Arbeitslosengeld und Arbeiten?

Der Beginn der Arbeit des Kulturrat Österreich am Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) war – wie in neoliberalen Zeiten fast schon normal – nicht einmal so sehr der Wunsch nach Verbesserungen, sondern das Abarbeiten an einer Gesetzesnovelle, die massive Verschlechterungen zum Status Quo zu bringen drohte.

Zwischenresümee nach vier Jahren intensiver Arbeit an Verbesserungen (durch den Kulturrat Österreich). 

Der Beginn der Arbeit des Kulturrat Österreich am Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) war – wie in neoliberalen Zeiten fast schon normal – nicht einmal so sehr der Wunsch nach Verbesserungen, sondern das Abarbeiten an einer Gesetzesnovelle, die massive Verschlechterungen zum Status quo zu bringen drohte. Zudem wurde, wie in allen repressiven Systemen (wie zum Beispiel der Arbeitskräfteverwaltung) üblich, mit der AlVG-Novelle 2007 (in Kraft seit 1.1.2008 bzw. 2009) versucht, vorangegangene bürokratische Verschlechterungen zu legalisieren. Parallel dazu implodierte mit dieser AlVG-Novelle ein jahrelanges Hintennach-Arbeiten am Status der (Teil-)Selbstständigen am AMS, insbesondere der KünstlerInnen, für die es jahrelang Sonderregelungen oder auch -vereinbarungen gab, die nach und nach weg bröckelten: Der Großteil der praktischen Regeln, sowohl bzgl. Zuverdienst zum Arbeitslosengeld (ALG), als auch der „Betreuung“ der KünstlerInnen im Rahmen des AMS war mit 1.1.2009 de facto gegenstandslos (ein Resultat nicht nur der AlVG-Novelle 2007, sondern auch des Neufassens diverser (insbesondere einer) Betreuungsrichtlinien am AMS). Und da ist noch nicht die Rede von der generellen Schlechterstellung der ArbeitslosengeldbezieherInnen. Für Personen mit sozialversicherungsrechtlich unterschiedlichen Tätigkeiten hat die Novelle in Bezug auf den Anspruch auf ALG neue Probleme geschaffen …

Beton, Beton, Beton

Der Ruf nach einer sozialen Besser- oder Gleichstellung von Neuen Selbstständigen (insbesondere Einpersonenunternehmen) mit Angestellten führte 2007 zur – mangels einer selbstorganisierten Interessenvertretung der Betroffenen zwischen WK (pro) und AK (contra) ausverhandelten – Einführung der freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige. Das Ergebnis: eine Option, die nicht nur kaum jemandem nutzt, sondern im Gegenteil fatale Rückwirkungen auf jene hat, die sowohl selbstständig, als auch unselbstständig tätig sind. Das zentrale Problem: Ignoranz. Neue Selbstständige sind immer die Anderen – auf der einen Seite Teil des Gegenstücks zu ArbeitnehmerInnen (AK), auf der anderen eine billige Form von ArbeitnehmerInnen (WK). Personen, die sich quer zu „vorgesehenen“ Arbeitsmodellen durchwurschteln, sind im besten Fall selber schuld (Wahrnehmung ist da schon besser als vollkommene Ignoranz). KünstlerInnen sind ein Problem, weil sie aufgrund ihrer Arbeitsmarktsituation prinzipiell quer zur vorgesehen Teilung in ChefInnen und Angestellte arbeiten ... Verbunden mit dem Wunsch, nicht noch mehr Leute in die Neue Selbstständigkeit zu drängen (respektive eine arbeitsrechtliche wie subventionstechnische Klärung in Richtung rechtssicherer Arbeitsverhältnisse mit sozialer Absicherung herbeizuführen), war dies eine denkbar schlechte Ausgangslage für das Neuaushandeln von zumindest Basic-Regeln für den Umgang des AMS mit selbstständigen Zuverdiensten. Ein Anfang war, wie so oft in vergleichbaren Fällen, die Bewusstmachung der strukturellen Faktoren – gegen die „Einzelfallisierung“.

Informationsarbeit

Wenn auch die Auseinandersetzung des Kulturrat Österreich mit einem theoretisch weit gespannten Bogen zur Neufassung des Begriffs „Arbeit“ begann (Symposium 2008 (1)), dominierte sehr schnell die praktische Auseinandersetzung mit Informationsflüssen und dem (mittlerweile durchaus erfolgreichen) Versuch, die beteiligten Institutionen (AMS, SVA, BMASK) zu einer Aushandlung zusammen zu bringen. Das Credo „Notwendig sind zuvorderst schnelle, aber kleine Krisenbereinigungsmaßnahmen, insgesamt jedoch jedenfalls eine grundlegende Systemänderung“ bestimmt nach wie vor die Handlung – und auch vier Jahre später liegt die Betonung noch auf dem ersten Punkt.

Resultierend aus unterschiedlichen politischen Handlungssträngen (zum Beispiel kulturpolitische Ansagen zur Verbesserung der sozialen Lage von KünstlerInnen, intensive Netzwerkarbeit) erschien Anfang 2010 schließlich die erste Ausgabe einer Infobroschüre zum Thema, herausgegeben vom Kulturrat Österreich. Der Infoteil ist vom BMASK auf Richtigkeit geprüft und basiert auf den Zuständigen mühsam abgerungenen Regeln zum Thema AMS und Zuverdienst. Diese Ergebnisse auch innerhalb des AMS zu verbreiten, war in der Folge eines der Ziele der Infotouren des Kulturrat Österreich. Zwei Ausgaben später (Nr. 3 erschien im Februar 2012) und im Anschluss an die zweite Serie von Infoveranstaltungen kann festgehalten werden: Wenn auch – nicht konsequent gestellte – einfache Testfragen an die Vortragenden aus dem AMS nicht immer schnell und kaum identisch beantwortet werden konnten, waren die grundlegenden Auskünfte zum Sachverhalt doch bereits überraschend kongruent mit den Grundsätzen der dargestellten und sozusagen mit „dem Dach“ ausgehandelten Regelungen. In der Praxis bleibt aber noch einiges zu tun, um so mehr, als der Status quo nicht so sehr tatsächlichen Verbesserungen entspricht, sondern mit dem Fokus verhandelt wurde, nachvollziehbare und planbare Antworten auf unterschiedliche Probleme zu bekommen.

