Aufbruch im Umbruch!
In Wirklichkeit ist Österreich nicht der erste Schauplatz radikaler Studierendenproteste in jüngster Vergangenheit. Von Frankreichs Bewegung gegen das CPE über Italiens anormale Welle („Onda anomala“) 2008 bis zum deutschen Bildungsstreik 2009 und den Hochschulbesetzungen in Griechenland und Kroatien lehnen sich Studierende in ganz Europa gegen die Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen auf.
„Österreich war in der Umsetzung der Bologna-Ziele zum Aufbau eines europäischen Hochschulraums von Anfang an eines der pro-aktiven Länder und hat mit dem Universitätsgesetz 2002 ein oft verwendetes Beispiel guter Praxis geschaffen.“ Diese Worte sind auf der Homepage des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung zu lesen, welches für März 2010 die MinisterInnen der Länder, die am Bologna-Prozess beteiligt sind, zur Feier anlässlich von dessen zehnjährigem Jubiläum in die Hofburg einlädt. Wenige Monate nach der Veröffentlichung dieser Einladung sind im „good-practice“-Land Österreich die Universitäten von Studierenden besetzt. Wie hängen diese beiden Ereignisse zusammen?
Der Unibrennt-„Flächenbrand“
In Wirklichkeit ist Österreich nicht der erste Schauplatz radikaler Studierendenproteste in jüngster Vergangenheit. Von Frankreichs Bewegung gegen das CPE über Italiens anormale Welle („Onda anomala“) 2008 bis zum deutschen Bildungsstreik 2009 und den Hochschulbesetzungen in Griechenland und Kroatien lehnen sich Studierende in ganz Europa gegen die Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen auf.
Die Existenz massiver Proteste innerhalb der Universitäten ist nicht ohne jene Umstrukturierungen zu erklären, die in den letzten Jahren die Hochschulen ganz Europas erfasst haben. Diese Umstrukturierungen stellen den traditionellen Selbstanspruch als „unabhängigen“ und von ökonomischen Zwängen „freien“ Ort der Wissensbildung infrage und haben dramatische Auswirkungen auf die Studien- und Lebensbedingungen von uns Studierenden. Im Kern geht es hierbei um die Umfunktionalisierung des Hochschulsystems, welches an die Anforderungen des europäischen Wirtschaftsraumes im Kontext internationaler Konkurrenz angepasst werden muss. Als Hebel für diese Transformation dient die systematische Unterfinanzierung des Hochschulbereichs, die die Universitäten und sogar Studierende selbst in Konkurrenz um die unzureichenden Mittel stellt und die alle möglichen Instrumente wie Studiengebühren, Zugangsbeschränkungen und verschiedene Sanktionsmechanismen notwendig erscheinen lässt, um Studierende in „effizient“ gestaltete und vorgegebene Ausbildungswege zu drängen und innerhalb dieser zu selektieren. Es geht also einerseits um Entmündigung der Studierenden in Bezug auf die Gestaltung ihres Studiums, aber auch in Bezug auf Mitbestimmung im Universitätsbetrieb. Es geht um Selektion und die Unsicherheit, (weiter)studieren zu dürfen, einen Platz in der Lehrveranstaltung zu bekommen und einen Abschluss zu erringen. Inwiefern dies explizit in den Bologna-Kommuniqués vorgesehen wird, ist nebensächlich. Es ist die Politik ihrer Akteure, der nationalen Regierungen und der Europäischen Union. Es ist das, was in Österreich durch Universitätsgesetze durchgesetzt wird, welche als „gute Praxis“ gelten.
