Neue Trends in der akademischen Welt

...jedoch vollzog der FWF einen bemerkenswerten und weitreichenden Perspektivenwechsel, der weit über neue Beurteilungsmethoden des Antrags hinausging: nämlich den Wechsel von der Beurteilung des Projekts zur Beurteilung der Person. Diese Wende stellte die bisherigen Verfahren auf den Kopf.

Ich hatte beim Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) ein sozialphilosophisches Projekt eingereicht und dieses nach mehrfacher Umformulierung letztlich nicht bekommen. Daran ist nichts Bemerkenswertes. Von allgemeinem Interesse dürfte jedoch der offensichtliche Wandel des Beurteilungsmodus von Seiten des FWF sein. Darüber möchte ich in aller Kürze berichten.

Bei der seinerzeitigen Ersteinreichung verhielt sich der FWF so wie in den Jahrzehnten vorher. Mehrfach wurde mir versichert, dass für Zuerkennung oder Absage ausschließlich die Qualität des Antrages relevant sei. Der Antrag konnte in deutscher Sprache abgefasst werden und ging dann in die Begutachtung. Der Aussage, es würde ausschließlich die Qualität des Projekts und sonst nichts beurteilt werden, stand ich immer schon skeptisch gegenüber. Ob es sich um einen Einzelantrag eines freischwebenden wissenschaftlich Arbeitenden handelte oder ob eine professorale Lehrkraft mit Reputation hinter dem Antrag stand, dieser Umstand war in der Vergangenheit zweifellos nicht unwesentlich. Aber bitte. Zumindest offiziell lautete das Credo: nur die wissenschaftliche Qualität des Antrags zähle. Dass die Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität eines Forschungsprojektes in mehrfacher Hinsicht eine heikle Sache ist, versteht sich wohl von selbst. Im Falle von Forschungsprojekten muss die Zukunft zumindest tendenziell antizipiert werden: Was kann das Projekt tatsächlich leisten, welches Resultat wird es zeitigen? Niemand wird es dem FWF verübeln, wenn neue Wege in der Beurteilung gesucht werden. Jedoch vollzog der FWF einen bemerkenswerten und weitreichenden Perspektivenwechsel, der weit über neue Beurteilungsmethoden des Antrags hinausging: nämlich den Wechsel von der Beurteilung des Projekts zur Beurteilung der Person. Diese Wende stellte die bisherigen Verfahren auf den Kopf.

Ja, wenn Sie in Peer-Reviewed Journals nicht veröffentlicht haben …

Stutzig wurde ich, als mir bei einer erneuten Einreichung mitgeteilt wurde, Anträge müssten – völlig unabhängig vom Thema – unabdingbar in englischer Sprache erfolgen. Dass bei internationalen Konferenzen die englische Sprache verwendet wird, ist zweifellos sinnvoll. Aber für die Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität durch zwei, drei GutachterInnen erscheint die Verwendung des Englischen keinesfalls nötig. Gibt es in einem Sprachraum von 100 Millionen keine KollegInnen, die ein Projekt kompetent beurteilen können? Zudem: Zwischen dem Ausdrucksvermögen in einer bestimmten Sprache, der Qualität eines Projekts und dem allgemeinen Lebenslauf einer Person kann und sollte doch sinnvollerweise unterschieden werden. Das eine ist mit dem andern nicht notwendig verknüpft.

