Als ich 2015 die Geschäftsführung der Sumpfblume in Hameln übernommen habe, war die Sumpfblume weder Sumpf noch Blume. Nach über 35 Jahren steckte das Kulturzentrum in einer wahren Midlifecrisis. Mit mir als junger Geschäftsführerin versprach man sich ein innovatives Kulturprogramm und endlich wieder junge Leute in der Sumpfblume. Der Druck auf meinen Schultern war hoch. Die Zuschauer*innen blieben trotz eines neuen Kulturprogramms aus.
Die Stadt und auch das Team schienen nicht an neuen Kulturformaten interessiert. Oft bekam ich zu hören, was früher alles besser gewesen war, was die Sumpfblume heute nicht mehr war: Ein Ort, wo fette Partys stattfanden, ein Ort, an dem lange und hitzig, vor allem aber politisch diskutiert wurde, ein Ort, an dem ehrenamtlich gearbeitet und nach Feierabend das Bett auch mal hinter der Theke aufgeschlagen wurde. Früher war alles besser. Früher war mehr Lametta. Es war an der Zeit, den IST-Zustand der Sumpfblume kritisch zu hinterfragen. Was ist die Identität, die DNA der Sumpfblume?
Das Förderprogramm SozioK_change der Stiftung Niedersachsen kam an dieser Stelle wie gerufen. Es war dringend notwendig, die Veränderungen als Prozess sichtbar zu machen. Es brachte nichts, wenn ich als Geschäftsführerin das Programm der Sumpfblume auffrischte, die Veränderung ging das gesamte Team, die gesamte Sumpfblume etwas an. Das war nun ausgesprochen und musste mit der bewilligten Förderung auch angepackt werden, gemeinsam angepackt werden.
Wir starteten mit der Aktion „Früher war alles besser“. Wir hatten Spaß daran, spielerisch mit dem Satz umzugehen und druckten ihn auf Postkarten, Jutebeutel und Buttons. Auf unserer ersten Teamklausurtagung im Sommer 2016 im Harz überprüften wir die Stärken und Schwächen der Sumpfblume, machten eine Umweltanalyse und warfen einen Blick auf die interne Kommunikation sowie auf Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten. Geleitet wurde die Tagung von Kai Thomsen, der bis heute die Sumpfblume in ihrem change begleitet.
Eine qualifizierte Person von außen dabei zu haben, ist aus meiner Sicht der wichtigste Baustein für einen gelingenden Change-Management-Prozess. Nicht nur ich als Geschäftsführerin, sondern das gesamte Team erfuhr durch die Beratung immer wieder eine überlebenswichtige Stärkung. Wichtigste Ergebnisse aus der Teamklausurtagung im Harz waren ein gemeinsam entwickeltes Leitbild für die Sumpfblume, ein Kommunikationsleitbild für das Team und der Elan, die Veränderungen gemeinsam anzugehen.
Es folgte eine enge Zusammenarbeit mit dem kulturpolitischen Institut der Universität Hildesheim. Gemeinsam mit den Studierenden entwickelten wir eine Nicht-Besucher-Umfrage und befragten fast eintausend Hamelner*innen zur Sumpfblume. Ein signifikantes Ergebnis aus der Befragung war, dass viele die Sumpfblume immer noch als einen alternativen Schuppen betrachteten. Dass die Sumpfblume z.B. ein Ort war, an dem man auch richtig lecker essen konnte, war vielen gar nicht bewusst.
Am Image der Sumpfblume galt es also weiterhin hart zu arbeiten. Und gilt es noch heute. Die Sumpfblume selbst und vor allem ihre Geschichte kennt jede*r in Hameln. Was für ein wichtiger Ort der Begegnung, der Kultur und der Gesellschaftspolitik die Sumpfblume heute ist, erfährt aus meiner Sicht manchmal nicht die angebrachte Wertschätzung in der Stadt selbst.
Der Change-Management-Prozess verlief weiter mit vielen Höhen und Tiefen. Immer wieder verließen Mitarbeitende das Team und sorgten damit für eine einschneidende Veränderung. Phasen voller Elan erfuhren einen Dämpfer. Wie gelingt es, die Power und die Kraft, die wir immer wieder auf gemeinsamen Tagungen oder Seminaren erfahren haben, in den Arbeitsalltag zu transferieren? Und was ist denn nun die Identität der Sumpfblume?
Die Identität der Sumpfblume, das sind die Menschen, die in der Sumpfblume arbeiten und sie mit Leben füllen. Wenn es uns gut geht, geht es auch in der Sumpfblume gut.
Wir vollzogen einen Rechtsformwechsel vom Verein zur GmbH. Dieser zog sehr viel Bürokratie mit sich, hat aber an der Identität der Sumpfblume nichts geändert. Vielmehr hat der Rechtsformwechsel gezeigt, dass die Sumpfblume ihre Strukturen schon längst weiter entwickelt hat und nicht mehr als basisdemokratischer Verein funktioniert. All die Arbeit an den Zielen für die Zukunft, all die geschmiedeten Pläne und entwickelten Strategien schienen doch noch nicht das Herzstück der Identität der Sumpfblume zu sein. Denn jedes Mal, wenn ein Mitarbeitender das Team verlassen hat, wurde diese zerrüttet. Heute wissen wir, warum: Die Identität der Sumpfblume, das sind die Menschen, die in der Sumpfblume arbeiten und sie mit Leben füllen. Wenn es uns gut geht, geht es auch in der Sumpfblume gut. Das mag banal klingen, ist aber dennoch die entscheidende Weisheit, die wir aus dem Change-Management-Prozess mitgenommen haben. Wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, können wir alles schaffen. Diese Einstellung macht uns heute zu einem High-Performing-Team, das sich auf Augenhöhe begegnet und gerne zusammen arbeitet. Das war nicht immer so. Im Team selbst gab es in den letzten Jahren viel change. Heute wissen wir, was uns bei einer Zusammenarbeit wichtig ist. Bereits im Bewerbungsgespräch werden die Bewerbenden mit dem Kommunikationsleitbild der Sumpfblume konfrontiert.
Wir sind sehr dankbar, dass wir zusammen mit Kai Thomsen und der Stiftung Niedersachsen die Antwort auf die verloren geglaubte Identität gefunden haben und arbeiten bis heute hart daran, dass das auch so bleibt.
https://sumpfblume.de
Linda Meier ist Kulturwissenschaftlerin und Referentin für Förderung und Kommunikation beim Landesverband Soziokultur Niedersachsen.Von 2015 bis 2024 Leitung des soziokulturellen Zentrums Sumpfblume GmbH in Hameln.
Coverbild: Collage - Außenansicht © Linda Meier / Veranstaltungsimpression © Fabio Rocchio

Der Text basiert auf einem Vortrag aus dem Jahr 2021 und ist in der Ausgabe 1.25 „ÜBERGABE KULTUR“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5,50 €) bestellt werden.