Im Vorhof der Macht. Eine kritische Betrachtung der "Kontaktgruppe der europäischen Zivilgesellschaft"

Am 17. Februar 2005 lud die Civil Society Contact Group (CSCG) zum Abschluss ihrer "Act4Europe"- Kampagne (Basis-)AktivistInnen aus den 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union unter dem Titel "NGO Space for Debate: ratifying the Constitution and implementing participatory democracy" zu einer Konferenz nach Brüssel. Auch die IG Kultur Österreich entsandte einen Vertreter und plädiert für eine nachhaltige Restrukturierung des Debattenraums.
Markus Griesser

Am 17. Februar 2005 lud die Civil Society Contact Group (CSCG) zum Abschluss ihrer "Act4Europe"- Kampagne (Basis-)AktivistInnen aus den 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union unter dem Titel "NGO Space for Debate: ratifying the Constitution and implementing participatory democracy" zu einer Konferenz nach Brüssel. Auch die IG Kultur Österreich entsandte einen Vertreter und plädiert für eine nachhaltige Restrukturierung des Debattenraums.

Was ist die "Civil Society Contact Group" (CSCG)?

Als informelles Netzwerk bereits seit längerer Zeit bestehend, kam es im Februar 2002 zur offiziellen Gründung einer "Kontaktgruppe der europäischen Zivilgesellschaft", die sich in einem ersten Schritt vor allem die Etablierung einer strukturierten Beziehung zwischen zivilgesellschaftlichen AkteurInnen und dem Präsidium des EU-Verfassungskonvents zum Ziel gesetzt hatte. Mittels einer solchen Bündelung der Kräfte hoffte man im Interesse dieser AkteurInnen nachdrücklicheres und gezielteres Lobbying im Konvent betreiben und mithin die Arbeit am Verfassungsvertrag im Sinne der so genannten "europäischen Zivilgesellschaft" beeinflussen zu können. Bei der CSCG handelt es sich also um eine Art Dachverband der europäischen Dachverbände aus 6 zivilgesellschaftlichen Sektoren (Umwelt, Entwicklung, Soziales, Frauen, Menschenrechte und Kultur). Der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) hat zudem Beobachterstatus. Für den Bereich "Kultur" ist das European Forum for the Arts and Heritage (EFAH) in der Kontaktgruppe vertreten, in dessen Vorstand die IG Kultur Österreich einen Sitz inne hat.

Wie steht es um die "demokratische Legitimation" der CSCG?

Im Gegensatz zu EFAH sind in den meisten sektoralen Dachverbänden dabei hauptsächlich so genannte "Europäische Nichtregierungsorganisationen" (E-NGOs) vertreten, also in Brüssel lokalisierte Dependancen der jeweiligen NGOs. Dadurch wird nicht bloß eine weitere Vermittlungsebene zu den BasisaktivistInnen vor Ort eingezogen, die in den meisten Fällen wohl auch noch nie etwas von der CSCG gehört haben dürften. Auch verschärft sich auf diesem Weg das Machtgefälle innerhalb der Kontaktgruppe zugunsten der "Big Players" im Feld - von Greenpeace über die Caritas Europe bis hin zu Amnesty International Europe -, insofern kleinere AkteurInnen der "organisierten Zivilgesellschaft" nicht über die Ressourcen verfügen, um mit einem europäischen Ableger ständig in Brüssel präsent zu sein.

Überhaupt ließe sich über die demokratische Legitimation der CSCG wohl genauso streiten, wie das auch bei anderen Interessengruppen/Lobbys, wie etwa beim European Roundtable of Industrials, der Fall ist. Schließlich sind in solchen Organisationen stets nur bestimmte Fraktionen derjenigen gesellschaftlichen Gruppe vertreten, die sie zu repräsentieren vorgeben, wobei ihre internen Strukturen sich darüber hinaus zumeist durch hohe Intransparenz auszeichnen und häufig noch nicht einmal die Einhaltung repräsentationsdemokratischer Prinzipien (z.B. direkte Wahl der jeweiligen RepräsentantInnen) gewährleistet ist. Die CSCG betont in diesem Zusammenhang zwar immer wieder, keineswegs den Anspruch zu erheben, die "gesamte europäische Zivilgesellschaft" zu repräsentieren. Nichtsdestotrotz spricht sie von sich selbst unentwegt als "die europäische Zivilgesellschaft", wie sie auch in ihrem Namen spricht und von vielen als deren Stimme wahrgenommen und anerkannt wird.

