Kunstfreiheit: Wenn Schweigen zum Programm wird...

Stellungnahme der IG Kultur Österreich zur Petition betreffend "Für die Freiheit der Kunst - gegen die Verunglimpfung und Diffamierung von Künstler*innen!"

Die künstlerische Freiheit ist in Österreich seit 1982 verfassungsmäßig garantiert: 

„Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst, sowie deren Lehre sind frei“ Art 17, StGG. 

Darüber hinaus hat sich Österreich mit Ratifikation zahlreicher internationaler Verträge dazu verpflichtet, auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene die Kunstfreiheit zu garantieren. [1]

Die Garantie der Kunstfreiheit steht damit vor allen Gesetzten und Vorschriften, die sich in irgendeiner Weise mit Kunst befassen. Sie setzt staatlichen Handeln bewusst Grenzen, insoweit als dem Staat untersagt ist, zu bestimmen, was Kunst ist. Das österreichische Recht wie die österreichische Rechtstradition verpflichten sich zu einem offenen Kunstbegriff, der staatliches Kunstrichterum untersagt. 
 

37 Jahre später und 100 Jahre nach Abschaffung der „präventiven Zensur“ (Vorzensur) in Österreich im Jahre 1918 ist jedoch ein wieder Erstarken eben jener Kräfte auf der politischen Landkarte zu beobachten, die diese am Liebsten wieder einführen wollen. 

Unverhohlen wird von politischen Repräsentanten öffentlich Zensur gefordert. Unverhohlen wird öffentlich mit Förderkürzungen gedroht, sollten Kulturschaffende ihre Aktivitäten nicht wie gewünscht anpassen oder einstellen. Nicht anders ist es zu werten, wenn öffentlich die Streichung von Passagen in Theaterstücken gefordert wird, wie bei den Nestroy-Spielen Schwechat der Fall. Nicht anders ist es zu werten, wenn Kultureinrichtungen dazu aufgefordert werden, sie mögen sich angesichts ihres zur Debatte stehenden Förderantrags besser nicht politisch äußern, wie beim Forum Stadtpark der Fall. Nicht anders ist es zu werten, wenn Künstler*innen wegen ihrer öffentlich vorgebrachten Analysen zur gesellschaftlichen Verfasstheit wegen „Verhetzung“ verklagt werden sollen, wie bei den in der Petition erwähnten Schriftstellern der Fall. 

Derartige Drohungen sind einer liberalen Demokratie, noch dazu einer, die sich auf die Kunstfreiheit in ihrer Verfassung beruft, nicht nur unwürdig; Auch das Schweigen dazu seitens des für Kunst und Kultur zuständigen Bundesministers ist unwürdig. Ein Schweigen, dass sich auch in der Stellungnahme des Büros des Bundesministers Gernot Blümel[1] zur aktuell vorliegenden Petition wiederholt und damit die Anwürfe gegen Künstler*innen unwidersprochen lässt. 
 

Drohgebärden, privatrechtliche Klagen und Klagsdrohungen dürfen nicht verharmlost werden. Sie zielen darauf ab, Kunst- und Kulturschaffenden die Lust am Kunstschaffen auszutreiben.[1] Und sie erzielen die angestrebte schikanierende Wirkung, unabhängig davon, wie ein etwaiges Rechtsverfahren oder die Fördermittelvergabe letztlich entschieden wird. Denn sie stellen eine finanzielle, zeitliche und psychische Belastung für die betroffenen Kunst- und Kulturschaffenden dar. Sie bestärken jene (Teil)Öffentlichkeiten, die Kunstschaffende an den Pranger stellen, bedrohen und diffamieren möchten, und signalisieren Legitimität derartiger Anfeindungen und Drohungen. Und sie haben vor allem eine klare Signalwirkung für andere Kunst- und Kulturschaffende, ihr Handeln zu überdenken und sich selbst zu zensurieren, damit nicht auch sie sanktioniert werden. Es ist eben nicht nur eine Rechtsfrage. Es ist auch eine Frage der politischen Haltung, ob zu Anfeindungen, Diffamierungen und Einschüchterungsversuchen von Kunst- und Kulturschaffenden geschwiegen wird oder ob entschieden dagegen aufgetreten wird.  

