Hegemonial Revenge

Die Kunstgeschichte kann sich eine nationale Begrenztheit im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr leisten. Zudem hat sich durch die Postcolonial und Subalternal Studies herumgesprochen, dass es auch andere Akteure als westliche gibt. Und über die Globalisierung ist abermals klar geworden, dass der Begriff der Kunst nicht von einer europäisch-amerikanischen Kultur monopolisierbar ist, wie es das Zeitalter des Kalten Krieges vielleicht noch einmal glauben machte.

Bis noch vor einigen Jahren konnte man sich im sicheren Glauben wiegen, dass der ehemals hegemoniale, dann lange Zeit eher folkloristische Begriff der „Weltkunst“ sein Dasein als Zeitschriftenname in einer abgelegenen Ecke der Kunstgeschichte fristen würde. Mit dieser Sicherheit ist es vorbei. Etliche Bestrebungen richten sich derzeit darauf, diesen Begriff zu reaktivieren, wobei „Global Art History“ oder „World Art History“ das eher martialische Wort „Weltkunstgeschichte“ anglophil wattieren. Es erscheinen Bücher, Studiengänge und Lehrstühle werden eingerichtet und Weltkultur- und Universalmuseen, wie das Berliner Humboldtforum konzipiert. Manche dieser Bestrebungen formieren sich eher trotz der in postkolonialen Studien geprägten Theorien von Subalternität und Dominanz, der Notwendigkeit wie Unmöglichkeit von Übersetzung, von dritten Räumen, von Forschungen zu Migrationsbewegungen etc. Diese Ansätze würden nämlich einen solch umfassenden Anspruch, die Kunst der gesamten Welt berücksichtigen zu können, auf Grund der schier unüberschaubaren Materialfülle, der Komplexität von Aushandlungsprozessen, der Frage nach den Akteuren und ihren Widersprüchen oder auf Grund drastischer globaler ökonomischer Gefälle zurückweisen. Daher ist die wohl wichtigste Frage diejenige, die Matthew Rampley in dem sehr streitfreudigen Umfragebuch „Is Art History Global?“ stellt: Wer ist an einer solchen Weltkunstgeschichtsschreibung eigentlich interessiert?

Ein Motiv scheint klar: Die Kunstgeschichte kann sich eine nationale Begrenztheit im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr leisten. Zudem hat sich durch die Postcolonial und Subalternal Studies herumgesprochen, dass es auch andere Akteure als westliche gibt. Und über die Globalisierung ist abermals klar geworden, dass der Begriff der Kunst nicht von einer europäisch-amerikanischen Kultur monopolisierbar ist, wie es das Zeitalter des Kalten Krieges vielleicht noch einmal glauben machte. Aus der Notwendigkeit einer Öffnung auf andere Künste hin führen, vereinfacht gesagt, zwei Wege: Man berücksichtigt die lokalen und überregionalen künstlerischen Praktiken und ästhetischen Kategorien in ihrer historischen Entwicklung und versucht, in aller Komplexität auch die unterschiedlichen Ansprüche und Praktiken sowie die Bedingungen und Aporien kultureller Transfers zu berücksichtigen. Oder aber man sucht abermals nach einem Einheitsprinzip, wie David Summers, der sie in den anthropologischen Prinzipien des aufrechten Gangs, der Symmetrie des Körpers und des „Facings“ findet. Das Motiv solcher Einheitsbestrebungen ist angesichts vager Humanismen, anthropologischer Konstanten oder kulturpolitischer Leerformeln nicht ganz klar. Aber vielleicht hilft ein Blick in die Geschichte. Auch wenn die Intentionen von gestern nicht auf heute abbildbar sind, sind Tendenzen feststellbar.

Weltkunst im 19. und 20. Jahrhundert

In den 1950er Jahren etwa war die Rede von einer „Weltsprache der Abstraktion“, wie sie von Werner Haftmann vor allem für die documenta 2 geführt wurde, von dem Interesse getragen, nach der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus wieder Anschluss an eine westliche Internationalität zu finden. Es handelte sich also eher um eine Kampfansage im Kalten Krieg als um die Realisierung einer künstlerischen Utopie. In den 1920er Jahren wiederum artikulierte sich eine Untergangslarmoyanz des Abendlands, die den Blick auf die, im Jargon der Zeit, noch „frischen“ außereuropäischen Kulturen richten ließ. Und um 1900, als sich der Begriff der Weltkunst formierte, geschah dies vor dem Hintergrund einer Reihe von Expansionsbestrebungen, wie die Ausweitung der globalen Handelsbeziehungen, der Beginn von Weltausstellungen, das Zeitalter des imperialen Kolonialismus und der massive Import und Raub von Ethnologica zur Füllung der entstehenden Völkerkundemuseen. Der Einbezug nicht-europäischer Hochkunst war dabei für den Weltkunstgedanken wesentlich, wobei es nicht um die Objekte per se ging. Wenn der Kunsthistoriker Alois Riegl um 1900 die Textilkunst aufwertete, war dies auch verbunden mit nationalökonomischen Interessen.

