Wir fordern ein glückliches Leben!

Villa Roth Occupata und der Kampf um die (Wieder-)Aneignung der Häuser (nicht nur) in Bari.

Die Besetzung der Villa Roth in Bari, Hauptstadt der süditalienischen Region Apulien, entspringt den verschiedenen Bedürfnissen Einzelner, die entschieden haben, ihre Vorhaben zusammenzuschließen und sich zu nehmen, was sie brauchen. Am 26. November 2011 haben sich Prekäre, Studierende, Wohnungslose, Migrant*innen, Künstler*innen und Musiker*innen organisiert und von diesem Haus und Garten Besitz ergriffen, um ihre Ansprüche als neues Kollektivs zu erfüllen: das Bedürfnis nach einem eigenen Zuhause, in dem es möglich ist, würdig zu leben, ohne unleistbare Mieten zu bezahlen; die Notwendigkeit eines politischen Zentrums für die eigenen Plena und Initiativen sowie die Möglichkeit, sich zu organisieren, um bestehende politische Konflikte auszuweiten. Wir wollen einen Raum, um Theaterstücke zu produzieren, um Konzerte, Abendessen und Kurse zu veranstalten, in die wir unsere Kompetenzen einbringen können – einen Raum, um soziale Bedürfnisse zu befriedigen. Denn eine Besetzung ist Wohnen, Politik und sozialer Raum.

Die Villa Roth Occupata basiert auf der Praxis von Selbstverwaltung und Selbstorganisation. Alle Entscheidungen den sozialen Raum und politische Aktivitäten betreffend werden im Hausplenum getroffen. Jede*r ist eingeladen, teilzunehmen und Initiativen und Veranstaltungen vorzuschlagen und diese gemeinsam umzusetzenvorausgesetzt, dass sie eine antikapitalistische, antifaschistische, antirassistische und antisexistische Intention verfolgen. Denn jede unserer Initiativen ist Teil unserer politischen Praxis, und unsere politische Praxis zielt auf die Herstellung neuer Konflikte ab. Die Villa ist – im Gegensatz zu den Gesetzen der Großstadt – ein befreiter Raum. Sie ist ein für das Umfeld offener, zurückeroberter Raum und kann von allen gelebt werden. Dies macht in unserem politischen Kampf auch die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen unabhängig von Erwerbsarbeit notwendig. Jede*r muss in der Lage sein, würdig zu leben, unabhängig von der eigenen Ausbeutungssituation am Arbeitsplatz oder anderswo. Existenzsicherung ist für uns aber nicht nur Geld, sondern auch das Recht auf Wohnen, Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Räume und alles, was die Grundlage für ein glückliches Leben bildet.

Nicht bezahlen, besetzen!

Krise ist ein Wort, das ständig in den Erklärungen von Politiker*innen auftaucht, sich aber ohnehin längst in das Alltagsleben eingeschrieben hat – eine von den Finanzmärkten und der Verschuldung der Banken ausgelöste Krise, die die Regierungen den sozial Schwächsten aufgebürdet haben. Die bereits seit einem Jahrzehnt voranschreitende Verschlechterung der Lebensqualität ist nicht nur am Geld in der Lohntüte messbar (bei jenen, die überhaupt eine haben), sondern auch am fortschreitenden Abbau von Gesundheitsversorgung, Bildungswesen und Sozialstaat. Damit wird uns die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen oder auch nur auf die Erhaltung der in der Vergangenheit bekannten Lebensqualität der sogenannten „Mittelschicht“ geraubt. Die Finanzökonomie, mit Unterstützung der Regierung Monti und der Europäischen Union, hat die Bevölkerung in eine dauerhafte, dem Kapital unterworfene Krise gestürzt. Die Austeritäts-Maßnahmen der letzten Jahre haben eine weitere Prekarisierung von Lohnarbeit, die kollektive Verarmung und die systematische Schwächung des Sozialstaates ausgelöst und damit den Großteil der Bevölkerung getroffen.

Wiederholt haben wir die Notwendigkeit eines garantierten Grundeinkommens unabhängig von Erwerbsarbeit betont – nicht als reine Form der Sozialhilfe, sondern als dauerhafte Garantie für ein würdiges Leben und als Gegenangriff auf diese Krise. Gegenüber der totalen Gleichgültigkeit der Institutionen, die direkt proportional zum sozialen Notstand wächst, scheint es uns richtig und notwendig, uns jenes verweigerte Einkommen auf autonome Weise wieder anzueignen. Prekarität schränkt die Wahlfreiheiten im Leben ein, macht aber auch die, die es auf sich nehmen, zum politischen Subjekt, das gemeinsam mit Migrant*innen, Wohnungslosen, von Delogierung betroffenen Familien etc. darauf abzielt, eines der menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen: jenes nach einem Ort zum Wohnen.