Der aktuelle internationale Monitoringbericht zur Lage der Kunstfreiheit[1] von Freemuse warnt eindrücklich vor der Zunahme von Zensur und Selbstzensur unter KünstlerInnen, vor allem im Kontext digitaler Plattformen. Detaillierte Studien unter schwedischen KünstlerInnen[1] belegen das zunehmend feindliche Arbeitsklima für Kunst- und Kulturschaffende: jede*r sechste Autor*in und bildende Künstler*in wurde in den vergangenen zehn Jahren bedroht, physischer Gewalt oder Vandalismus ausgesetzt; jede*r zehnte Künstler*in war alleine im vorangegangenen Jahr sexueller Belästigung, Drohungen oder physischer Gewalt ausgesetzt. Eine von vier dieser bedrohten Künstler*innen wurde von Vertreter*innen politische Organisationen oder Individuen mit politischen Motiven, zumeist Rechtsextremen und rassistischen Gruppierungen, bedroht. Mehr als ein Drittel von ihnen hat daraufhin sich selbst zensuriert – und geplante künstlerische Aktivitäten nicht realisiert. Selbstzensur ist keine abstrakte Größe, sondern ein messbarer Effekt von Drohgebärden und Bedrohungen von Kunst- und Kulturschaffenden.

Gerne würden wir auf Daten und Analysen zur Situation österreichischer Kunst- und Kulturschaffenden verweisen. Österreich ist jedoch in sämtlichen Analysen zum Status der Kunstfreiheit ein blinder Fleck. Weder werden Daten von einer unabhängigen Monitoring-Einrichtung erfasst noch können wir einen politischen Willen verorten, derartige Studien zu beauftragen oder betroffenen Kunst- und Kulturschaffenden unabhängige Unterstützung anzubieten. Der Befund zu Österreich bleibt auf jene wenigen, medial dokumentierten „Einzel“fälle namhafter Künstler*innen und Kultureinrichtungen beschränkt, die schier aufgrund ihres großen Bekanntheitsgrades den Schritt in die Öffentlichkeit wagen und Zensurversuche öffentlich machen können. Der Verdacht, dass es sich – wie auch der internationale Freemuse-Monitoringbericht zur Kunstfreiheit feststellt – damit lediglich um die Spitze des Eisberges an Bedrohungen der Kunstfreiheit handelt, liegt nahe. So trifft auch der Befund des Geschäftsführers von Freemuse, Ole Reitov, ohne Zweifel auch auf Österreich zu: 

„In vielen Ländern werden Verletzungen der Kunstfreiheit schlichtweg kaum dokumentiert aufgrund von Angst, Selbstzensur und Repressionen. Förderungen für die Dokumentation [von Verletzungen der Kunstfreiheit] zu bekommen ist fast unmöglich, mit einigen Ausnahmen wie etwa durch die Regierung Schwedens. FördergeberInnen tendieren dazu, nur das Monitoring der Medien- und Internetfreiheit zu unterstützen; die kleine Anzahl engagierter Personen, die Verletzungen der Kunstfreiheit dokumentieren und sich dafür einsetzt, ist letztlich überschaubar.“[1] 


Angesichts eines gesellschaftspolitischen Klimawandels, bei dem Anfeindungen, Diffamierungen und unverhohlene Einschüchterungs- und Drohversuche gegenüber Kunst- und Kulturschaffende wieder salonfähig werden, reicht ein Bekenntnis der politische VerantwortungsträgerInnen zur Freiheit der Kunst nicht aus. Es braucht ein entschiedenes Auftreten gegen jegliche Formen der Einschränkungen künstlerischer Freiheit durch konkrete Maßnahmen. Dies beginnt mit der Einsicht, dass Einschränkungen künstlerischer Freiheit auch in Österreich Thema sind und nicht ignoriert werden dürfen. Österreich ist weder eine Insel der Seligen noch immun gegen direkte und indirekte Einschränkungen der Kunstfreiheit. 

