 2012 die Forderung nach einem Arbeitsmarktzugang durch die Flüchtlings-Proteste erneut zur Diskussion stand, schienen die Tage besagten Erlasses jedoch endgültig gezählt: Ein positives Medienecho und hohe Zustimmungswerte bei Meinungsumfragen öffneten für einen historischen Moment, den – so schien es – selbst die SPÖ nicht ungenutzt verstreichen lassen konnte, ein Möglichkeitsfenster.

Anfang der 1960er-Jahre wurde in der US-amerikanischen Politikwissenschaft das Phänomen der nondecision diskutiert: Wie gelingt es politischen Akteur_innen, so wurde gefragt, im Hinblick auf bestimmte Themen solcherart auf relevante Kontextfaktoren einzuwirken, dass diese erst gar nicht zum Gegenstand von Entscheidungsprozessen werden. Ein bezeichnendes Beispiel für eine solche Nichtentscheidung ist das Verhalten der SPÖ im Zusammenhang mit der Frage des Arbeitsmarktzugangs für Asylwerber_innen, der 2004 durch einen Erlass des damaligen Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, Martin Bartenstein (ÖVP), auf Saisonarbeit beschränkt und damit de facto versperrt wurde: Obschon NGOs das Thema wiederholt auf die politische Agenda gesetzt haben, drückt sich die SPÖ hartnäckig vor einer Reform dieses Relikts aus schwarz-blauen Zeiten.

Als ab Herbst 2012 die Forderung nach einem Arbeitsmarktzugang durch die Flüchtlings-Proteste erneut zur Diskussion stand, schienen die Tage besagten Erlasses jedoch endgültig gezählt: Ein positives Medienecho und hohe Zustimmungswerte bei Meinungsumfragen öffneten für einen historischen Moment, den – so schien es – selbst die SPÖ nicht ungenutzt verstreichen lassen konnte, ein Möglichkeitsfenster. Und tatsächlich: Nachdem im Jänner 2013 der SPÖ-Parlamentsklub eindeutig Position Pro-Arbeitsmarktzugang bezog, kam es zur Einsetzung einer parteiinternen Arbeitsgruppe, welche die längst überfällige Reform auf den Weg bringen sollte. Doch einmal mehr kam es anders. Die kurzzeitig drohende Legitimationskrise wurde ausgesessen und anstelle eines „großen Wurfs“ präsentierte Hundstorfer Mitte März ein allenfalls „kosmetisches Würfchen“. Per Erlass dehnte er die Altersgrenze für den Zugang zur Lehre aus.

Was vermag nun diese nondecision zu erklären? Klar, in der Logik des Stimmen-Maximierens gedacht, gibt’s hier nicht viel zu holen; zu verlieren allerdings – wie die erwähnten Umfragewerte zeigen – ebenso wenig. Auch die Suche nach Vetospieler_innen liefert insofern nicht die erhofften Ergebnisse, als die „traditionellen Blockierer_innen“ in diesem Feld, also ÖGB und AK, sich nicht bloß weitgehend an den beim Bad Ischler Dialog 2011 sozialpartnerschaftlich akkordierten Vorschlag hielten. Mit GPA-djp und PRO-GE taten sich die beiden mächtigsten Teilgewerkschaften sogar durch eine erfreulich klare Positionierung hervor. Die ausgesessene Entscheidung bleibt also auch vor diesem Hintergrund rätselhaft.

Möglicherweise zeichnet ja aber schlicht ein Faktor dafür verantwortlich, der den Mechanismen repräsentativ-demokratischer Willensbildung entzogen und für externe Beobachter_innen deshalb kaum zu fassen ist. Ein autokratisch waltender Bundesminister etwa? Oder ein Eliten-Netzwerk in der Ministerialbürokratie, das seine Machtfülle unter Beweis zu stellen beabsichtigt? Falls es allerdings tatsächlich die von Sonja Ablinger in nebenstehendem Interview erwähnte Angst sein sollte, dass durch den Arbeitsmarktzugang „das Kollektivvertragssystem unterlaufen und Lohndumping befördert“ werden könnte, sei die SPÖ an eine Lehre aus der Geschichte der Arbeiter_innenbewegung erinnert: Der Königsweg zur Stärkung von Arbeitnehmer_inneninteressen besteht in einer Verteidigung der Rechte aller Lohnabhängigen – und nicht im vermeintlichen Schutz der einen auf Kosten der anderen. Denn dass die Abdrängung von Asylwerber_innen in die sogenannte „Schattenwirtschaft“ das Unterlaufen kollektivvertraglicher sowie arbeits- und sozialrechtlicher Standards nicht etwa verhindert, sondern im Gegenteil sogar forciert, ist bekannt.

Ähnliche Artikel

Welche Vorstellungen die Parteien von Kunst- und Kulturpolitik haben, lässt sich in den Wahlprogrammen deutlich ablesen. Dabei manifestieren sich große Unterschiede in den politischen Lagern in der Ausrichtung ihrer Kulturpolitik. Eine Analyse der Kernpunkte der Parteien zu Kunst und Kultur für die Nationalratswahl 2024.
Am vergangenen Donnerstag lud der Kulturrat Österreich anlässlich der bevorstehenden Nationalratswahl zu einem Podiumsgespräch über die zu erwartende Kunst- und Kulturpolitik ins Wiener Depot. Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), Eva Blimlinger (Grüne), Josef Schellhorn (Neos), Nikolaus Kohlberger (KPÖ) und Sabine Aigner (Keine) (gereiht nach den Wahlergebnissen 2019*) stellten ihre kulturpolitischen Perspektiven vor und präsentierten ihre Antworten auf offene Baustellen in Kunst, Kultur und Freien Medien. Was ist von welcher Partei zu erwarten - Ein Rückblick auf die Diskussion „Kulturpolitik zur Wahl“.
SPÖ, die Grünen, NEOS, KPÖ, Keine / Wandel und die Bierpartei unterzeichnen eine von der ARGE Kulturelle Vielfalt initiierte Erklärung und bekennen sich zu den Grundsätzen der UNESCO-Konvention „Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“.