Mit Hayek eine ganze Welt!

Die Linke sollte sich jedenfalls an Hayek ein Beispiel nehmen und ernsthaft und systematisch an einer neuen, großen Erzählung arbeiten. Einer Erzählung für eine ganze Welt nach dem Neoliberalismus

Eine wesentliche Schwäche der Linken liegt im Mangel an einer tragfähigen politischen Erzählung. Es fehlt zunächst ein schlüssiges Bild einer wünschenswerten Gesellschaft, aus der sich ein Programm in konkreten Politikfeldern ableiten lässt, das letztlich dann auch mehrheitsfähig sein muss. Kurzum: Es fehlt ein Narrativ, das die gesellschaftlichen Herausforderungen konsistent beschreibt. Der europäische Wohlfahrtsstaat, die letzte große linke Vision des 20. Jahrhunderts, verheddert sich ständig in seinen eigenen Widersprüchen. Mit der zunehmenden Globalisierung ist weithin spürbar geworden, dass seine VerfechterInnen den eigenen Werten nur bedingt Glauben schenken: Gleiche Rechte für alle, aber nur für StaatsbürgerInnen; sozialer Ausgleich, um allen ein freies Leben zu ermöglichen, aber nicht im selben Maße für die Menschen des Südens wie für jene des Nordens; Solidarität mit den Schwächeren, aber zunächst einmal innerhalb der Europäischen Union.

Der Gleichheitsanspruch gerät ins Wanken

Die universellen Werte Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit sollen nur innerhalb bestimmter territorialer Grenzen gelten? In der Ära des „Kalten Kriegs“, als die Grenzen zum damaligen Westeuropa noch recht undurchlässig waren, mag dieser „bedingte Universalismus“ noch Strahlkraft gehabt haben, heute wirkt er nur noch zaghaft. Immer mehr EuropäerInnen haben Kontakt zu Menschen von anderen Kontinenten. Günstige Fernreisen, Zuwanderung und Internet ermöglichen eine Vernetzung, die uns weit über die eng begrenzte Welt der Elterngenerationen hinausträgt. In dieser Welt geht uns nicht mehr bloß das an, was im eigenen Land passiert, wir haben jederzeit Zugang zu Nachrichten aus aller Welt und nehmen Anteil an dem, was sich tausende Kilometer entfernt ereignet. Liegen in einem fernen Land viele EuropäerInnen am Strand, erhöht dies die Solidarität im Katastrophenfall – wie der Medienhype um den Tsunami in Südostasien vor zwei Jahren gezeigt hat. Hollywood hat die Binsenweisheit, dass irgendwie alles miteinander zusammen hängt, längst zum Thema großer Filme gemacht. Alejandro Gonzáles Iñárritus etwa erzählt in Babel mit Staraufgebot von einer weltumspannenden Kettenreaktion, die ein kleiner Junge in der Wüste Marokkos mit einem Schuss aus einer Flinte auslöst.

KonsumentInnen in Europa wissen, dass Volkswirtschaften nur noch rechnerisch voneinander abgrenzbar sind und dass ihre Kaufentscheidung Auswirkungen in fernen Regionen der Erde haben kann. Viele ahnen zumindest, dass der europäische Reichtum auf Kosten des Südens angehäuft wurde. Vor diesem Hintergrund ist ein Gleichheitsbegriff, der an den Grenzen des Nationalstaates Halt macht, schlicht unglaubwürdig. Die Idee, dass uns die anderen nichts angehen, weil sie keine Landsleute sind, ist heute schwerer den je vertretbar. Doch auch im Inneren gibt es Widersprüchliches: Zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung Österreichs sind systematisch von der Mitbestimmung ausgeschlossen, weil sie nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Wahrscheinlich werden die meisten davon in Österreich bleiben, viele sind hier schon geboren. Angesichts der zu erwartenden Migrationsbewegungen dürfen wir davon ausgehen, dass die Gruppe der Ausgeschlossenen nicht kleiner wird. Eine politische Kraft, die Gleichheit propagiert und im selben Atemzug hinnimmt, dass jeder Zehnte von zentralen politischen Rechten ausgeschlossen bleibt, kann auf mittlere Sicht nur ohne Wirkung bleiben.

Was muss die Geschichte erzählen?

Eine emanzipatorische politische Kraft, die in der Lage ist, den Neoliberalismus als hegemoniale Weltdeutung abzulösen, kann sich erst dann entfalten, wenn ihre TrägerInnen von den eigenen Idealen überzeugt sind. Um Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit uneingeschränkt Geltung zu verschaffen, muss die Diskriminierung entlang der Staatsbürgerschaft überwunden werden. Wir brauchen den Entwurf eines Gemeinwesens, in dem Migration „normal“ ist und sämtliche Institutionen darauf ausgelegt sind, auch temporären „BürgerInnen“ die gleichen Rechte zu gewähren. Die gleichen Maßstäbe müssen natürlich auch auf globaler Ebene angelegt werden. Eine global gerechte Handelspolitik und eine nachhaltige Umwelt- und Energiepolitik wären logische Bestandteile einer neuen Programmatik. Wenn alle Menschen auf der Welt gleich sind, dann müssen auch Güter, Ressourcen und der Wohlstand gerecht verteilt werden. Früher oder später wäre damit das Bedrohungs-Szenario „unbewältigbarer Migrationsströme“ obsolet.

Von Hayek lernen

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet von den stärksten Widersachern am meisten lernen ließe: Am Höhepunkt des New Deal gründete der Österreicher Friedrich von Hayek mit 36 anderen Intellektuellen die Denkfabrik Mont Pelerin Society. Ihr Ziel war es, den „Kollektivismus“ zurückzudrängen und einen neuen „Liberalismus“ als hegemoniale Ideologie zu etablieren. Planmäßig gründeten Hayeks Mitstreiter Think Tanks und beeinflussten zunächst die Wissenschaft, dann politische Institutionen und zuletzt die Allgemeinheit. Das Unterfangen war höchst erfolgreich. Erst der Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank Ende des vergangenen Jahres stoppte den Höhenflug der neoliberalen Ideologie. Noch ist nicht klar, ob es sich lediglich um eine vorübergehende Schwächung handelt. Die Linke sollte sich jedenfalls an Hayek ein Beispiel nehmen und ernsthaft und systematisch an einer neuen, großen Erzählung arbeiten. Einer Erzählung für eine ganze Welt nach dem Neoliberalismus. Die Zeit war dafür nie günstiger.

Philipp Sonderegger ist Sprecher von SOS Mitmensch.

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