Die geforderte Verwendung des Englischen ist tatsächlich nur ein Aspekt des Perspektivenwechsels vom Antrag auf die Person selbst. Die geforderte Sprache ist Teil der eindeutigen Ausrichtung auf das englischsprachige, vorrangig US-amerikanische Universitätsmilieu (nicht nur) durch den FWF. Kurz gesagt: Wer nicht bereit ist, sich insbesondere in den in den USA beheimateten Wissenschaftsbetrieb einzuklinken, hat kaum mehr Chancen auf Finanzierung durch den FWF, der zudem zunehmend ein Monopol auf wissenschaftliche Förderung bekommt. So wurde, dies sei nur nebenbei bemerkt, die Publikationsförderung durch das Wissenschaftsministerium de facto eingestellt. Um aktuell Fördergelder zu erhalten, scheinen ab nun zwei Bedingungen unabdingbar: erstens der Forschungsaufenthalt an einer englischen oder noch besser US-amerikanischen Universität, zweitens Publikationen in möglichst hoch eingestuften Peer-Reviewed Journals. Beides ist eng miteinander verbunden. Die Publikation in derartigen Journalen ist ohne Forschungstätigkeit in diesem Kontext kaum möglich. Da ich diese Kriterien nicht erfüllte, wurde mein Antrag abgelehnt. Ganz offen wurde mir mitgeteilt, dass mein Projektantrag nicht zuletzt am Fehlen derartiger Veröffentlichung gescheitert sei. „Ja, wenn sie in Peer-Reviewed Journals nicht veröffentlicht haben …“, dann „… sind sie eigentlich kein Teil der wissenschaftlichen Community“, konnte ich diese Aussage im Geiste vervollständigen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: An sich ist gegen das US-amerikanische und englische universitäre Wissenschaftsmilieu nichts einzuwenden. Ich wage sogar die Behauptung, dass dort ein freies und liberaleres Klima als aktuell an deutschen Universitäten herrscht. Das Problem ist der unausgesprochene Zwang, der mitschwingt. Primär wird nicht mehr das Projekt, sondern der Karriereverlauf und damit die Person selbst beurteilt. Förderungen werden strikt mit Karriereverläufen verbunden und als Baustein derselben verstanden. Und das bedeutet: mehrere Semester Forschungsaufenthalt in den USA oder England; Publikationen in Peer-Reviewed Journals sind de facto Bedingung. Diese Lebenspraxis steht nicht mehr in der Entscheidung des Individuums. Zweifellos sind immer noch Alternativen möglich. Französische Eliteuniversitäten haben nach wie vor ihr Gewicht, auch andere Auslandsaufenthalte werden gewürdigt. Aber all zu groß ist der Spielraum nicht.

Hierarchisierung und Konzentration des internationalen Wissenschaftsbetriebes

Die Vergabepraxis des FWF verstärkt den Trend zur Hierarchisierung und Konzentration des internationalen Wissenschaftsbetriebes, an deren Spitze die US-amerikanischen Eliteuniversitäten stehen. Wenn für eine Karriere kein Weg mehr an der temporären Teilnahme an diesem Universitätsmilieu vorbei führt, dann ist klar, dass abertausende junge WissenschafterInnen entscheidende Monate oder Jahre ihrer Laufbahn an US-amerikanischen Universitäten verbringen und dort permanent ihre Forschungsergebnisse einspeisen. Je besser der Zugang zu möglichst hoch bewerteten Forschungsstätten und Journalen gelingt, desto größer ist die Chance auf zukünftige Karriereschritte inklusive Finanzierung. Wenn ohne Teilhabe am US-amerikanischen Universitätssystem nichts mehr geht, ist der Zustrom von NachwuchswissenschafterInnen gesichert, die für ihre soziale Existenz, unter anderem auch für finanzielle Förderung durch den FWF, diese Kontakte dringend benötigen. Wer, so wie ich, aus welchen Gründen auch immer an diesem Spiel nicht teilnimmt – sei es, weil er oder sie nicht kann oder auch nicht will – ist draußen.

Was ich nicht wusste: Die Situation in den Naturwissenschaften ist teilweise noch prekärer als in den sogenannten Geisteswissenschaften. Ich zitiere aus einem Artikel einer Molekularbiologin, die über ihre Erfahrungen an US-amerikanischen Universitäten schreibt: „Wir müssen jedoch die Diktatur der Top-Journale durchbrechen. Nicht nur bezahlt die Wissenschaft große Summen, um ihre Arbeit in diesen Journalen zu publizieren – sie tritt gleichzeitig auch alle Rechte an die Journale ab, welche dann, wiederum für große Summen, die Rechte die Daten einzusehen an die Wissenschaft zurückverkauft.“ (Bobby 2011) Die Ergebnisse von Forschungsarbeit müssen an diese Zeitschriften abgetreten werden, die diese verwerten und so weltweit große Summen lukrieren. Jede Nachfrage an jeder universitären Institutsbibliothek wird es bestätigen: Die Kosten für die Zugangsschlüssel für im Internet vorhandene Wissenschaftsjournale fast durchwegs englischsprachiger Provenienz sind extrem hoch. Zugleich stellen Publikationen in diesen Top Journalen die Grundlage für die weitere ökonomische und wissenschaftliche Existenz aller ForscherInnen dar. Sich diesen Praktiken zu verweigern, ist de facto kaum möglich.

