Budgetsanierung auf Kosten der Kultur?

Im Kulturbereich geht es, verglichen mit den Banken- und Euro-Schutzschirmen, um viel geringere Summen, die zu seiner „Rettung“ bzw. der Abwendung von Kürzungszwängen notwendig sind. Für viele Kultureinrichtungen bedeuten die ihnen auferlegten Einsparsummen aber erhebliche Einschränkungen ihrer Angebote, die in nicht wenigen Fällen die Substanz ihrer Arbeit bedrohen.

Am 21. Mai dieses Jahres verabschiedete der Deutsche Bundestag einen finanziellen Schutzschirm von bis zu 148 Mrd. Euro zum Schutz des Euros und zur Stabilisierung von in finanzielle Nöte geratenen Euroländern. Wenige Wochen zuvor waren schon eine 22 Mrd. Euro hohe Kreditzusicherung für Griechenland verabschiedet und im vergangenen Jahr ein 480 Mrd. Euro umfassender Schutzschirm für in „Not“ geratene Banken aufgespannt worden. Der im März verabschiedete Bundeshaushalt 2010 beinhaltet bereits eine Rekordneuverschuldung von mehr als 80 Mrd. Euro. Insgesamt haben sich die Staatsschulden Deutschlands inzwischen auf 1.760 Mrd. Euro summiert, das sind bereits 73 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die gesamten jährlichen Ausgaben für Kultur und Kunst von Bund, Ländern und Kommunen betragen in Deutschland gut acht Mrd. Euro – und diese stehen zurzeit unter einem erheblichen Kürzungsdruck. Das betrifft gegenwärtig vor allem die kommunalen Kulturetats, die gut 40 Prozent der öffentlichen Kulturausgaben ausmachen. In den kommenden Jahren ist auch bei den Kulturausgaben der Länder mit zum Teil erheblichen Kürzungen zu rechnen, und die etwa 1,2 Mrd. Euro Bundesmittel für Kultur, die in den vergangenen fünf Jahren stetig gestiegen waren, werden voraussichtlich bei den angekündigten Einsparungen im Bundeshaushalt in den kommenden Jahren nicht ungeschoren bleiben.

Konsequenzen des Sparkurses auf kommunaler Ebene
Im Kulturbereich geht es, verglichen mit den Banken- und Euro-Schutzschirmen, um viel geringere Summen, die zu seiner „Rettung“ bzw. der Abwendung von Kürzungszwängen notwendig sind. Für viele Kultureinrichtungen bedeuten die ihnen auferlegten Einsparsummen aber erhebliche Einschränkungen ihrer Angebote, die in nicht wenigen Fällen die Substanz ihrer Arbeit bedrohen und bei einigen auch zu ihrer Schließung führen könnten.

So soll beispielsweise in Essen innerhalb von vier Jahren der kommunale Zuschuss für die Theater und Philharmonie GmbH um 7,1 Mio. Euro auf 37,8 Mio. gekürzt werden, für die Kölner Bühnen steht ein um 6,3 Mio. Euro verringerter Etat im Haushaltsentwurf 2010. Duisburg senkt in den kommenden Jahren seinen Anteil an der Rheinoper um 2,5 Mio. Euro, in Wuppertal sind es zwei Mio. Euro bis 2012, in Gelsenkirchen eine Mio. Euro für das Musiktheater und in Mannheim ebenfalls eine Mio. für das Nationaltheater, in Dessau 3,5 Mio. für das Anhaltinische Theater bis 2018. Die Liste ist bei weitem nicht vollständig und enthält lediglich Sparauflage für Theater, die in der Presse als renommierteste Kulturinstitutionen im Vordergrund stehen.

In den Städten betreffen die Kürzungsauflagen aber in der Regel den gesamten Kultursektor – und nicht nur ihn, sondern vor allem auch den Sport-, Jugendund Sozialbereich. In Dortmund sollen die Kulturbetriebe in der Spielzeit 2010/11 insgesamt rund zwei Mio. Euro einsparen, in Bochum soll der Kulturbereich bis 2015 mit 20 Prozent weniger auskommen als 2009, in Stuttgart waren es erst zehn, jetzt sind es fünf Prozent Kürzungen für Kunst- und Kulturförderung. Solche Einsparungen gehen in der Regel zu Lasten aller kommunalen Kultureinrichtungen, deren Mittel gekürzt werden und die vielfach Gebühren, Entgelte und Eintrittspreise erhöhen müssen.

