"Aus Platzgründen untersagt..." Gegen die Aushöhlung der bürgerlichen Freiheiten

Nach dem österreichischen Versammlungsgesetz – wie viele andere Grundrechte auch in langwierigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erkämpft – ist eine staatliche Genehmigung für die Durchführung einer Versammlung nicht erforderlich. In §2 Versammlungsgesetz findet sich lediglich eine „Anzeigepflicht“, was bedeutet, dass der/die Veranstaltende die Abhaltung einer politischen Kundgebung oder Demonstration, welche nicht gegen bestehende Strafgesetze verstößt, 24 Stunden vorher bei der zuständigen Sicherheitsbehörde bekannt geben muss.

Die Theorie …

„Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen (…). Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen (…)“, so Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), welcher die Versammlungsfreiheit normiert. Die EMRK sowie das österreichische Versammlungsgesetz aus dem Jahre 1953, das sich auf Artikel 12 Staatsgrundgesetz (StGG) stützt, stehen in Österreich – wie sämtliche anderen Grundrechte übrigens auch – in Verfassungsrang, das heißt, dass sie höherrangig sind als andere Gesetze wie z. B. die Straßenverkehrsordnung. Diese subjektiven Rechte sind verfassungsgesetzlich gewährleistet, d. h., dass jede einzelne ein Recht auf ihre Durchsetzung hat.
Nach dem österreichischen Versammlungsgesetz – wie viele andere Grundrechte auch in langwierigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erkämpft – ist eine staatliche Genehmigung für die Durchführung einer Versammlung nicht erforderlich. In §2 Versammlungsgesetz findet sich lediglich eine „Anzeigepflicht“, was bedeutet, dass der/die Veranstaltende die Abhaltung einer politischen Kundgebung oder Demonstration, welche nicht gegen bestehende Strafgesetze verstößt, 24 Stunden vorher bei der zuständigen Sicherheitsbehörde bekannt geben muss. Tut er/sie das nicht, heißt das noch nicht, dass die Versammlung „illegal“ ist, die bloße Teilnahme daran ist also nicht strafbar (Stichwort Spontandemo). Allerdings droht den AufruferInnen zu einer solchen unangemeldeten Versammlung eine Verwaltungsstrafe bis zur Höhe von 750 Euro.

… und die Praxis

Als Mitte Oktober die Initiative Ehe ohne Grenzen eine Kundgebung gegen das derzeit in Kraft befindliche Fremdenrecht unter dem Motto „72 Stunden für die Freye Liebe“ fristgerecht unter Einhaltung sämtlicher Formalitäten bei der zuständigen Behörde anzeigte, staunte mensch nicht schlecht, als die Bundespolizeidirektion die Anzeige zurückwies. Als Begründung wurde insbesondere angeführt, dass die Versammlung keine sei, die nach dem Versammlungsgesetz zu qualifizieren sei, sondern „offenkundig“ eine Veranstaltung (wie z. B. Verkaufstände), für welche das Magistrat zuständig ist. Als „Beweis“ für diese behördlich wahrgenommene „Offenkundigkeit“ wurde auf die Dauer der Kundgebung – nämlich durchgehende 72 Stunden – hingewiesen, welche nach Meinung des Verfassungsgerichtshofs (VfGh) aus dem Jahre 1985 dafür stehe, dass eben besagte Versammlung keine sei.
Wann eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz zu qualifizieren ist, regelt das Gesetz selbst nicht – die Rechtsmeinungen und judiziellen Entscheidungen hingegen sind zahlreich. Laut VfGh ist eine Versammlung „eine Zusammenkunft mehrerer Menschen, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation …) zu bringen, so dass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. (…); keine Versammlung ist das bloße zufällige Zusammentreffen von Menschen.“ Ein Informationstisch auf der Mariahilfer Straße mit fünf Menschen, die Flugblätter an die PassantInnen verteilen, fällt also theoretisch nicht in die Versammlungsdefinition und wäre streng genommen daher nach der Straßenverkehrsordnung anzumelden. Kommt es aber „zu einem gemeinsamen Wirken der Teilnehmenden“ (Parolen, Diskussionen, Straßentheater …) ist der Versammlungscharakter schnell gegeben. Genauso wenig, wie eine festgeschriebene Minimal- oder Maximaldauer einer Versammlung existiert, lässt sich mit der Zahl der Teilnehmenden das Vorliegen einer Versammlung feststellen – zwar gibt es höchstgerichtliche Entscheidungen, in denen die Teilnahme von vier Personen als Indiz gegen den Versammlungscharakter festgeschrieben wird, allein deswegen aber eine Kundgebung nicht als Versammlung zu qualifizieren, ist mit Sicherheit verfehlt. Im Übrigen ist die EMRK in Österreich unmittelbar anwendbar, bei Widersprüchlichkeiten zwischen EMRK und österreichischem Recht gilt das Günstigkeitsprinzip – so ist z. B. die EMRK in der Auslegung des „Versammlungscharakters“ großzügiger, ein Infotisch fällt jedenfalls unter Artikel 11 EMRK.

Der Polizeistandpunkt: „Kürbisfest“ wichtiger als demokratische Grundrechte

In obigen Fall zeigte die IG Bildende Kunst nach der ersten Zurückweisung erneut eine Kundgebung der gleichen Länge und unter dem selben Motto an, welche ebenfalls ähnlich begründet zurückgewiesen wurde – zusätzlich enthielt der zweite Bescheid noch den Hinweis auf das zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfindende „Kürbisfest“, weswegen „aus Platzgründen“ eine Versammlung nicht möglich sei. Rein juristisch betrachtet sind beide Zurückweisungen der Kundgebungsanzeigen durch die Bundespolizeidirektion spannende und höchst brisante Rechtsmaterie: Kaum eine Behörde macht sich seitenlang die Mühe, mittels Verfassungsgerichtshofentscheidungen ihre Bescheide zu untermauern. Doch im zweiten Bescheid passierte der Schnitzer: Zu einfach ist immer noch der Verweis auf bereits Wochen vorher als Veranstaltung beim Magistrat oder beim Gemeindeamt angemeldete Sicherheitsfeste, Punschhütten oder kommerzielle Straßenmärkte. Dadurch das Versammlungsgesetz zu umgehen, wird auf Behördenseite oft genug probiert, was verfassungsrechtlich auf sehr wackeligen Beinen steht, haben doch sämtliche Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz Vorrang. Steter Tropfen höhlt den Stein: „Vater Staat“ versucht seit längerem eine Aushöhlung des Grundrechts Versammlungsfreiheit – hier heißt es wachsam sein.

Weil politischer Aktivismus eng verknüpft ist mit Aktionsformen wie Kundgebungen oder Demos, hat die Solidaritätsgruppe eine Broschüre zum Versammlungsgesetz mit einigen wichtigen VfGh-Entscheidungen zusammengestellt. Für weitere Rechtsfragen aller Art steht die Solidaritätsgruppe gerne zur Verfügung.

Solidaritätsgruppe
Kontaktmöglichkeit: Solidaritätsgruppe, Schottengasse 3A/1/4/59, 1010 Wien, Tel.: 0699/112 25 867, Fax: 01/532 74 16, E-Mail: @email; offener Beratungstermin jeden ersten Donnerstag im Monat ab 18 Uhr in der Bürogemeinschaft Schottengasse, 1010 Wien, Schottengasse 3A/1. Stiege/4. Stock/Tür 59

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