Die StudentInnen rebellieren, der Vergleich mit 1968 liegt nahe
Von außen wird oftmals mit Verweis auf die Forderungen der Bewegung kritisiert, dass die Studierenden von heute nur aus eigennützigen Gründen protestieren. Während es vor 40 Jahren noch um die Veränderung der gesamten Gesellschaft, ihre Demokratisierung und Revolutionierung ging. Doch ist es überhaupt möglich, auf die Forderungen der StudentInnenbewegung einzugehen ohne radikale Gesellschaftsveränderungen? Ist es für die Regierenden möglich, die „Klasse“ der Studierenden dauerhaft zufrieden zu stellen, in das „System“ zu integrieren, ohne zentrale Grundpfeiler der aktuellen Politik oder gar des bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Systems zu unterminieren? An dieser Fragestellung misst sich für Linke wohl, wie „fortschrittlich“ oder gar potenziell „revolutionär“ die StudentInnenbewegung an sich ist, etwa im Vergleich zur klassischen Definition der „ArbeiterInnenklasse“ als einziges revolutionäres Subjekt. Wir wollen diese Fragestellung zunächst aber im Sinne der Bewegung umformulieren: Wie „radikal“ müssen wir sein, was müssen wir tun, damit sich etwas ändert, und zwar im Sinne unserer Forderungen nach einem freien, demokratischen und selbstbestimmten Studium für alle ohne jegliche Diskriminierung oder soziale Selektion? Es braucht eine universitäre Linke, die darauf Antworten geben kann und innerhalb der Bewegung den Diskurs zur inhaltlichen Ausrichtung und zu Strategien anregt und weiterzuentwickeln versucht.
Objektiven Voraussetzungen dieser Bewegung
Ein Merkmal der aktuellen StudentInnenbewegung in Österreich ist die breite Welle der Solidarisierungen, die uns von Anfang an zukam, auch über das akademische Umfeld hinaus. Linke und globalisierungskritische Zusammenhänge, Gewerkschaftsbund und parlamentarische Parteien, PensionistInnen und verschiedene „zivilgesellschaftliche“ Organisationen unterstützen, zumindest in Worten, eine radikale Aktion wie die Besetzung der größten Hörsäle des Landes und die damit einhergehende Störung des Universitätsbetriebs. Persönlichkeiten aus Politik und Kunst besuchen das Audimax. Was in vergangenen Studierendenprotesten stets bloß ein Desideratum blieb, nämlich die breite Anerkennung der eigenen Forderungen, die Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen und eine hohe öffentliche Resonanz, breitete sich dieses Mal wie ein Lauffeuer aus. Dies ließe sich nur schlecht erklären, wenn mensch davon ausginge, dass es bei diesen Protesten um nichts anderes ginge als um die Studierenden und eventuell um die Hochschulen selbst. Unserer Meinung nach ist die breite Resonanz der Bewegung vor allem im Kontext eines allgemeinen Unmuts über die Regierungspolitik und die scheinbaren Zwänge der Wirtschaftskrise zu sehen, wie sie schon in der Demo Wir zahlen nicht für eure Krise des vergangenen 28. März zum Ausdruck kam. Vor nicht allzu langem konnte die österreichische Regierung in kürzester Zeit 100 Milliarden Euro zur Rettung des Bankensystems auftreiben, während es scheinbar nicht möglich ist, Kindergärten, Krankenkassen, Schulen, Universitäten oder Pensionen ausreichend zu finanzieren. Große Teile der Gesellschaft, welche selbst in den vergangenen Jahren des Aufschwungs nicht wirklich davon profitieren konnten, werden jetzt direkt von einer Wirtschaftskrise bedroht. Dies zeigen auch die zähen Verhandlungen zwischen DruckerInnen oder MetallerInnen und den ArbeitgeberInnenverbänden. Die Verteilungsproblematik ist nach wie vor akut. Dass eine „Ansteckungsgefahr“ hier von einer radikalen, selbstorganisierten und eventuell erfolgreichen Bewegung ausgehen könnte, ahnt Minister Hahn vielleicht, wenn er unseren Herrn Bundespräsidenten informiert, dass von ihr ein „gewisses Gefahrenpotenzial“ (Presse 2009) ausgehen könnte.
Eine Linke, welche die Konflikte an den Universitäten in eine umfassendere Analyse der Widersprüche unserer Gesellschaft einbettet, kann dazu beitragen, dass sich verschiedene Kräfte auf Grundlage einer gemeinsamen Kritik verbünden und gemeinsam gesellschaftliche Kräfteverhältnisse verschieben, anstatt sich von der herrschenden Politik gegeneinander ausspielen zu lassen. Der gemeinsame Aktionstag für freie Bildung, vom Kindergarten bis zur Uni am 5. November oder die Versuche einer Vernetzung mit dem Kampf der MetallerInnen zeugen von dieser politischen Grundausrichtung.