Die freie Szene wird von den Sparbeschlüssen besonders hart in Mitleidenschaft gezogen. Das betrifft vor allem freie Theatergruppen und soziokulturelle Einrichtungen. Denn viele von ihnen arbeiten ohnehin schon am Rande ihres Existenzminimums. Die in den letzten Jahren viel beschworenen Bekenntnisse, wie wichtig Kulturerlebnisse gerade für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, für sozial benachteiligte gesellschaftliche Gruppen und für diejenigen sind, die nicht zur kleinen Gruppe regelmäßiger KulturnutzerInnen gehören, haben bei der Krise der öffentlichen Haushalte in vielen Städten offensichtlich keine Geltung mehr. Von den gegenwärtigen Kürzungen sind aber nicht nur Kunst- und Kultureinrichtungen, sondern auch andere Formen der Freizeitbeschäftigung wie Schwimmbäder, Jugendklubs und Bürgerhäuser, deren Gebühren erhöht oder die geschlossen werden, betroffen.

„Freiwillige Leistungen“ der Kommunen unter Beschuss
Im Fokus der gegenwärtigen Haushaltskürzungen stehen all jene kommunalen Aufgaben, die nicht gesetzlich geregelt sind. Sie sind nach Kommunalrecht so genannte „freiwillige Leistungen“ im Unterschied zu den „Pflichtaufgaben“, zu denen die Kommunen durch gesetzliche Festlegungen verpflichtet sind. Bei diesen „freiwilligen Leistungen“ setzen in der Regel die Kürzungsauflagen der städtischen Kämmerer, von Kommunalaufsicht und Innenministerien an, die sie den Kommunen auferlegen. Allerdings heißt „freiwillige Aufgaben“ – im Unterschied zur gängigen Praxis vieler kommunaler Aufsichtsbehörden und auch zahlreicher Kommunal- und Kulturpolitiker – mitnichten, dass sie nachrangig zu behandeln sind und bei den Sparauflagen Priorität hätten, sondern nur, dass die Art ihrer Erledigung in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung gehört. Diese wird aber angesichts der großen Finanznot vieler Städte und Gemeinden zunehmend ausgehöhlt, deren Zahl nicht nur in Nordrhein-Westfalen, wo 2010 lediglich zwei Städte noch über einen ausgeglichenen Haushalt verfügen und über 60 Prozent bereits „Haushaltssicherungskommunen“ sind, bei denen das Innenministerium direkt bei der Etaterstellung mitwirkt, stetig wächst.

Betrafen Kürzungen von Kulturetats in den vergangenen Jahren vor allem die steigende Zahl solcher „Haushaltssicherungskommunen“ im ehemals industriellen Nordrhein-Westfalen, so leiden seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 auch zunehmend die kommunalen Kulturhaushalte in den anderen Bundesländern unter Einsparauflagen. Dabei werden die Kulturetats, die gegenwärtig davon noch nicht betroffen sind, sondern 2010 sogar noch Zuwächse zu verzeichnen haben – wie beispielsweise Frankfurt/Main und Freiburg –, ab 2011 ff. aller Voraussicht nach angesichts sinkender Steuereinnahmen und wachsender Ausgabenbelastungen auch unter Kürzungsdruck stehen.

Kommunale Auswirkungen von Sparmaßnamen auf Länderebene
Zudem wird die grundgesetzliche „Schuldenbremse“ die Länder ab 2011 zwingen, ihre Ausgaben zu reduzieren, was auch die Kommunen betreffen wird. So sollen zum Beispiel in Hessen die Mittel für den Kommunalen Finanzausgleich um 400 Mio. Euro gekürzt werden – zusätzlich zu 266 Mio. bei den Fachausgaben. Die sächsische Regierung hat angekündigt, in den beiden kommenden Jahren jeweils 1,7 Mrd. Euro einsparen zu wollen, das sind zehn bis 15 Prozent des laufenden Haushaltes. Der Kunst- und Kulturetat soll um zehn Prozent gekürzt werden. In Schleswig-Holstein ist angekündigt worden, die Mittel für Kultur und kulturelle Bildung in diesem Jahr um zehn Prozent und den beiden folgenden Jahren um noch einmal 15 Prozent zu kürzen. In anderen Flächenländern wird es nicht anders sein.