Was ist die Kampagne "Act4Europe"?

"Act4Europe" war eine Kampagne der CSCG, die sich in erster Linie mit Schlüsselthemen der Ratifikation des Verfassungsvertrags in den Mitgliedstaaten, sowie mit dem dort verankerten Prinzip der partizipatorischen Demokratie auseinandersetzen und die Rolle von NGOs im Rahmen dieser Unternehmungen diskutieren sollte. Gefördert zum einen von der Europäischen Kommission selbst, zum anderen von privaten Sponsoren (genauer: vom "Soros Foundations Network" sowie von der "Charles Stewart Mott Foundation" - zwei hinlänglich bekannten, als "links-liberal" bzw. "philanthropisch" geltenden Privatstiftungen), lud man sich im Rahmen dieser Kampagne auch immer wieder BasisvertreterInnen aus den Mitgliedstaaten nach Brüssel, um die angesprochenen Themen gemeinsam zu diskutieren und Ansätze zur Realisierung von Maßnahmen vor Ort zu entwickeln. Der Nebeneffekt, dass hierdurch auch der Anschein einer basisdemokratisch funktionierenden Entscheidungsfindung erweckt wird, dürfte der CSCG zu Legitimationszwecken und aus durchaus verständlichen Gründen auch nicht ganz ungelegen gekommen sein.

Zur Konferenz "NGO Space for Debate"

"NGO Space for Debate: ratifying the Constitution and implementing participatory democracy " war der Titel einer ganztägigen Konferenz, die am 17. Februar 2005 in Brüssel über die Bühne ging und den Endpunkt der "Act4Europe"-Kampagne bildete. Laut offiziellen Zahlen beteiligten sich daran über 110 AktivistInnen aus den verschiedenen zivilgesellschaftlichen Sektoren und Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Zum einen wurde dabei einmal mehr der Verfassungsvertrag und dessen Ratifizierung diskutiert, zum anderen das Prinzip der partizipatorischen Demokratie und dessen mögliche Implementierung, sowie die Rolle der NGOs im Rahmen dieser Prozesse. Infolge eines kurzen Resümees zu den Inhalten des Vertragswerks aus der Perspektive der einzelnen Sektoren, das beinahe überall positiv, zumindest jedoch ausgewogen ausfiel, diskutierte man v.a. mögliche NGO-Strategien hinsichtlich der derzeit erfolgenden Ratifizierung des Verfassungsvertrags in den Mitgliedstaaten. Dabei überraschte bereits das Setting der hierfür eingerichteten Workshops. Zur Auswahl stand nämlich bloß einer zum Thema "Campaigning for a yes" sowie ein anderer zu "Getting involved but staying neutral", während die Option einer Ablehnung des Verfassungsvertrags in der nun vorliegenden Form von vornherein ausgeklammert war. Entsprechend wenig kontroversiell verliefen dann auch über weite Strecken die Debatten.

Am Nachmittag wurde schließlich mit Mark Gray aus dem Kabinett von Kommissarin Margot Wallström (Kommissarin für Institutionelle Beziehungen und Kommunikation) das neu in das EU-Vertragswerk aufgenommene Prinzip der "partizipatorischen Demokratie" diskutiert. Vor allem ging es dabei um den in Art. I/47(2) verankerten "Dialog mit der Zivilgesellschaft", dessen Aufnahme in der Verfassungsvertrag als Erfolg des CSCG-Lobbyings gewertet wurde und dessen Implementierung nun angegangen werden soll.