Ein anderes, damals virulentes Motiv, sich anderen Gebieten der Kunstgeschichte zuzuwenden, war die Hoffnung, über die eigene „Frühgeschichte“ etwas lernen zu können. Getragen wurde dieses Wissen von einem anthropologischen Narrativ, nach dem die Menschheitsentwicklung vom Einfachen zum Komplexen schreitet. Das Einfachste wurde dabei auch mit dem geografisch Fernsten assoziiert. Die nicht-europäischen Künste galten damit als überwundene Überbleibsel von Frühformen der eigenen Kunst, womit ihnen und ihren Produzent_innen die Zeitgenossenschaft verweigert wurde – laut dem Anthropologen Johannes Fabian eine der wichtigsten ideologischen Voraussetzungen für die Kolonialisierung. Die Argumentation für den Auf- und Ausbau von Völkerkundemuseen, Träger des Weltkunstgedankens, war dabei teilweise recht perfide: Es sollten hier diejenigen Stücke der Menschheitskultur aufbewahrt werden, die mit Sicherheit dem Fortschritt, sprich Kolonialismus, zum Opfer fallen würden. Dass die europäische Kultur dabei Fortschrittsträgerin und just Vernichterin der lokalen Kulturen war, wurde dabei nicht in Betracht gezogen. Spuren einer solchen Logik finden sich bis heute in den Debatten um Rückgaben aus den ethnologischen Museen an die Herkunftsländer: Die Länder des globalen Südens würden nicht über die richtige Infrastruktur verfügen, um die Museumsstücke fach- und sachgerecht erhalten zu können. Dies mag faktisch sogar bisweilen stimmen; nur sind in Europa die Museen auch nicht vom Himmel gefallen.

Explizit expansionspolitisch wiederum war die Motivationslage des Universalhistorikers Karl Lamprecht während des deutschen Kaiserreichs. Er proklamierte, dass eine politische und wirtschaftliche Einflussnahme nur über den Weg der Einfühlung in Kulturerzeugnisse möglich sei. Gegen eine solche offensive Expansion des Eigenen brachte allerdings auch schon 1923 der Kunstpublizist Oskar Beyer in seiner Schrift „Welt-Kunst. Von der Umwertung der Kunstgeschichte“ vor, dass die bisherige Weltkunstgeschichte zwar den Gegenstandsbereich erweitert, aber nicht die ästhetischen Gesetze geändert hätte. Er hielt dagegen: „Der Weltkunstgedanke, das ist das Sichauftun eines universalen Kunsthorizonts und die Erkenntnis, dass es dringende Pflicht ist, über die Mauern Europas hinauszuspringen, um mit jenen riesigen Kunstprovinzen sich auseinander zu setzen und in lebendige Beziehung zu treten, die außerhalb unseres westlichen Erdteils existieren.“ Haben sich die Dringlichkeiten des Appells erhalten, so auch die damit einhergehenden Probleme. Denn immer noch lautet der im Buch „Is Art History Global?“ formulierte Hauptvorwurf an die globale Kunstgeschichte, dass diese nur die westlichen Kunstdiskurse ex- oder importiert, selten aber mit Konzepten und ästhetischen Kategorien der jeweils anderen – oder eigenen, sofern es sich nicht um westliche Kunstgeschichtsschreibung handelt – Kulturen arbeiten würde.

Das Berliner Humboldtforum

Auch wenn heute auswärtige Kultur- und Museumspolitik nach wie vor in wirtschaftlichen Zusammenhängen zu sehen ist, werden sie gern von weltkulturellen Leerformeln kaschiert. Es lassen sich aber die Widersprüche solcher Argumente analysieren, wie am Beispiel des Berliner Humboldtforums deutlich wird. Der Plan sieht vor, dass das Forum, zu beherbergen im noch wiederaufzubauenden Schloss gegenüber der Museumsinsel, den Schlussstein zu einem universalhistorischen Erscheinungsbild der Berliner Stadtmitte bildet. Das Museum für Asiatische Kunst und das immer noch so genannte „Ethnologische Museum“ mit seinen Sammlungen vor allem afrikanischer und ozeanischer Kunst sollen aus ihrem Dornröschenschlaf im Südwesten Berlins in den noch zu errichtenden preußischen Glanz der Berliner Mitte geholt werden. Unter dem Namen eines deutschen Entdeckers, Humboldt, sollen sie dann für Berlins und Deutschlands Weltoffenheit einstehen.