Wir geben uns nicht damit zufrieden, in der Krise zu überleben. Wir sind für ein alternatives Lebensmodell, das einerseits unser Leben verbessert und andererseits die Möglichkeit eröffnet, Räume unter antikapitalistischem Blickwinkel neu zu definieren. Besetzungen können, abgesehen von einer konkreten Lösung auf das Einkommensproblem, wirkliche und eigentliche Formen der städtischen Aufwertung von unten und des social housing sein, in denen es durch Selbstorganisation und gemeinsame Nutzung möglich wird, einen Lebensstil zu entwickeln, der sich so weit als möglich Profitmechanismen entzieht.

Prendocasa Bari“

Existenzsicherung darf aber nicht nur von der Möglichkeit einer (immer schlechter bezahlten) Lohnarbeit abhängen, sondern muss sich an den Grundbedürfnissen orientieren. Insofern ist jener Anteil des Einkommens, der zur Deckung von Wohnkosten notwendig ist, besonders aussagekräftig. In einer Stadt wie Bari – von jeher Opfer wilder Immobilienspekulation – wird mit Häusern eine Menge Geld gemacht. Die Stadtverwaltung hat in den letzten Jahrzehnten der parteiübergreifenden „Partei der Bauunternehmen“ exorbitante Profite gesichert (Spekulant*innen kandidieren regelmäßig bei Kommunalwahlen bzw. haben ihre Leute in den Mitte-Rechts- wie auch in den Mitte-Links-Parteien). Beispiele wie die Gentrifizierung von Bari Vecchia (Baris Altstadt), der Schandfleck Punta Perotti (ein riesiger Wolkenkratzer an der Küste und nichts anderes als ein von der Stadt unterstütztes Spekulationsobjekt) oder ein weiterer gigantischer Bau mitten im Nirgendwo, der sich als San Nicola-Stadium (für eine Fußballmannschaft der 2. Liga) entpuppt hat, haben unter der Mitte-Links-Regierung (seit 2004) mit demselben Bebauungsplan ihre ungebrochene Kontinuität gefunden.

Gleichzeitig haben sich Tausende Einwohner*innen von Bari in den vergangenen Jahren in einer sozialen Notlage wieder gefunden, die sich (mit dem höchsten Prozentsatz Italiens) in der Delogierung ganzer Familien ausdrückt, aber auch in der Unmöglichkeit junger Leute, von Zuhause auszuziehen, oder in der Ausbeutung von Migrant*innen, die gezwungen sind, extrem hohe Mieten für unmenschliche Wohnsituationen zu bezahlen. In dieser Stadt wird Privatunternehmen weiterhin Baugrund und öffentliches Geld geschenkt, um inakzeptable Wohnhäuser zu errichten, die vielfach unbewohnt bleiben. So wird bewusst ein grenzenloser Spekulationsmechanismus versorgt. Das Interesse der Immobilienspekulant*innen zählt mehr als kommunale Interessen. In Bari gibt es heute rund 24.000 leer stehende Wohnungen – alle in der Hand mächtigster Kartelle, die von einem lokal unüberschaubaren Machtklüngel vertreten sowie von den Schlagstöcken der Polizei verteidigt werden.

Aus all diesen Gründen finden wir, dass es noch einmal wichtiger ist, sich in Bari Wohnraum anzueignen. Wir haben daher Ende Oktober eine Kampagne gestartet, die durch die Praxis der Besetzung zur (Wieder-)Aneignung der öffentlichen und privaten Räume führen soll. Das Erscheinungsbild unserer Kampagne Prendocasa Bari erinnert an eine der bekanntesten Immobilienagenturen Italiens mit ähnlich klingendem Namen (wir bedienen uns der Praxis des Subvertising). Tatsächlich aber werden die Bewohner*innen Baris eingeladen, durch Organisierung und gemeinsamen Kampf, die Möglichkeit und Notwendigkeit von Besetzungen als gut und recht anzuerkennen und ggf. auch zu ihrer Praxis zu machen. Abgesehen davon, dass Besetzungen das Hauptziel sind, soll die Kampagne für Wohnungsproblematiken sensibilisieren: zu hohe oder informelle Mieten, Immobilienspekulationen, Delogierungen. Es geht darum, dies als gemeinsames und verbreitetes Problem zu verstehen. Mit einer interaktiven Website, auf der ungenutzte Gebäude gemeldet werden können, mit Flugblättern und Aktionen arbeiten wir daran, Informationen über leer stehende Häuser zu verbreiten. Vor Ort werden die betreffenden Häuser durch Plakate oder auch durch Blitzbesetzungen sichtbar gemacht, um auf die Vergeudung von Wohnraum und somit die Möglichkeit der Aneignung hinzuweisen. Ein anderes wichtiges Ziel ist die Vernetzung von militanten Aktivist*innen und Bewohner*innen. Die Unterstützung von vielen, wenn nicht des gesamten Viertels erhöht schließlich die Wahrscheinlichkeit, eine Besetzung auf längere Zeit zu halten oder auch Anti-Delogierungs-Streikposten einrichten zu können.