Zur strategischen Ausrichtung der Bewegung
Eine „gewisse Gefahr“ für die Regierungspolitik könnte aber vor allem eine Radikalisierung der StudentInnenbewegung selbst sein. Dafür hat die Solidarisierungswelle günstige Voraussetzungen geschaffen: Unser Protest und unsere Forderungen sind angesichts der Regierungspolitik innerhalb sowie außerhalb der Universitäten für viele nachvollziehbar. Es besteht daher nach wie vor die Chance, dass Massenaktionen – wie es ja auch die Besetzung des Audimax ist –, welche die Öffentlichkeit mit den Argumenten der StudentInnenbewegung konfrontieren und gleichzeitig eine Störung der „normalen“ gesellschaftlichen Abläufe darstellen, den Druck auf die Regierenden erhöhen und sie zu Zugeständnissen zwingen. „Streik“ sowie Aktionen „zivilen Ungehorsames“ sind Stichwörter, zu denen Diskussionen im Gange sind. Auch die Initiierung von Institutsvollversammlungen war ein erfolgreicher Schritt zur Verbreiterung des Protestes und zur Ausweitung der Debatten über die besetzten Hörsäle hinaus. Eine Linke, welche auf Grund ihrer allgemeinen Ausrichtung auf soziale Bewegungen frühere sowie internationale Erfahrungen von StudentInnenprotesten reflektieren kann und das „historische Bewusstsein der StudentInnenbewegungen“ zu schärfen vermag, ist ein wichtiger Faktor für die Überwindung des scheinbaren Gegensatzes von Masse und Radikalität.
Politische Fragen beantworten
Eine Linke ist dann „nützlich“, wenn sie zum Erfolg selbstorganisierter Bewegungen beitragen kann; nicht nur durch strategische Debatten, sondern auch über die positive Auseinandersetzung mit politischen Fragen. Im Fall der StudentInnenbewegung möchten wir das an zwei zentralen Debatten verdeutlichen. Zum einen an der zum Bildungsbegriff: Was ist die Bildung, die wir wollen? Welche Bildung ist im Rahmen dieser Gesellschaft möglich? Dass diese Frage mitsamt ihren Widersprüchen ein wichtiges Anliegen der StudentInnen ist, kommt im viel verwendeten Motto „Bildung statt Ausbildung“ zum Ausdruck. Zum anderen sind auch die Auseinandersetzungen mit kritischen feministischen Inhalten und Forderungen innerhalb der Bewegung von großer Bedeutung, um ungleichen Geschlechterverhältnissen, tradierten Hierarchien und spezifischen Formen der Unterdrückung Alternativen entgegen zu stellen und um für die Befreiung und die Partizipation aller einzutreten.
Eine Linke über aktuelle Bewegungen hinaus
Schlussendlich stellt sich auch die Frage, wie es überhaupt zu Bewegungen kommt. In der Pressekonferenz, die anlässlich der Besetzungen auf der Akademie der bildenden Künste in Wien stattfand, hieß es etwa: „[Die Besetzungen] kommen nicht von ungefähr. Sie sind Teil und Ergebnis jahrelanger Arbeit von Studierenden, Lehrenden, Arbeitenden und vor allem von außerinstitutionellen und selbst organisierten Personen und Gruppen“. Es braucht also auch in Zeiten geringer Mobilisierung vernetzte Strukturen innerhalb der Unis, die sich aus linker Perspektive kontinuierlich mit Fragen der Bildung, Umstrukturierung der Hochschulen sowie Studien- und Lebensbedingungen von Studierenden auseinandersetzen. Wir brauchen „Organisation“ im Sinne von kollektiver Handlungsfähigkeit über begrenzte Räume und Zeitpunkte hinaus, auf der Basis von solidarischer und kollektiver Diskussion.
Literatur
Presse (2009)
Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Aufruf Bologna – Jubiläums-Minister/innen-Konferenz 2010
Die AG Uni/Bildung befasst sich im Rahmen des Aufbruch im Umbruch-Kongresses mit den Themen Universitäten und Gesellschaft, Bildung sowie StudentInnenbewegungen. Zur Zeit sind wir vorwiegend in verschiedenen AGs rund um die Audimax-Besetzung aktiv, darunter die „AG Bologna und Gipfel in Wien“, welche derzeit die Aktivitäten anlässlich des Wiener Bolognagipfels im März vorbereitet. Einen Kongress für linke Theorie- und Strategiedebatten sowie Vernetzung halten wir für eine wichtige Perspektive, auch im Sinne der Bewegung an den Unis.
Info zum Kongressprojekt: Freie Bildung
Kontakt zur AG Bologna: bologna.uniwien@unsereuni.at