Universen des Widerstandes. Bücher über den Strand unterm Pflaster

<p>Zuerst dachte ich, interessant: zwei Bücher zum fast gleichen Thema, zur fast gleichen Zeit, genährt von Kontexten, die mir entweder nahe stehen oder denen ich gerne nahe stünde. Fantasieorte eben, des immer wieder geprobten und erträumten Widerstandspotentials. Zwei Bücher, das eine eher philosophisch, das andere mehr Methodiken der Performance theoretisch wie praktisch zugetan, beide wildernd in den jeweilig anderen Gebieten. Wunderbar, dachte ich und dann ist es

Zuerst dachte ich, interessant: zwei Bücher zum fast gleichen Thema, zur fast gleichen Zeit, genährt von Kontexten, die mir entweder nahe stehen oder denen ich gerne nahe stünde. Fantasieorte eben, des immer wieder geprobten und erträumten Widerstandspotentials. Zwei Bücher, das eine eher philosophisch, das andere mehr Methodiken der Performance theoretisch wie praktisch zugetan, beide wildernd in den jeweilig anderen Gebieten. Wunderbar, dachte ich und dann ist es doch fast gemein, zwei so nahe Bücher miteinander beschreiben und kritisieren zu wollen.

Worum handelt es sich? Begonnen habe ich mit Heide Hammers Revolutionierung des Alltags. Auf der Spur kollektiver Widerstandspraktiken, ist ja als erstes der beiden Büchern erschienen, das zweite durfte ich noch in den Druckfahnen durchschmökern, das mittlerweile erschienene Buch Possen des Performativen von Gini Müller. Heide Hammer widmet sich der Untersuchung von Machtformen und kollektiven Widerstandspraktiken: Sie erstellt in ihrem Buch eine Sammlung philosophischer Theorien wie aktivistischer Praxen, die entlang der Achsen von Machtkonstruktionen Verknüpfungen zu Erfahrungen des Widerstandes herstellt. Das Theoriegebäude fußt dabei zum Großteil auf einem Bausatz aus kritischer Theorie, marxistischen wie poststrukturalistischen Ansätzen. Linke Konzepte, Lust an der Veränderung, ja überhaupt Lust an der Macht konstatiert die Autorin als Motivation dieses Buch zu schreiben. Was sich dann aber schwierig erweist, wenn die Lust am Lesen in den Blockbauten des Nebeneinanders der grundsätzlich nicht unbekannten Ansätze verloren scheint. Fast hat eine das Gefühl, selbst nicht genug von Spinoza, Deleuze/Guattari, Michel Foucault, de Certeau, Negri und Hardt, Donna Haraway und Judith Butler, um nur ein paar der TheorielieferantInnen zu nennen, gelesen zu haben. In diesen Häuserschluchten ist es schwierig, sich nicht den Hals zu verrenken, obwohl auch Adorno oder Althusser altbekannte Fragesteller sind im Geflecht von ideologischen Staatsapparaten und Leben im falschen Leben. Fast wünschte sich die Leserin angesichts der etwas gar zu wilden Theorieverflechtungen den roten Faden in den Beschreibungen der Praxen der Zapatistas, des Mai 68 oder der riot grrrls zu finden, aber irgendwie springt der Funke nicht über, um die Lunte der Lust zu zünden. Was das Lesen aber deutlich erschwert, ist der unsägliche, wenn auch grafisch sehr hübsche Umgang mit Fußnoten: Die Menge und Länge an Anmerkungen übersteigt zu oft die Hälfte des eigentlichen Textes einer Seite und da sich diese auch als Fußnoten auf der Seite befinden, lassen sie sich nur schwer ignorieren. Da hätte es wohl gut getan, das Schema der wissenschaftlichen Arbeit ein wenig zu überarbeiten. An anderen Stellen wiederum, meist geht es dabei um Beschreibungen von Praxen, erweist sich das Buch als Sammlung kleiner Köstlichkeiten, die entdeckt werden wollen. Ein paar der Highlights sind dabei sicherlich Auszüge aus Sendungen des Freien Radiosenders Alice in Bologna, der Anfang 1976 seine Sendetätigkeit aufnimmt oder das Puddingattentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey der Kommune 1, das in die Geschichte der Spaßguerilla-Aktionen eingeht.