Diese angekündigten oder absehbaren Kürzungen der Landeshaushalte und Landeskulturetats werden direkte Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Kommunen und deren Kulturhaushalte haben. Der doppelte Druck, unter dem diese insofern stehen, als einerseits ihre Einnahmen wegen zurückgehender Steuern, Gebühren und Landeszuweisungen sinken, und als andererseits ihre Ausgaben wegen zunehmender gesetzlicher Verpflichtungen durch die Bundes- und Landesebene steigen, wird sich in den kommenden Jahren weiter erhöhen. Allein das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretene „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ bringt den Kommunen noch einmal 1,6 Mrd. Euro Mindereinnahmen wegen der Steuergeschenke an HotelbesitzerInnen, reiche Erben und Familien, und die Veränderung der Unternehmenssteuerreform wird die Städte voraussichtlich weitere 1,8 Mrd. Euro kosten. Die Steigerung des Gemeindeanteils an den Sozialausgaben, u. a. wegen der Senkung der Wohngeldzuschüsse des Bundes für Hartz-IV-EmpfängerInnen, lässt den kommunalen Anteil an den Sozialausgaben von 10,3 Mrd. auf 12,1 Mrd. Euro steigen. Erst im Laufe dieses und des kommenden Jahres werden die erhöhten Kosten der Städte wegen des von der Großen Koalition verabschiedeten Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz für Null- bis Dreijährige absehbar sein. Diese und eine Reihe anderer politisch zu verantwortender Maßnahmen verstärken die wegen der Einnahmerückgänge durch die Wirtschaftskrise bereits desaströse Situation der Kommunalfinanzen.

An deren Situation gibt es wenig zu deuteln. Der „Gemeindefinanzbericht 2009“ und der Bericht des Deutschen Städtetages „Aktuelle Finanzlage der Städte – Rückblick auf 2009 und Prognose für 2010“ sowie die Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres sprechen eine deutliche Sprache. Danach liegt das Defizit in den Gemeindehaushalten 2009 bei 4,45 Mrd. Euro. Für 2010 bis 2013 wird von einem jeweils jährlichen zweistelligen Defizit zwischen elf bis 13,5 Mrd. Euro ausgegangen. Die Haushalte vieler Städte drohen zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben zu werden: zwischen sinkenden Einnahmen und steigenden Ausgaben. Von daher sind auch die gegenwärtigen Kürzungen vielfach nicht mehr als der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“. Das trifft vor allem dann zu, wenn versucht wird, der kommunalen Verschuldung über Kürzungen bei den „freiwilligen Leistungen“ Herr zu werden. In einer Reihe besonders hoch verschuldeter Städte würde nicht einmal die Einstellung aller Kulturausgaben und die Schließung aller Kultureinrichtungen reichen, um das städtische Defizit auszugleichen. Diese strukturelle Schieflage der Kommunalhaushalte wird zunehmend auch in der Landes- und Bundespolitik wahrgenommen, weswegen seit März eine von Bund, Ländern und Kommunen besetzte Gemeindefinanzkommission über eine grundsätzliche Neuregelung der Kommunalfinanzierung diskutiert.

Die Notwendigkeit politischer Übergangslösungen
Bis zu dieser Neuregelung sind aber politische Übergangslösungen notwendig, damit es nicht zu radikalen Einschnitten im Bereich der kulturellen Vielfalt kommt. Hierzu gehört u. a. eine befristete Hilfe des Bundes für Not leidende Kommunen, wie sie in der Anhörung im Bundestag im Frühjahr diskutiert wurde. Besonders sind natürlich auch die Länder gefordert, unterstützend einzugreifen und zudem nicht die Landesmittel für Kultur und die Kommunen zurückzufahren. Vor allem gilt es seitens der Länder, der unsinnigen und verfassungswidrigen Praxis vieler kommunaler Aufsichtsbehörden Einhalt zu gebieten, aus der Unterscheidung von Pflicht- und freiwilligen Aufgaben der Kommunen eine Priorisierung der Sparauflagen abzuleiten.

Sowohl die grundlegende Neuregelung der Kommunalfinanzierung wie die gegenwärtig notwendigen Übergangslösungen und eine andere Verteilung anstehender Kürzungen, die alle Bereiche kommunaler Aufgaben einbezieht, sind aber nur zu erreichen, wenn die sich seit vergangenen Herbst in einigen Städten wie Wuppertal, Stuttgart, Dortmund und Osnabrück formierenden Protestaktionen der KulturakteurInnen auf andere Kommunen und Landeskulturverbände ausweiten und mit Protesten in anderen kommunalen Feldern, besonders im Jugend-, Sport- und Sozialbereich, sowie mit Aktivitäten von KommunalpolitikerInnen verbunden werden.

Bernd Wagner ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, stellvertretender Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft in Bonn und verantwortlicher Redakteur der Kulturpolitischen Mitteilungen sowie des Jahrbuches für Kulturpolitik (www.kupoge.de).

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