Die Überwindung der Enlargement Fatigue. Bulgarien und Rumänien werden nun doch "Europa"!

„Europa“ wächst zusammen, zumindest langsam. Die Menschen, die noch vor einigen Jahren darbend ihr Dasein in „stalinistischen Terrorregimen“ fristeten, haben nun endlich ein Leben im „prosperierenden Gebiet liberaler Demokratie“ errungen. Doch ist „Europa“ bzw. die Europäische Union wirklich dieses zivilgesellschaftliche Friedensprojekt, welches den Menschen in Bulgarien und Rumänien einen höheren Lebensstandard ermöglichen wird, oder verbergen sich auch andere Interessen hinter dem Eintritt in die Galaxie der glänzenden europäischen Sterne?

„Europa“ wächst zusammen, zumindest langsam. Die Menschen, die noch vor einigen Jahren darbend ihr Dasein in „stalinistischen Terrorregimen“ fristeten, haben nun endlich ein Leben im „prosperierenden Gebiet liberaler Demokratie“ errungen. Doch ist „Europa“ bzw. die Europäische Union wirklich dieses zivilgesellschaftliche Friedensprojekt, welches den Menschen in Bulgarien und Rumänien einen höheren Lebensstandard ermöglichen wird, oder verbergen sich auch andere Interessen hinter dem Eintritt in die Galaxie der glänzenden europäischen Sterne?

Zusammenführen, was zusammengehört?

Während die westeuropäische Integration voranschritt, sah sich Osteuropa wieder einmal ante portas und die politische Elite der „nun demokratisierten Länder des ehemaligen Ostblocks“ wieder in Gefahr, sich erneut nicht als integraler Bestandteil „Europas“ durchsetzen zu können. „Europa“ wurde zur Utopie der globalen kapitalistischen Demokratie empor gehoben, als Notwendigkeit zur Überbrückung der „Banalität des Normalen“ (vgl. Zizek 2005: 198) und als Endpunkt des Transformationsprozesses vom Staatssozialismus zur freien Marktwirtschaft – der totalen Freiheit.

Die neu ausgerichtete politische Elite drängte zwar in Richtung „Westen und Wohlstand“ und produzierte sich als „neoliberaler Musterknabe“, wurde aber dennoch von den euroatlantischen Wirtschafts- und Militärbündnissen zunächst weitgehend ignoriert. Die gesamtgesellschaftlichen politischen Entwicklungen sowie die gesellschaftlichen Transformationsdynamiken dieser Länder entwickelten sich zu sehr im Widerspruch mit den so genannten europäischen Idealen, um von „Europa“ mit offenen Händen aufgenommen zu werden.

Integrationsprozesse beyond the surface

Der europäische Kontinent blieb also vorerst weiterhin dichotomisch, wie in der Zeit des Kalten Kriegs, nur dass es die divergierenden Ideologien nicht mehr gab. Während der 1990er Jahre begann innerhalb der EU immerhin die Diskussion darüber, ob denn Osteuropa bzw. Südosteuropa nicht auch ein integraler Teil Europas wären. Denn die Stigmatisierung als Krisenregion, in der keine demokratische Kultur herrsche, würde nicht nur das Konfliktpotential weiter anheizen, sondern gleichzeitig auf „Europa“ selbst destabilisierend wirken (vgl. Hatschikjan 1999: 27).

„Europa“ musste also die gesamte Region nach „europäischem“ Vorbild neu konstituieren. Unter dem Deckmantel eines europäischen Kosmopolitismus und einer geeinten europäischen Kultur wurde, auf der Basis von Macht und Kapitalinteressen, politischer, ökonomischer und ideologischer Interventionismus betrieben. Der Argumentation, welche die EU-Ostexpansion als „Wiederherstellung der europäischen Einheit“ deklarierte, konnte die These entgegengesetzt werden, dass die Erweiterung nichts anderes als die Rückkehr „peripherisierter Regionen unter die ökonomische Dominanz westeuropäischen Kapitals“ (Hofbauer 2003, S 7) darstelle. Nach der vierten Erweiterungsrunde (welche ohne Rumänien und Bulgarien verlief, da sie die Anforderungen des acquis communautaire nicht erfüllten) schien sich der europäische Integrationsprozess jedoch dem Ende zu nähern – vor allem nach den negativ ausgefallenen Referenden zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden.

Die großen Grundfreiheiten

Während Bulgarien und Rumänien schon zittern mussten, gar nicht mehr die Galaxie der glänzenden europäischen Sterne erreichen zu können, entschied sich die EU-Kommission Ende September trotz aller Bedenken und Schwierigkeiten, die beiden Länder ab 1. Jänner 2007 aufzunehmen. Da jedoch die „Defizite“ der neu beitretenden Länder besonders in den Bereichen der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption sowie des Justizwesens beträchtlich sind, ist der jüngste Beitritt Rumäniens und Bulgariens nicht ohne Rückkopplung an rigorose Überwachungsmechanismen genehmigt worden. Ihre primäre Funktion stellt eine Disziplinierung des politisch-ökonomischen Rahmens dar, welcher im Einklang mit den EU-Staaten und den wirtschaftlichen Einflussgruppen stehen muss: Die Bevölkerung wird nicht die Möglichkeit haben sich auf dem „freien europäischen Arbeitsmarkt“ bewegen zu können, es wird ein Exportverbot für Agrarprodukte auf den EU-Markt verhängt und die Billig-Fluglinien werden auf die „schwarze Liste“ gesetzt, d.h. mit einem Start- und Landeverbot auf europäischen Flughäfen belegt etc.

Mit Durchsetzung der Hegemonie des Neoliberalismus ist deutlich geworden, dass der weitere europäische Integrationsprozess keinesfalls sein Hauptziel darin sieht, den „neu gewonnenen“ BürgerInnen die versprochene soziale Sicherheit zu ermöglichen, sondern vielmehr den ost- und südosteuropäischen Raum als Manövrierfeld für radikale Formen neoliberaler Deregulierung und Flexibilisierung zu nutzen. Den Erwartungen der Bevölkerung genau entgegengesetzt, erwartet sie ein noch massiverer Einsatz neoliberaler Wirtschaftspraktiken sowie eine Weiterführung ihres von Unsicherheit bestimmten alltäglichen Überlebenskampfes.

Die Menschen werden sehr bald merken, dass sich die Ankunft in der Galaxie der glänzenden europäischen Sterne auch als Reise in ein schwarzes Loch herausstellen kann.

Literatur

Hatschikjan, M. (1999): „Was macht Europa aus?“. In: Dies. / S. Troebst (Hg.): Südosteuropa. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. Ein Handbuch. München, S. 1-27

Hofbauer H. (2003): EU-Osterweiterung. Vom Drang nach Osten zur peripheren EU-Integration. Wien

Zizek, S. (2005): Die politische Suspension des Ethischen. Frankfurt/Main

Dario Brentin studiert Politikwissenschaft und Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien.

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