Kollegin, Sie haben nicht alles rezipiert!

Der soziale Druck, der durch diese Verhältnisse ausgeübt wird, ist enorm. Zweifellos zählen jene, die sich in dieses Karrieremuster einklinken, gesellschaftlich zur Elite, insbesondere wenn wir die Lebenssituation der Massen weltweit in Betracht ziehen. Aber gewissen Privilegien stehen steigende Zwänge gegenüber. In diesem Zusammenhang sei ein weiteres Detail genannt. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat das Vergabealter für ihre Stipendien schon seit längerer Zeit von 40 auf 35 Jahre gesenkt. Auch diese Maßnahme passt exakt in den Schwenk von der Beurteilung der Arbeit zur Beurteilung der Person. Das Absenken des Vergabealters zielt eindeutig auf die Unterstützung eines bestimmten lebenszeitlichen Karriereverlaufs. Der Witz, selbst Kant hätte es nicht geschafft, sich gegenüber dem aktuellen Evaluationswahn zu behaupten, ist nicht neu, trifft aber vieles an der gegenwärtigen Situation.

Nach meiner Auffassung wird der Anpassungsdruck an den je aktuellen wissenschaftlichen Mainstream, engsten verbunden mit einem sehr eng bestimmten Lebensvollzug, der temporären Auslandsaufenthalt ebenso einschließt wie die soziale Integration in bestimmte universitäre Milieus, zusätzlich insofern verschärft, als die Beurteilung und Einschätzung nicht von der unabgrenzbaren und im Prinzip unabschließbaren wissenschaftlichen und intellektuellen Öffentlichkeit entscheidungsrelevant vorgenommen wird, sondern von letztlich nur wenigen Agenturen und Institutionen. Wohl existiert die Reaktion der Öffentlichkeit weiter, und sie hat durch das Internet neue Möglichkeiten gewonnen. Aber die Zustimmung oder Ablehnung, die Rezeption oder das Ignorieren durch die Öffentlichkeit tritt für die AutorInnen lebensrelevant in der Regel hinter den Entscheidungen der Evaluierungsinstitutionen zurück. Nicht der öffentliche Zuspruch oder die Ablehnung, nicht die Verkaufszahlen der Bücher, nicht die Intensität der öffentlichen Debatte sind wesentlich, sondern die Meinung hoch hierarchisierter Entscheidungsgremien, die ihre Legitimation den Evaluierungs- und Rankingprozessen von Personen und Institutionen verdanken, die wiederum in solchen Fegefeuern getestet wurden.

Dass eine derartige Situation nicht etablierte und nicht finanziell abgesicherte Kolleginnen und Kollegen an Eigenständigkeit und Kühnheit, an Widerspruch und Nonkonformität hindert, ist wohl unmittelbar einsichtig. Es genügt, selbst ausgezeichnete Texte dieser Personengruppe zu lesen, um den massiven Anpassungsdruck zu bemerken. Die Texte biegen sich oftmals vor sinnloser Rezeptionsschwere. Um das Totschlagargument, „Kollege, Sie haben dies und jenes nicht rezipiert“ zu verhindern, werden oftmals ohne die geringste Bedeutung für den eigentlichen Argumentationsgang Begriffe und Thematiken eingefügt, nur um ja zu beweisen, auch über diese Literatur wüsste mensch Bescheid. Eine weitere Auswirkung dieses Drucks meine ich in der Flucht in eine bestimmte Rezeptionslinie zu erkennen. Um möglicher Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird der Mantel einer bestimmten Schule angezogen. Angepasst bewegt sich danach das Denken in diesen begrifflichen Kreisen. Ob all diese Anstrengungen einen angemessenen Lebensunterhalt ermöglichen, steht letztlich auf einem anderen Blatt.

Karl Reitter ist Redakteur der Zeitschrift grundrisse und Lektor für Philosophie in Wien und Klagenfurt.

 

Literatur

Bobby, Kate (2011): „Junge Wissenschafter in der Grundlagenforschung: Einzigartige Chance oder systematische Ausbeutung?“. In: grundrisse, zeitschrift für linke diskussion und debatte Nr. 39, Wien (im Erscheinen).

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