Selbstversuch soziokultureller Zentren in Deutschland: Klimafreundlichkeit stärken, Nachhaltigkeitsprozesse gestalten
Wenn der Klimawandel im Bereich Nachhaltigkeit höchste Priorität hat, dann gilt dies auch für die Transformation der Soziokultur. Aber wie funktioniert das in der Praxis? Das erprobten sieben soziokulturelle Zentren aus den drei Bundesländern Hessen, NordrheinWestfalen und Thüringen im Rahmen des Projektes „Selbstversuch: klimaneutrale Veranstaltungen in der soziokulturellen Praxis“. Jedes Zentrum fokussierte sich auf mindestens eine Veranstaltung und plante und organisierte diese unter klimafreundlichen Gesichtspunkten. Für das Kreuz (Fulda) und den Schlachthof (Kassel) waren dies Konzerte, das Mon Ami (Weimar) organisierte in Kooperation mit der Universität Hildesheim einen Fachtag und eine Werkstatt unter dem Titel „Nachhaltige Kulturarbeit“, die Lichtburg (Wetter) und das Capitol (Witzenhausen) spielten Filme mit anschließender Diskussion zu Nachhaltigkeitsthemen und die Brotfabrik (Frankfurt) wollte die regelmäßig stattfindende Salsa Disco klimafreundlicher machen.
Zwölf Millionen Menschen besuchen jährlich Veranstaltungen in soziokulturellen Zentren in Deutschland, mit steigender Tendenz. Bei der Organisation und Durchführung dieser Veranstaltungen entstehen Treibhausgasemissionen, zum Beispiel bei der An- und Abreise der Teilnehmer*innen, beim Heizen von Veranstaltungsräumen oder beim Anbau landwirtschaftlicher Produkte, mit denen die Verpflegung der Teilnehmer*innen ermöglicht wird. Das Ziel, Maßnahmen zum Klimaschutz zu treffen, ist eingebettet in die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDG 13). Der wesentliche Indikator liegt in der Vermeidung und Reduktion von CO2-Emissionen und in der Verbesserung der CO2-Bilanz der soziokulturellen Zentren und Initiativen. Die Zentren stellten sich einzelnen Handlungsfeldern und strebten an, den Anforderungen im Rahmen einer Veranstaltung möglichst gerecht zu werden. Die neun Handlungsfelder einer nachhaltigen Veranstaltungsorganisation sind Mobilität, Veranstaltungsort, Beschaffung, Kommunikation, Catering, Abfall und Wasser, Logistik, CO2-Bilanz und Kompensation. Diese Handlungsfelder bildeten die Grundlage für die Selbstversuche. Im Projektzeitraum setzten die Zentren zahlreiche Maßnahmen um. Ausgewählte Ergebnisse und Erfahrungen werden nachfolgend vorgestellt.
Klimafreundliche Maßnahmen und Möglichkeiten
Mobilität: In einzelnen Zentren ist die Möglichkeit einer klimafreundlichen Anreise bereits gegeben, da sie zentral liegen und der kommunale Nahverkehr gut ist. Der Einfluss auf das Handlungsfeld Mobilität ist letztlich stark durch die gegebene Infrastruktur geprägt und zudem abhängig von der Bereitschaft des Publikums, auf klimafreundliche Fortbewegungsarten umzusteigen. Eine Bekanntmachung der Verbindungsmöglichkeiten unter den Besucher*innen kann der klimafreundlichen An- und Abreise dienen. Dies realisiert die Brotfabrik Frankfurt beispielsweise mit Hilfe des Anbieters Green Mobility.
Um insgesamt ein besseres Bild über die Mobilität der Besucher*innen zu erhalten und Steuerungsmöglichkeiten daraus abzuleiten, hat die Brotfabrik Frankfurt auch eine Mobilitätsumfrage durchgeführt.(1)
Beschaffung: Die Zentren haben zahlreiche Maßnahmen umgesetzt (z. B. Wechsel zu LED, Bankkonto bei einer nachhaltigen Bank, nachhaltiges Toilettenpapier) und weitere Maßnahmen angedacht (z.B. Kooperation mit lokalen Biobetrieben, nachhaltiges Produktangebot ausweiten, Verbrauchsmaterialien reduzieren). Einzelne Zentren sehen großen Handlungsspielraum in der Zusammenarbeit mit lokalen oder regionalen Kooperationspartner*innen. Die Beschaffung verlangt jedoch eine regelmäßige Überprüfung der begrenzten finanziellen Ressourcen. Ein knappes Zeitbudget erschwert oder verhindert zudem eine konsequente Umsetzung im eigenen Zentrum.