Resümee

Auf einer grundsätzlichen Ebene blieben infolge der Konferenz "NGO Space for Debate" vor allem Unklarheiten hinsichtlich der Einschätzung des Verfassungsvertrags sowie in Bezug auf die Rolle der Zivilgesellschaft - insbesondere im Zusammenhang mit dem Prozess seiner Ratifizierung - zurück, welche hier in Form zweier Fragen artikuliert werden sollen:

1) Kann ein derart wichtiges Dokument wie der "Vertrag über eine Verfassung für Europa" tatsächlich, wie das seitens der CSCG - und im Übrigen auch von der "parlamentarischen Opposition" in Österreich (Grüne, SPÖ) - praktiziert wird, ausschließlich auf der Basis eines Vergleichs zum bislang geltenden Vertragswerk der Europäischen Union bewertet werden? Will sagen: Ist das Argument, der Verfassungsvertrag bringe in bestimmten Bereichen Fortschritte gegenüber dem Vertrag von Nizza (Grundrechte usw.) bereits ein ausreichendes Argument für diesen Vertrag? Oder noch einmal anders formuliert: Ist etwas allein deshalb schon gutzuheißen, weil es graduell besser ist, als das, was war? Meines Erachtens ist diese "Logik des kleineren Übels" prinzipiell und insbesondere im Zusammenhang mit einer Verfassung über alle Maßen fragwürdig. Das gilt auch für das Argument, eine Nichtratifizierung und die daraus resultierende Notwendigkeit einer Überarbeitung des Verfassungsvertrags zum jetzigen Zeitpunkt könne aufgrund des verschärften neoliberalen Kurses der amtierenden Kommission nur Verschlechterung bringen und sei mithin abzulehnen.

2) Auf einer noch grundlegenderen Ebene wäre m. E. die Frage zu formulieren, was der Begriff "Zivilgesellschaft" (im Namen der CSCG) eigentlich bedeutet und welche Funktion dieser, beispielsweise im Verhältnis zu den EU-Institutionen und ihrer Politik, zukommt? Im Falle der CSCG kann man sich nämlich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass sich diese - als Gegenleistung für Minimalzugeständnisse im Verfassungsvertrag (Art. I/47; Grundrechtscharta usw.) - nun zum "willfährigen Fußvolk" der Kommission macht und nicht bloß mit Kritik an der Verfassung spart sondern sich aktiv um deren Propagierung bemüht. Für die EU-Institutionen ist das freilich insofern ideal, als die organisierte Zivilgesellschaft mit ihren weitverzweigten Netzwerken über ein geeignetes Instrumentarium verfügt, um das häufig beklagte "Vakuum zwischen der EU und ihren BürgerInnen" zu überbrücken. Eben dazu scheint die CSCG ihre BasisaktivistInnen ermutigen zu wollen.

Ob so etwas allerdings tatsächlich in den Aufgabenbereich der "Zivilgesellschaft" fällt, darf m. E. in Zweifel gezogen werden. Selbst in liberalen Konzeptionen fungiert die Zivilgesellschaft schließlich niemals als bloßer Handlanger des Staates, als Instrument zur Durchsetzung seiner Ziele und Interessen, sondern hat sich ihm gegenüber autonom - als Ort einer auf Interessenausgleich zielenden Diskussion - zu verhalten. Von linken ZivilgesellschaftstheoretikerInnen wurde ein solcher Autonomieanspruch zwar in ideologiekritischer Intention zurückgewiesen und auch schon mal die Formel aufgestellt: "Staatsapparat + società civile = Erweiterter Staat". Dass Antonio Gramsci, dem diese Formel zugeschrieben wird, darin jedoch eine Handlungsanweisung für zivilgesellschaftliche AkteurInnen sah, darf bezweifelt werden.

Der CSCG jedoch kann man tendenziell ein Vorgehen gemäß ebendieser Formel unterstellen. Ob das gerade von ihr häufig postulierte Ziel einer "wirklichen Demokratisierung der Europäischen Union" allerdings auf solche Art und Weise realisierbar ist, muss wohl nicht bloß aus radikaldemokratischer Perspektive infrage gestellt werden. Denn was immer man unter dem Begriff „Demokratie“ auch im einzelnen verstehen mag, die simple Durchsetzung von Konsens kann damit wohl bestimmt nicht gemeint sein.

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