Die Konsolidierung der Kultur - Gerald Gröchenig über die Gründungszeit der IG Kultur
Es war nicht leicht für die Kultur, sich zusammenzuschließen. Man war es gewohnt vereinnahmt oder gegeneinander ausgespielt zu werden. Schließlich gelang es Gerald Gröchenig, erstem Generalsekretär der IG Kultur nach der Gründung im Juni 1990 und nach einem turbulenten Jahr ging er bereits wieder. Wir blicken mit ihm zurück auf seine Anfänge im Kulturbereich, die schwierige Konsolidierung der Szene und was sich in den 40 Jahren seiner Karriere so alles im Sektor verändert hat.
Patrick Kwasi: Welchen Begriff verwendest du eigentlich, um die Kultur zu bezeichnen, die wir betreiben?
Gerald Gröchenig: Partizipative Kulturarbeit, vielleicht freie Kulturarbeit, autonome Kultur. Alle haben eine Begrifflichkeit aus der Ecke, aus der sie kommen. Bei mir waren es die freien Medien — demokratische Medien oder Medien von unten nannte man es damals. Da war Partizipation ein wichtiger Begriff.
Kwasi: Wie hast du die Szene in den 80er Jahren, in deinen ersten Jahren wahrgenommen?
Gröchenig: Alle haben in ihren Nieschen operiert und es gab nur sehr wenig Vernetzung. Langsam hat man realisiert, dass das aber notwendig wäre. Von der Politik wurde man noch stark gegeneinander ausgespielt – das gibt es heute bestimmt auch noch, aber es funktioniert nicht mehr so einfach, seit es die Vernetzungen gibt.
Kwasi: Wie ist denn damals die Politik mit euch umgegangen?
Gröchenig: Der erste Kulturabteilungsleiter einer Stadt, dem ich gegenüber gesessen bin, saß wirklich noch mit Ärmelschonern da. Freie Kultur gab es nicht, Frauenkultur gab es nicht — Kultur waren Festspiele und Landestheater.
Kwasi: Was waren in deiner Anfangszeit die drängenden Themen?
Gröchenig: Der Umweltgedanke war bereits da, auch soziale Themen und die Antiatomkraftbewegung um Zwentendorf waren groß und auch die Frage der Selbstverwirklichung, wie man für seine Szene engagiert eintreten kann. Häuser, in denen man sich ohne Konsumzwang treffen konnte, waren vor allem für Youngsters sehr wichtig.
Kwasi: Wie ist es zur Gründung der IG Kultur gekommen?
Gröchenig: Die IG Kultur ist schon länger in der Luft gelegen. Die KUPF Oberösterreich war damals das leuchtende Beispiel für alle, die haben sogar schon vom Land Geld gekriegt. Es hat den Dachverband Salzburger Kulturstätten gegeben, den ich auch mitgegründet habe und der die Kulturinitiativen der Stadt vernetzt hat. Und es hat die Tiroler Kulturinitiativen gegeben und jene in Vorarlberg. Da gab es bereits die Idee, dass der Bund auch für Kultur zuständig ist und nicht nur für Festspiele. Deshalb hat man gesagt, man muss sich auch bundesweit vernetzen, um voneinander zu lernen, um gemeinsam agieren zu können, aber auch, um einen Fuß in die Tür zu bekommen. So ist die IG parallel zur Einrichtung einer Förderabteilung für freie Kulturinitiativen entstanden. Da lag es also schon in der Luft, dass man sich zusammentut.
Kwasi: Warum hat das so lange gedauert?
Gröchenig: Man muss sich vorstellen, dass es nicht die Kommunikationsmöglichkeiten wie heute gab. Es gab keine Handies, mit etwas Glück hatte man ein Fax-Gerät. Es war nicht so einfach! Man muss kommunizieren, um Dinge zu entwickeln und dafür musste man sich noch wirklich treffen. Im Kulturbereich gab es aber auch die weitverbreitete Angst, vereinnahmt zu werden. Wenn man nicht direkt abchecken kann, was das genau wird, dann dauert das länger, bis der Kommunikationsprozess so weit ist, bis man merkt, dass man zusammenarbeiten kann und Mitglied wird.
Kwasi: Irgendwann hat man sich zum Zusammenschluss durchgerungen, aber die Anfangsjahre blieben noch recht turbulent…
Gröchenig: Die Anfangsjahre waren lustig! Es gab die Gründungsversammlung in Salzburg, dort war auch das erste Büro der IG Kultur. Wir haben begonnen Dinge zu entwickeln, also nach innen für die Mitglieder zu reflektieren, was wir machen und warum das wichtig ist und auch schon nach außen hin die Szene zu repräsentieren und zu zeigen, warum der Kulturbereich für die Gesellschaft wichtig ist. Das braucht jede Firma, also erst einmal die Kommunikationswege zu gestalten.