Gini Müllers Possen des Performativen nähern sich den Fragen von kollektiven Widerstandsformen über den Pfad theatraler Interventionsformen. Die theoretischen Ansätze, die sie heranzieht sind ähnlich bis gleich, jedoch werden sie völlig anders im Text verwoben. Die Autorin setzt nach einem kurzen Aufenthalt in den Passagen zwischen Theater und Performance die Reise mit den beiden antagonistischen Vehikeln „theatrum posse“ im „theatrum gouvernemental“ fort, und geht auf die Denkweisen des Regierens und die performativen Einsätze von Körper-Possen, Cyber-Sabotage, etc. ein. Gini Müller ermöglicht es dabei, Formen dieser Einsätze genauer in ihren Funktionsweisen und Taktiken zu analysieren. Wo Heide Hammers anerkennendes Nebeneinander von Praxen und Theorie lose Fäden aufzeigt, gibt Müller mehr als nur Ideen, wie diese Praxen gestrickt sind, vor. Ihr Weg durch diese Formen führt die Leserin von den transversalen Zusammenschlüssen in globalisierungskritischen Kontexten und den Entwicklungen rund um die mehr und mehr zu Hochsicherheitsinszenierungen hochstilisierten G8-Gipfel bis zu lokalen Formationen anlässlich der blau-schwarzen Regierungsbildung und Volxtheater-Karawanen-Touren. Die Sammlungen gehen immer wieder konkret auf Formen der Inszenierung ein und auf die sich verändernden Ansätze im Sinne radikal-demokratischer Politiken. Es werden aber auch selbstkritische Fragen nicht ausgespart, wie offen z.B. Zusammenschlüsse entlang von Migrationsregulierung und (europäischer) Vernetzungsarbeit sein können, wo Menschen ohne Papiere viel höhere Risiken eingehen, wenn sie sich im Kampf gegen Abschiebung organisieren. Was das Buch jedenfalls ans Licht bringt, ist ein gewisses Funktionieren von Multitude – einer Vielheit der Vielen –, die sich auch in den veränderten Formaten der Intervention auftut. Im letzten Teil des Buches vermag Gini Müller noch einmal die Diskursstränge um queere Aktionsformen zu erweitern und zeigt die Möglichkeiten taktischer Frivolität innerhalb als stabil gedachter antagonistischer Demonstrationen und deren Inszenierung.

Literatur

HEIDE HAMMER (2007): Revolutionierung des Alltags. Auf der Spur kollektiver Widerstandspraktiken. Wien: Milena

GINI MÜLLER (2008): Possen des Performativen. Theater, Aktivismus und queere Politiken. Wien: Turia und Kant

Marty Huber ist Aktivistin im Lila Tipp, der Lesbenberatung in der Rosa Lila Villa, Radiomacherin und Sprecherin der IG Kultur Österreich.

Ähnliche Artikel

Tanz jo Kassis Ein Zusammenschluss aus Kulturinitiativen und Interessensgemeinschaften plädiert, die Aktivitäten der zeitgenössischen Tanz- und Performanceszene sichtbar zu machen und sie nachhaltig in der Kärntner Kulturzeitschrift Brücke zu Verankern.
Gerhard Baumgartner vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Interview über Erinnerungskultur in Österreich, die Geschichte der Aufarbeitung, wie es um die FPÖ-Historikerkommission steht und was er vom Haus der Geschichte hält.
Lilo Nein (Hg.): Die anwesende Autorin. Wer spricht in der Performance? Berlin: Revolver 2011
Im_flieger wird durch eine Jahressubvention (MA7/Freien Gruppen und bmukk/Abt.IV/4) finanziert, mit der bis jetzt – weil im WUK verankert – keine Kosten für Raummiete, für den jährlichen Betrieb, für Proberäume und für Öffentlichkeitsarbeit aufgewendet werden mussten. Diese Situation hat sich nun radikal verändert.
Die Einkommenssituation ist deprimierend schlecht und schließt an den Befund aus der groß angelegten Studie zur sozialen Lange von Künstler_innen aus dem Jahr 2008 an: Alle Befragten geben ein Jahreseinkommen bis ca. 10.000 Euro an, nur wenige können diese Summe vollständig über ihre künstlerischen Tätigkeit verdienen.
2011 wird als das Jahr der politischen Unruhen in die Geschichte eingehen, als Jahr des internationalen Aufbegehrens, unterstützt durch die Möglichkeiten der Social Media. Weltweit gingen Menschen auf die Straßen, forderten Gerechtigkeit und Menschenrechte, protestierten gegen die Globalisierung.
Es ist mehr an Bedeutungs- und Geschichtsmächtigkeit im Spiel, als es zunächst scheint: Diesen Eindruck hinterlassen die in Dagegen muss ich etwas tun porträtierten AkteurInnen wie auch die Art, wie der Film sie in Szene setzt – in ihrem unerwarteten Mehr an Mächtigkeit.
Zenon Neumark hat dieses Buch geschrieben, um den jüdischen Widerstand festzuhalten, wie ihn (überlebende) Widerstandskämpfer_innen selbst erlebt haben.
Wurden die Demonstrationen Anfang 2000 noch weitgehend toleriert und von der VP-Spitze das Aussitzen als politisches Erfolgsrezept propagiert, so nimmt die Härte der Polizei im Laufe der Zeit zu. Immer öfter werden Demonstrierende eingekesselt, festgehalten, perlustriert und verhaftet. Immer öfter fällt auf, dass die Polizei zunehmend auf Eskalation denn auf Deeskalation setzt.
Bei Betrachtung der politischen Situation in Estland fällt die Diskrepanz zwischen der ausgesprochen fragmentierten Natur der linken Bewegung und der heftigen Reaktion des Staates auf das jüngste Aufkommen einer außerparlamentarischen sozialen Bewegung auf.