Kommunikation: Für alle Zentren ist die Kommunikation nach innen sowie nach außen gleichermaßen wichtig. In einzelnen Zentren wurde das Thema Nachhaltigkeit auf der Website integriert bzw. überarbeitet. In einigen Zentren wurden eigene Mailadressen für das Thema eingerichtet, ein Briefkasten für Anregungen seitens der Gäste angebracht und die Kommunikation mit den Künstler*innen bedacht, wie zum Beispiel beim Catering.
Catering: Insgesamt werden in den Zentren nun vermehrt Produkte aus kontrolliert biologischem Anbau angeboten (kbA), Einwegflaschen wurden im Rahmen des Projektes abgeschafft und durch Mehrwegflaschen ersetzt sowie Plastikstrohhalme durch Alternativen, wie zum Beispiel Papierstrohhalme, ausgetauscht. Der Schwerpunkt des Kulturzentrums Schlachthof Kassel lag auf einem klimafreundlichen Künstler*innenCatering. In Kooperation mit dem Gastronomen und mit Hilfe der KlimaTeller App wurde eine Klimakarte entwickelt; eine Menükarte, die die CO2-Emissionen der angebotenen Gerichte darstellt, wurde den Künstler*innen zur Verfügung gestellt.
Veranstaltungsort und Ressourcen: Beim Veranstaltungsort erfolgten Umstellungen auf LED-Leuchtmittel und auf Ökostrom. Insgesamt wird hier die Abhängigkeit von Partner*innen deutlich, die das Thema mittragen müssen, insbesondere Mietkund*innen, Kooperationspartner*innen, Reinigungskräfte etc. Für eine CO2-Bilanz/Kompensation sind aus Sicht der Zentren hohe finanzielle und personelle Ressourcen notwendig. Die Erstellung einer CO2-Bilanz ist abhängig von verfügbaren Werten, u.a. von lokalen Stadtwerken oder eigenen Erhebungen.
Auf dem Abschlussworkshop im Januar 2020 in Kassel betonten die Zentren die Bedeutung einer ganzheitlichen Betrachtung von Nachhaltigkeit (ohne ausschließlichen Fokus auf Klimaschutz) und der Kulturarbeit (sie umfasst mehr als nur Veranstaltungen). So berichtet ein Zentrum von dem Bestreben, eine Gemeinwohlbilanz erstellen zu wollen. Weitere relevante Handlungsfelder wurden ergänzt, wie Programmplanung im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, Konzeption und Planung von Veranstaltungen, Finanzen/Fördermöglichkeiten sowie soziale Aspekte. Die Ergebnisse und Erfahrungswerte des SelbstversuchProjektes führten zum Praxisheft für klimafreundliche Veranstaltungen, das neben konkreten Maßnahmen zu den einzelnen Handlungsfelder und weiterführenden Informationen vor allem Praxisbeispiele aus den Zentren enthält. (2)
Nachhaltigkeitsprozesse gestalten
Die Selbstversuche zeigten auch, dass die Umsetzung von Maßnahmen zum Klimaschutz als Prozess in den einzelnen Zentren betrachtet werden sollte. Voraussetzungen müssen geschaffen werden, Ressourcen geplant sein, Beteiligte abgeholt und involviert werden. Für die Transformation macht es zum Beispiel einen großen Unterschied, ob eine Sensibilität für Nachhaltigkeit schon im Voraus im Kernteam vorhanden ist. Auch die Beteiligung von Mitarbeitenden und ehrenamtlichen Kräften an Entscheidungen ist von zentraler Bedeutung, um im Nachhinein Widerstände zu vermeiden. Die Besetzung einer Nachhaltigkeitsstelle sowie Kooperationen mit den Nachhaltigkeits oder Klimaschutzmanager*innen der Kommunen sind hilfreich. In interne Transformationsprozesse können Dienstleistende, Künstler*innen und Partner*innen aus der Zivilgesellschaft einbezogen werden. Es ist wichtig, die Aktivitäten auch nach außen zu kommunizieren. Dies ist auch mit positiven Rückmeldungen verbunden, die wichtig für die Wertschätzung der Nachhaltigkeitsbemühungen sind.