Es hat ja überall gebrannt! Wir haben dann vier Punkte abgearbeitet und darunter war auch die Rechtsberatung. Wir hatten dann schnell 400 Mitglieder und wussten, wenn ein Verein ein rechtliches Problem hat, dann kannst du Gift darauf nehmen, dass das 20 andere auch haben. Wir haben dann mit einem Rechtsanwalt Fallbeispiele ausgearbeitet, uns mit Haftungsfragen und Urheberrecht beschäftigt. Es gab damals auch noch nicht die Ausbildungen, mit denen alle dann als Querschnittsexpert*innen durchs Leben gehen wie heute und immer wissen, wie mit diesen Fragen zu verfahren ist.
Kwasi: Wie ist denn die Politik mit der neugegründeten IG Kultur umgegangen?
Gröchenig: Wir sind dann erstmals zur Kulturreferentenkonferenz des Landes eingeladen worden, was schon ein großer Erfolg war. Das hing aber immer von Personen ab. Wenn die Kulturamtsleiter wussten, worum es geht und die jungen Leute auch ernst genommen haben, wurden wir auch eingeladen, unsere Konzepte zu präsentieren. Das war immer davon abhängig, wer dort sitzt, das hat sich aber auch laufend verbessert. Dann gab es das Hearing der Ministerin Havlicek. Und mit jedem Meeting war man präsenter und konnte sich besser behaupten.
Kwasi: Du bist ja dann nach einer turbulenten Zeit auch relativ bald wieder gegangen. Woran ist es gescheitert, bzw. spiegeln für dich diese Tumulte wieder, dass die Kultur Schwierigkeiten hatte, sich zu konsolidieren?
Gröchenig: Wenn du einen offenen Verein hast, der basisdemokratisch organisiert ist und wie in unserem Fall sehr diverse Gruppen vereint, die sonst nie zusammenarbeiten würden, nämlich ein autonomes Frauenzentrum in Innsbruck und ein Jugendzentrum in Wien, mit einer sehr männlich dominierten Vereinsstruktur — wenn du versuchst die gemeinsam in einen Vorstand zu bringen, dann kannst du erst mal stolz sein, dass du das überhaupt geschafft hast, dich zusammenzuschließen! Da muss man sich schon auf das gemeinsame Interesse konzentrieren und die Leute auch darauf einschwören. Dass es da dann immer Probleme gibt, verschiedene Zielvorstellungen, es Leute gibt, die andere Vorstellungen haben und in eine andere Richtung gehen wollen und der Prozess auch viel Energie bindet, das wissen alle, die jemals einen Verein gegründet haben!
30 Jahre ist das nun her. Wenn ich da nun zurückblicke, würde ich sagen, dass es immer wieder ein Korrektiv gab, dass die richtige Richtung wieder gefunden hat. Wenn man sieht, wie es jetzt läuft, dann weiß man, dass es schon gepasst hat, dass man sich auch aus der eigenen Geschichte heraus immer wieder auf das Wesentliche konzentriert hat. Das hat diese Organisation bis jetzt blendend geschafft!
Beitrag als Podcast:
Kwasi: Wie hat sich die IG Kultur in den letzen 30 Jahren verändert?
Gröchenig: Sie ist professioneller geworden, sie agiert jetzt auch sehr rasch und hat auch ein großes Ansehen. In der Corona-Zeit hat man gesehen, dass die Expertise nicht nur in der Kulturentwicklung liegt, sondern die Politik merkt, dass man froh sein kann, so eine Partnerin vorzufinden. Wenn man rundherum hört, dass sich auch die Verwaltung auf der Homepage der IG Kultur informiert, merkt man, dass sie diesen Stellenwert wie heute noch nie hatte. Und das kommt der ganzen Szene zugute.
Kwasi: Wie würdest du denn sagen, dass sich die Szene in den fast 40 Jahren verändert hat, seit du aktiv bist?
Gröchenig: Die Szene ist professioneller geworden. Sie ist größer, sie ist auch diverser geworden. Auf der anderen Seite kommt das weniger zur Geltung, vieles ist nicht direkt in den Programmen verankert. Der Nachhaltigkeitsbegriff, mit dem ich mich jetzt im speziellen beschäftige, der 1987 bereits in der Brundtland-Definition festgelegt wurde, ist nach über 30 Jahren noch nicht so weit gekommen, dass man ihn selbst lebt.
Kwasi: Hattest du das Gefühl, dass der eigentlich erst entstehende Kulturbereich in den 80er Jahren in den aufkommenden Umweltfragen stärker involviert war?
