„Dann überlegt man sich zwei Mal, ob man kritisiert oder die eigenen Leute schützt.“ - Ruth Simsa, WU, über den Stand der Demokratie in Österreich

Ruth Simsa, Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien, hat gemeinsam mit der IGO, der Interessensvertretung Gemeinnütziger Organisationen, im Zivilgesellschaftsindex empirisch erhoben, wie sich Klima und Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich verändert haben. Es ist nicht zuletzt ein Indikator für die Demokratieentwicklung in Österreich. Wir haben mit ihr gesprochen.

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Kwasi: Was ist denn die zentrale Aussage des Zivilgesellschaftsindex?

 

Simsa: Die Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen sind deutlich schlechter geworden. Vor allem das politische Klima, der allgemeine Diskurs und die Möglichkeiten der Partizipation haben sich verschlechtert. Es widerspricht krass der Tradition Österreichs, was hier passiert.

 

Kwasi: Welche Entwicklungen sehen Sie da auf uns zukommen? Es wurde ja bereits angedeutet, dass sich Österreich in Richtung autoritärer Staat entwickeln könnte.

 

Simsa: Österreich ist keine illiberale Demokratie, man kann es jetzt nicht vergleichen mit Ländern wie Ungarn, der Türkei, Russland und so weiter. Aus diesen Ländern gibt es allerdings Daten, die zeigen, dass die Zivilgesellschaft immer unter den ersten Zielen autoritärer Regime ist. Die Entwicklung hin zu einem autoritären Regime passiert ja meistens nicht durch einen Staatsstreich oder ein anderes plötzliches Ereignis, sondern in kleinen Schritten. Bei dem was gegenwärtig in Österreich der Fall ist, so zeigen uns unsere Ergebnisse ein ganz deutliches Muster. Wir folgen genau diesen Entwicklungsschritten, die es in der Literatur aus anderen Ländern gibt.

 

Kwasi: Und welche Schritte wären das?

 

Simsa: Auf dem Weg zu einem autoritären Regime gibt es in Bezug auf die Zivilgesellschaft vier Schritte. Der erste spielt sich immer auf einer diskursiven Ebene ab, also dadurch, wie über die Zivilgesellschaft gesprochen wird. Da findet eine generelle Delegitimisierung und Abwertung der Zivilgesellschaft und der Menschen, die dort tätig sind, statt. Das sieht man zum Beispiel in den Narrativen des „NGO-Wahnsinn“ oder „Asylindustrie.“ Es sind Organisationen, die per Definition keinen Profit machen dürfen, denen wird Profitgier unterstellt und so weiter. 

Das Zweite ist die Partizipation. Die Zivilgesellschaft bekommt immer weniger Möglichkeit in politischen Entscheidungen mitzuwirken, ihre Expertise einzubringen.

Das Dritte betrifft Änderungen auf der Ebene der öffentlichen Finanzierung. Kritische, unabhängige, der Regierung unbequeme Zivilgesellschaft bekommt weniger Geld. Das sehen wir in Oberösterreich ganz deutlich. Kritische, unabhängige NGOs, vor allem jene, die in den Bereichen Frauen, Migration, Kunst, Arbeitsmarktpolitik und internationale Zusammenarbeit tätig sind, haben im ersten Jahr der Regierung deutliche Kürzungen erlitten. Oft sind diese existenzbedrohend für viele Organisationen. 

Viertens bemerken wir Änderung auf dem Policy Level bezüglich der Grundrechte. Auch da gibt es Änderungen, allerdings noch nicht so dramatisch.

 

Auf dem Weg zu autoritären Regimen gibt es also diese vier wesentlichen Schritte, 1. narrative Diskurse, 2. Einschränkungen der Partizipationsmöglichkeiten, 3. Änderungen in der öffentlichen Finanzierung und 4. die rechtliche Ebene, vor allem in Bezug auf bürgerliche Rechte.

 

Kwasi: Manchmal kommt das Argument, es handle sich um Alarmismus, weil ja noch nicht Verhältnisse wie in Ungarn herrschen würden. Wie begegnen Sie dem?

 

Simsa: Das Muster besteht oft aus vielen, im Einzelnen nicht dramatischen Dingen. Wenn man erkennt, dass viele kleine Schritte ein Muster in einer eindeutigen Entwicklungsrichtung ergeben, dann ist es wichtig, auch die Anfänge schon zu erkennen, um noch rechtzeitig Widerstand bieten zu können, solange es noch möglich ist.