Die Rahmenbedingungen können die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen enorm erleichtern oder erschweren. Während des Projektzeitraums lagen die Hürden vor allem bei finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen. Allen Zentren verlangte der „Selbstversuch“Prozess viel Zeit und Engagement ab. Die persönliche Motivation spielt eine entsprechend wichtige Rolle. An Grenzen stoßen die Einrichtungen, wenn es um die Mobilität und die Gebäudeinfrastruktur geht. Darauf haben die Einrichtungen in der Zusammenarbeit mit den Kommunen bzw. Vermieter*innen keinen unmittelbaren Einfluss. Entscheidungsprozesse sind komplexer und langwieriger und meist mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden. Eine große Hürde liegt in Gewohnheiten und in Pfadabhängigkeiten. Viele Zentren reflektieren den Veränderungsprozess, überprüfen Praktiken auf ihre Sinnhaftigkeit und gestalten so neue Schritte bewusster.
Die Begleitung durch Berater*innen wurde schließlich sehr geschätzt, teilweise als unabdingbar bewertet. So hält ein teilnehmendes Zentrum im Erfahrungsbericht fest: „Die Unterstützung und Beratung (…) hat uns veranlasst, am Ball zu bleiben. Der Austausch mit den anderen Zentren hat uns motiviert und geholfen, Durststrecken zu überwinden“. Die teilnehmenden Zentren wünschten sich eine konstante, externe, fachkompetente Begleitung bei der Umsetzung – auch über das Projekt hinaus. Dafür wurde u. a. das Forum Nachhaltigkeit vom Landesverband Hessen gegründet. Regelmäßige Treffen, koordiniert von Kristina Gruber, geben Raum für kollegiale Beratung und Impulse von außen. Auch der Bundesverband Soziokultur unterstützt und fördert den Prozess zur Nachhaltigkeit in der Soziokultur. Zunächst als Kooperationspartner beim Forschungsprojekt „Jetzt in Zukunft“ und seit Januar 2022 mit einer Referentin für Nachhaltige Entwicklung. Diese und weitere Entwicklungen lassen hoffen, dass wir die Klima und Nachhaltigkeitsziele erreichen und so möchte ich mit den Worten von Christian Müller-Espey († 2022) abschließen und alle Lesenden ermutigen, selbst aktiv zu werden: „Lassen Sie uns Sinnvolles tun, Gutes bewirken und zur Besserung beitragen“.
Der Beitrag basiert auf dem Buchkapitel „Nachhaltigkeitskultur entwickeln“ in der Forschungspublikation „Jetzt in Zukunft. Zur Nachhaltigkeit in der Soziokultur“, herausgegeben von Wolfgang Schneider, Kristina Gruber und Davide Brocchi.(3)
Das Projekt wurde vom Netzwerk Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur (2N2K e. V.) von Oktober 2018 bis Mai 2020 durchgeführt. Kristina Gruber, Christian Müller-Espey († 2022) und Walter Spruck vom Netzwerk Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur (2N2K Deutschland e. V.) tauchten gemeinsam mit den Zentren in die Nachhaltigkeitswelt ein, identifizierten Lücken und bereiteten den Weg für weitere Entwicklungsmöglichkeiten. Der Fonds Soziokultur und die drei Landesverbände LAKS Hessen, LAG Soziokultur Thüringen und LAG Soziokultur NRW förderten das Projekt. In Abstimmung mit dem Institut für Kulturpolitik der Stiftung Universität Hildesheim war das Projekt in das bundesweit ausgerichtete Forschungsprojekt „Jetzt in Zukunft“ eingebunden.