Gröchenig: Er war beteiligt, das Problem war aber, dass man es nicht gelebt hat. Jedes Theater hat mal ein Projekt zum Klima gemacht, aber man hatte immer die Haltung, dass wenn man es als künstlerischer Produktionsort nach außen trägt, ist es damit getan. Aber wie man es selbst lebt und welche Konzepte man hat, das wird erst jetzt langsam Thema.
Kwasi: Ich habe stark das Gefühl, dass die jetzige Klimabewegung, die wieder eine starke Jugendbewegung ist, fast komplett am Kulturbereich vorbeigegangen ist. Haben wir das verschlafen?
Gröchenig: Was zeigt uns die Realität? Sie sagt uns, dass wir hier nicht präsent waren und einen Nachholbedarf haben. Wir waren da nicht Ansprechpartner und die jungen Leute haben das dann selbst gemacht. Nicht die Youngsters sollten darüber nachdenken, sondern wir.
Kwasi: Wieso haben wir keinen Anschluss mehr an die Jugend?
Gröchenig: Das wäre unsere Bringschuld, wir haben uns da was erarbeitet, aber wir müssen auch Sorge tragen, es an folgende Generationen weiterzugeben. Die Leute, die das alles aufgebaut haben, gehen langsam in Pension. Es ist auch eine interessante Frage, wie man das übergibt und weiterführt. Wenn ich mich erinnere, wie ich 18 Jahre alt war — da bin ich auch zu keinem 50-jährigen gegangen und habe gefragt, ob sie mir nicht helfen, irgendetwas zu machen, sondern ich habe es einfach gemacht! Vielleicht sollten wir den Fehler nicht machen und etwas aufmerksamer dafür sein, was da nachkommt und was wichtig wäre.
Kwasi: Wie hat sich der Umgang der Politik mit der Szene geändert?
Gröchenig: Die Szene wird ganz anders wahrgenommen, es gibt bei der Politik eigene zustände. Früher bist du immer zwischen den Theater- und Musikzuständigen gestanden und sie haben dich hin- und hergeschickt. Das hat sich professionalisiert, die Szene wird wahr- und ernstgenommen. Das hat sich sehr zum Positiven geändert. Inwiefern die Politik heute die Notwendigkeiten sieht, ist fraglich, sie scheint immer nur auf Druck zu reagieren.
Kwasi: Was denkst du, was abgesehen von der Pandemie die wichtigsten Themen der nächsten Jahre sein werden?
Gröchenig: Demokratisierung, Gleichberechtigung und der ganze Nachhaltigkeits- und Klimaaspekt. Da gehört auch soziale Nachhaltigkeit dazu, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können, dem Grundeinkommen oder ähnlichen Modellen, wenn die Arbeit wegbricht.
Kwasi: Wie siehst du die Zukunft der freien Kulturarbeit?
Gröchenig: Sie ist absolut wichtig, weil sie Nischen wahrnimmt und Möglichkeiten für neue Bewegungen schafft, sich zu etablieren, eine Raum schafft, Gedanken zu wälzen, Probleme zu bearbeiten und diese Freiräume schafft. Trotz jeder Professionalisierung hat jedes Theater noch seine Nischen, in denen man Dinge probieren kann, selbst die großen Häuser und bei den mittleren und kleinen gehört es sowieso zum Programm dazu.
Kwasi: Worauf denkst du, sollte sich die IG Kultur für die nächsten Jahre einstellen?
Gröchenig: Die große Herausforderung wird Nachhaltigkeit, da wird es einiges an Hilfe brauchen. In Deutschland gibt es schon Fördermodelle, die sich an der Nachhaltigkeit eines Betriebes ausrichten, von Klima und Ökologie aber auch bezüglich Geschlechtergerechtigkeit und Diversität bei den Mitarbeitenden bis hin zur sozialen Nachhaltigkeit. Das wird ein spannendes Thema und darauf sollte man sich vorbereiten. Da kann man einiges unterbringen, was bereits tragend ist, wie Fair Pay. In ein paar Jahren wird das für alle Thema sein und nicht nur für den Kulturbereich. Hier ist der Sektor Avantgarde dafür, was die Thematiken betrifft. Wir waren immer das Versuchslabor, deshalb sollte man da nun auch vorausdenken.
Gerald Gröchenig ist Kulturmanager und Geschäftsführer der Europäischen Theaternacht. Er war Geschäftsführer des Dachverbands Salzburger Kulturstätten und maßgeblich an der Gründung der IG Kultur beteiligt, zu der er nach Jahrzehnten für das ASSET Projekt zur Publikumsentwicklung und nun als Karenzvertretung der Geschäftsführung zurückgekehrt ist.