 

Podcast zum Thema:


Kwasi: Welche Widerstandsformen zeigt der Sektor? Gibt es neue Überlebensstrategien? Wie wird darauf reagiert?

 

Simsa: Ich glaube, dass der Sektor, die Zivilgesellschaft in Summe lange Zeit recht erschrocken war. Viele berichteten uns von Angst, von erhöhter Vorsicht. Wenn es darum geht, dass Organisationen eben, weil sie wichtige Sozialleistungen erbringen, von öffentlichen Geldern abhängig sind, aber Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben, dann überlegt man sich zwei Mal, ob man kritisiert oder die eigenen Leute schützt. Dann gab es im ersten Jahr der schwarzblauen Regierung vieles an Kooperation der unterschiedlichsten Organisationen, die üblicherweise noch nicht so kooperiert hatten. Nun merken wir auch verstärkt die Entwicklung neuer Protestformen oder Formen des Widerstandes. Das beginnt bei verstärkten Bemühungen um Narrative. Es wird versucht im Kampf um das Narrativ eine stärkere Rolle zu spielen und viel überlegt, wie man zum Teil komplexe Inhalte gut transportieren kann, sodass es auch gehört wird.
Eine Protestaktion, die mich persönlich beeindruckt hat, war von der Attac am Schneeberg. Im Herbst gab es da diese Wanderung von Sebastian Kurz und plötzlich, als er gerade auch im Scheinwerferlicht war, haben sie ihre Dirndlschürzen gehoben und Symbole gegen den 12-Stunden-Tag wurden sichtbar. Das wäre so etwas wie eine neue Form, wo Symbolik und Ästhetik der bürgerlich-konservativen aufgegriffen wird und in einer ganz neuen Form eine Wendung erhält. Da geht es auch darum, die Inszenierungen, die die Politik immer stärker vornimmt, mit ihren eigenen Mitteln zu stören.

 

Ich muss allerdings auch sagen, dass die Zivilgesellschaft unter Stress steht, in Zeiten in denen sich der Arbeitsaufwand erhöht, die Ressourcen knapper werden, dann noch neben dem Alltagsgeschäft Zeit für die Entwicklung neuer Strategien aufzuwenden ist da vor allem für kleinere Organisationen sehr viel verlangt. Die Widerstandsformen sind wichtig und werden vor allem in den neuen Bündnissen entwickelt. Aber weil die Zivilgesellschaft unter Druck steht und man nicht alles ihnen überlassen kann, ist es auch wichtig eine Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit für diese bedenkliche Entwicklung zu gewinnen. Damit man diese kleinen Schritte sieht und erkennt.

 

Kwasi: Das ist ja ein wenig eine Situation David gegen Goliath, da das NGO-Bashing von der Schwarzblauen Regierung selbst kam und diese einen ganz anderen Einfluss hatte. Ist es ein Kampf auf verlorenem Posten? Wie können wir das noch beeinflussen? Wenn wir diese Tendenzen bereits auf so vielen Ebenen spüren, ist es dann nicht schon fast zu spät?

 

Simsa: Das glaube ich nicht! Da habe ich ein hohes Vertrauen in die Zivilgesellschaft und in die gesamte Öffentlichkeit Österreichs. Wir erleben ja gleichzeitig eine Destabilisierung von Institutionen, einen Skandal in der Politik nach dem anderen. Wir hatten auch in der Vergangenheit viele Situationen, in denen es nach David gegen Goliath ausgesehen hat. Die Umweltbewegung war am Anfang ihrer Entwicklung auch klein und schwach und ist mittlerweile völlig im Mainstream mit ihren Themen angekommen. Ich glaube fest daran, dass das Pendel wieder zurückschlägt. Die Zivilgesellschaft ist zwar momentan im Stress und wurde geschwächt, aber sie ist da und hat eine lange Tradition. Man darf auch nicht unterschätzen, wie viele Menschen aktiv sind und wie viele Menschen auch von ihren Leistungen profitieren. Ich glaube, dass die Zivilgesellschaft Österreichs nicht so schnell umzubringen sein wird.

 

 

 

Ruth Simsa, Wirtschaftsuniversität WienRuth Simsa ist Sozialwissenschafterin mit den Fachgebieten Soziologie und Ökonomie und Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie hat gemeinsam mit der IGO, der Interessensvertretung Gemeinnütziger Organisationen, im Zivilgesellschaftsindex empirisch erhoben, wie sich Klima und Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich verändert haben.

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