Abseits dieser eng fokussierten Informationen ist gerade das „Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose“ (Hgin.: Aktive Arbeitslose) erschienen, das allen AMS-Betroffenen wärmstens ans Herz gelegt sei: Ein Beleg nicht nur für die Notwendigkeit der Selbstorganisation der Erwerbslosen, sondern auch für die Arbeit an einer zumindest menschenrechtskonformen Betreuung am AMS; sowie ein Signal an die Politik, Erwerbsloseninitiativen endlich ernst zu nehmen – sowohl finanziell als auch mitsprachetechnisch!

Einschub: Neue AlVG-Novellen

Auf politischer Ebene hat sich dagegen gar nichts getan: Alle Initiativen zur besseren Absicherung und Behandlung von Erwerbslosen am AMS liefen ins Leere. Im Gegenteil standen und stehen weit reichende Änderungen am Programm, die das AMS weiter in Richtung einer zentralen Schaltstelle sozialer Kontrolle führen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Der so genannte MigrantInnenindex (die Erfassung aller ArbeitslosengeldbezieherInnen nach StaatsbürgerInnenschafts-Geschichte bis in die Elterngeneration), die einzuführende Auflösungsabgabe (2) und insbesondere die geplante Überführung der InvaliditätspensionistInnen in die Betreuung durch das AMS versprechen, katastrophale soziale und individuell-ökonomische Folgen nach sich zu ziehen.

Ausblick: Nächste Baustellen

Nach der Einführung der Ruhendmeldung für selbstständige künstlerische Tätigkeiten (bzw. die daraus resultierende Pflichtversicherung) als kleines „Gesetzes-Plus“ muss es nun um eine Erweiterung dieses Instruments auf alle neuen selbstständigen Tätigkeiten gehen. Außerdem steht eine Lösung für die im AlVG als absurde Gleichung enthaltene Formulierung hinsichtlich des Zusammendenkens von Arbeitslosigkeit und Selbstständigkeit als Auszuhandelndes an: Um ALG zu beziehen, ist es gesetzlich notwendig, alles zu unternehmen, um eine Arbeit zu finden. Alle individuellen Anstrengungen, um selbstständig tätig Erwerbsmöglichkeiten zu finden, sind aber qua SVA-Logik selbstständige Tätigkeiten und widersprechen dem Status der Arbeitslosigkeit.

An dem Punkt ist leider auch zu konstatieren, dass die eigene Informationsarbeit zunächst über das Ziel hinausgeschossen ist: Aus einem weitgehenden Unverständnis gegenüber selbstständigen Logiken am AMS setzen sich immer mehr die Definitionen aus der SVA durch; mit dem Effekt, dass die Unterscheidung in vorübergehende (zeitlich abgrenzbare) und durchgehende (nachhaltige) Selbstständigkeit am AMS zusehends Richtung Letzterer verschoben wird. Insbesondere in den Bundesländern (außer in Wien) ist die Vernetzung zwischen SVA und AMS in fortschreitendem Ausmaß auch theoretisch eng, was zum Teil derbe – weil in der Regel nicht mit Korrekturmöglichkeiten verbundene – und rückwirkend greifende Geldforderungen nach sich zieht.

Notwendig wird hier die Etablierung eines eigenen Selbstständigkeits-Begriffs am AMS sowie eine rechtliche Absicherung der rollierenden Berechnung (ohne allmonatliche automatische Sperre) sein. Bislang laufen die Regeln nämlich für durchgehenden selbstständigen Zuverdienst im Wesentlichen ohne einklagbaren Hintergrund, was immer dann ein Problem ist, wenn ein Problem auftaucht.

Fußnoten

(1) State of the Art. Symposium und Materialien zu Arbeit in Kunst, Kultur und Medien, 2008

(2) Da im Jahr rund 1,5 Mio. Anträge auf Arbeitslosengeld gestellt werden, ist die Idee, für jedes Jobende Geld zu verlangen, „sparlogisch“, wenn auch offiziell und eingestandenerweise ohne politischen Lenkungseffekt.

Clemens Christl arbeitet für den Kulturrat Österreich.

Literatur

Informationen, Forderungen und Positionen zur Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 2007 (Herbst 2007)

State of the Art – Arbeit in Kunst, Kultur und Medien. Symposium und Materialien, 2008

Petition zur umgehenden Änderung der Bundesrichtlinie „Kernprozess Arbeitskräfte unterstützen“ des AMS und Berücksichtigung der Realitäten künstlerischer Arbeit in der ALVG Novelle (März 2009)

IMAG-Thema Arbeitslosenversicherung und Arbeitsrealität

Selbstständig | Unselbstständig | Erwerbslos. Infobroschüre für KünstlerInnen und andere prekär Tätige. 3. Ausgabe, Februar 2012

Aktive Arbeitslose (Hgin.): Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose. Wien, Dez 2011.
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