Eine welfare, die keine Wünsche offen lässt: Wir wollen alles! Für alle!

Die Wiederaneignung der Häuser ist fundamentaler Teil einer gemeinsamen Perspektive. Die Besetzung der Villa Roth ist insofern kein Endpunkt, sondern ein Ausgangspunkt für weitere Besetzungen. Extrem hohe Mieten, das Fehlen einer Wohnpolitik abseits von Privatinteressen und der zyklische Ausbruch einer fortwährend kritischen Situation in unserer Stadt zwingen uns, unsere Lebenslagen zum Thema zu machen: Es gibt die prekären Leben jener, die kein Stipendium mehr beziehen, um in einem Studierendenwohnheim bleiben zu können, während mit Unterstützung öffentlicher Gelder Studierendenunterkünfte im Stil von Fünf-Stern-Hotels zu schwindelerregenden Preisen errichtet werden; jener, die gezwungen sind, als unbefristete Langzeitjugendliche unter dem Dach der Eltern zu leben, weil sie sich kein selbständiges und unabhängiges Leben leisten können; jener, die in Autos übernachten, weil sie es mit ihrem – mitunter informellen – unregelmäßigen Lohn nicht einmal schaffen, einen Platz in einem Doppelzimmer am Stadtrand zu bezahlen; jener, die vor einem Krieg geflüchtet sind und dann – im Zuge spezieller Legalisierungs-Aktionen, bei denen sogar noch das Recht auf Leben und die Freiheit der Person in Geldwert umgerechnet wird – für Aufenthaltspapiere teuer zahlen müssen; jener, die im eigenen Kleinbetrieb leben und schlafen, weil sie sich keine weitere Miete leisten können; jener, die in verlassenen Bauernhäusern schlafen und vielleicht am nächsten Morgen einer kleinen unterbezahlten, entfremdeten Arbeit nachgehen – sofern es eine gibt.

Wir haben beschlossen, all diese Lebensformen aufzuzeigen und klarzumachen, dass jeder leer stehende Raum bewohnt werden wird, bewohnt von Leuten wie uns. Denn wir brauchen einen Ort zum Wohnen. Und eine Alternative zur Besetzung gibt es heute nicht.

Für uns ist Wohnen ein äußerst wichtiges Segment in einer welfare, die unseren Wünschen entspricht und die wir sehr oft gefordert haben, womit wir aber lediglich auf taube Ohren jener gestoßen sind, die die Interessen von Privaten im Namen von peinlichen politischen Interessen begünstigen. An dieser Stelle haben wir jedes weitere Fordern abgebrochen und beschlossen, uns diese und jene Teile einer Existenzsicherung (wieder-)anzueignen, sie zu teilen und von unten Formen der Zusammenarbeit gegen ihre Krise, gegen ihre Polizei, gegen ihre Arbeit aufzubauen. All das macht die Nicht-Repräsentierbarkeit einer Multitude immer evidenter, die nicht mehr länger fordert, sondern mit einem Kampf antwortet, der durch die Wiederaneignung eines unabhängigen, selbständigen Lebens angetrieben wird.

Das Collettivo Villa Roth Occupata setzt sich zusammen aus Bewohner*innen der Villa und ihren Mitstreiter*innen. Die Villa Roth stammt aus dem 19. Jahrhundert, ist in Folge einer Schenkung seit den 1960er-Jahren im Eigentum der Stadt Bari, war zuletzt Verwaltungssitz des ehemaligen Fermi-Gymnasiums und stand danach etwa 15 Jahre leer. Seit der Besetzung am 26.11.2011 ist die Villa Roth ein Ort zum Wohnen sowie politischer und sozialer Raum.

Übersetzung aus dem Italienischen: Carmen Pisanello und Daniela Koweindl

Links

Villa Roth Occupata
www.facebook.com/VillaRothOccupata

Prendocasa Bari

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