  • Es braucht einen breit angelegten gesellschaftlichen Dialog zur Bekräftigung der Kunstfreiheit als auch der Identifikation und Benennung der real existierenden Einschränkungen und Bedrohungen der künstlerischen Freiheit von Kunst- und Kulturschaffenden in Österreich – initiiert etwa durch Abhaltung eines parlamentarischen Hearings mit betroffenen Kunst- und Kulturschaffenden, ihren Interessenvertretungen wie international erfahrenen ExpertInnen, um einen Aktionsplan zu weiteren Maßnahmen zu definieren.  
  • Es braucht eine faktenbasierte Auseinandersetzung mit den mannigfaltigen Einschränkungen künstlerischer Freiheit in Österreich, die sich auf quantitative wie qualitative Datenanalysen stützen kann, um nicht nur die Spitze des Eisbergs, sondern die verborgene Breite und Tiefe des Problems in den Blick zu bekommen. Die in Schweden durchgeführten Studien bieten für eine derartige Analyse einen guten Ausgangspunkt (siehe Fußnote 3). 
  • Es braucht unabhängige Monitoring-Einrichtungen wie auch Beratungs- und Unterstützungsstellen, die betroffenen Kunst- und Kulturschaffenden konkrete, einzelfall-spezifisch Beratung als auch Hilfestellung bieten können. Sich gegen Einschränkungen der Kunstfreiheit zu wehren, darf keine Frage des öffentlichen Renommees oder der individuellen Ressourcenlagen von Kunst- und Kulturschaffender sein. 
  • Es braucht eine kritische Überprüfung der Maßnahmen der Kunst- und Kulturpolitik wie auch der Instrumente der Kunst- und Kulturförderung auf inhärent wirksame Mechanismen der Diskriminierung, die die Kunstfreiheit einschränken. Denn auch dies zeigen internationale Analysen: Bestimmte Gruppen an Kunst- und Kulturschaffenden sind mehr Einschränkungen und Bedrohungen in ihrem Schaffen ausgesetzt, als andere. Hierzu zählen vor allem Künstlerinnen, Kunst- und Kulturschaffende die eine andere Nationalität besitzen als auch Vertreter*innen von „Minderheiten“ – wie etwa der LGBTIQ-Community.
     

Schließlich, auch dies muss in diesem Kontext betont werden, ist und bleibt das wirksamste Druckmittel der Politik gegenüber Kunst- und Kulturschaffenden stets das Geld. Jede Vergabe öffentlicher Subventionen entfaltet selektive Wirkung. Selbst unter günstigen Bedingungen wird immer nur ein bestimmter Prozentsatz an Förderwerber*innen Unterstützung für die Realisierung ihrer geplanten Kunst- und Kulturaktivitäten erhalten. Im Sinne der verfassungsmäßig verankerten Kunstfreiheit gehört es daher zu den ureigensten Pflichten des Staates Österreich, Kriterien und Prozesse der Vergabe öffentlicher Fördermittel möglichst transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Denn mit Verankerung der Kunstfreiheit wurde dem Staat untersagt, zu definieren, was Kunst ist und was nicht. Dies gilt ebenso für politische Parteien. Förderentscheidungen müssen im Sinne des offenen Kunstbegriffs auf transparente Weise in einem kommunikativen Prozess durch pluralistisch besetzte Gremien getroffen werden. Dies zu gewährleisten ist Pflicht- und nicht Küraufgabe jeglicher öffentlichen Fördermittelvergabe. Sie darf weder willkürlich noch auf Basis parteipolitischer Interessen erfolgen. Die im letzten Jahr dokumentierten Drohgebärden gegenüber Kunst- und Kulturschaffenden belegen gegenteilige Intentionen. Dieser partiepolitisch-motivierten Einflussnahme Einhalt zu gebieten sollte sich von selbst verstehen. Dass es das nicht ist, zeigt die Entwicklung im letzten Jahr. 

 

Zur Petition betreffend "Für die Freiheit der Kunst - gegen die Verunglimpfung und Diffamierung von Künstler*innen!".


Foto: See no evil, speak no evil, hear no evil, © Dion Hinchcliffe 2012 (CC BY-SA 2.0)


1 Exemplarisch seien erwähnt: Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Art. 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschrechte, Art. 13 der EU-Grundrechtecharta sowie Art. 2 der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. 

2 Stellungnahme des Büros des Bundesministers für EU, Kunst, Kultur und Medien vom 12.12.2018 zu der Petition (8/PET) (XXVI.GP) 

3 zu den folgenden Ausführungen siehe auch die wissenschaftlichen Analysen in: Zembylas Tasos (Hg), 2000: 1. Teil Kunst und Rechtsnormen. Umfang und Konkretisierung der Kunstfreiheit, in: Kunst und Politik, Studienverlag, Innsbruck / Wien / München 

4 Freemuse, 2018: The State of Artistic Freedom

5 Swedish Agency for Cultural Policy Analysis, 2016: Threatened culture?, Swedish Arts Grants Committee Report, 2017: A study of artists’ working environment

6 Ole Reitov, o.J.: „Five challenges to artistic freedom“, veröffentlicht von der UNESCO, Übersetzung IG Kultur Österreich

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