Das parlamentarisch beschlossene Humboldtforum war der Schlüssel zur Frage, wie man die Rekonstruktion des preußischen Schlosses auf der Berliner Museumsinsel legitimieren und den Nostalgiebau füllen könnte. Die rettende Idee hat nur einige Haken: Die preußische Fassadenarchitektur des Schlosses zitiert die Zeit der kolonialen Bestrebungen des Kaiserreichs, sodass die stolze Zurschaustellung der Artefakte in einem solchen Rahmen wie eine nachträgliche Legitimation der selten legalen Erwerbungsumstände wirkt. Die kulturimperiale Geste des 19. Jahrhunderts, die Künste „aller Völker und Zeiten“ ausstellen zu können, Weltkunst also, wird so nicht gebrochen. Bemüht wird als „Urzelle“ der Sammlung zudem die Brandenburg-preußische Kunst- und Wunderkammer, die seit dem 17. Jahrhundert schon für Weltoffenheit und den Prozess der europäischen Neugierde gestanden hätte. Ein solches Argument bedeutet allerdings abermals, jede Kunst durch das Nadelöhr der europäischen Expansion und Wissensproduktion zu rezipieren, die noch im 19. Jahrhundert mit der Humboldt’schen Universitätsreform ganz im Staatsdienst stand. Aber auch wenn man sich nicht von mehr oder weniger kontingenten „Ursprungsgeschichten“ beeindrucken lassen will: Sammlungsgeschichte ist nichts, was der Vergangenheit angehört und damit objekthaft einfach ausstellbar wäre. Im Gegenteil: Es gibt eine Performativität des Museums, die den Akt der Objektaneignung qua Ausstellen und Betrachten alltäglich wiederholt. Der dabei proklamierte „gleichberechtigte Dialog zwischen den Kulturen“, scheitert sowohl daran, dass der Objekterwerb gerade nicht unter Bedingungen eines „gleichberechtigten Dialogs“ stattgefunden hat, als auch daran, dass eine solche Proklamation aufs Krasseste mit der Einwanderungspolitik der Schengenländer kollidiert.

Wissensproduktionen

Der Weltkunstgeschichte bläst aus vielen Ecken ein scharfer Wind der Kritik und Skepsis ins Gesicht. Der Kunsthistoriker Chica Okeke-Agulu gibt zu bedenken, dass globalism augenscheinlich nur in der westlichen Kunstgeschichte eine drängende Fragestellung ist. Wie andere Wissensindustrien würde sich diese lediglich an die diskursive und operative Logik der politischen und ökonomischen Globalisierung anpassen, die von postindustriellen westlichen Demokratien und freien Marktökonomien entfesselt wurde. Und Rampley bemerkt, dass globale Bestrebungen der Kunstgeschichte vor allem seitens anglo-amerikanischer Wissenschaftler_innen vorangetrieben würden – und zwar just in Zeiten nach der Dekolonisierung. Rampley hält die Weltkunstgeschichte für den eurozentrischen Versuch, den Eurozentrismus zu verschleiern, indem die eigenen Wissenschaftsparadigmen verallgemeinert werden. Noch zugespitzter könnte man formulieren, dass die World Art History, sofern sie nach einem Einheitsprinzip sucht, die Rache der hegemonialen Kunstgeschichte für politische Forderungen ist, die aus den Postcolonial Studies erwachsen sind. Und wenn natürlich auch die ehemaligen Kolonialländer Orte einer diasporischen Wissensproduktion sind, verfolgt diese symptomatischerweise auch keine Weltkulturgeschichte, denkt man etwa an das Konzept des „Black Atlantic“ von Paul Gilroy oder das der „Kreolisierung“ unter anderem von Édouard Glissant.

Entsprechend mutmaßt auch Okeke-Agulu, dass eine globale Wissensproduktion nur von Orten ausgehen kann, an denen man über die jeweiligen Mittel verfügt. Deshalb diene Weltkunst eher dazu, die Prozesse der politischen und vor allem ökonomischen Globalisierung zu naturalisieren. Ein solcher Verdacht impliziert allerdings keinesfalls, sich wieder ins nationale Geschäft zurückzuziehen. Zu verabschieden ist nicht ein allgemeiner Kunstbegriff. Allerdings kann dieser nur in der Anfechtung oder Einforderung aufscheinen, wie es der Philosoph und Universalismustheoretiker Etienne Balibar formuliert, und nicht, wozu die World Art Studies tendieren, als positiver Eigenschaftskatalog definiert werden. Rampleys Frage nach dem „für wen?“ kann damit eher als Appell an die Verantwortung von Wissenschaft verstanden werden, sich eine selbstkritische Klarheit darüber zu verschaffen, wem man warum welche Geschichten erzählt.

Susanne Leeb ist Kunsthistorikerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ an der Freien Universität Berlin mit einem Projekt zu Abstraktion und Modernekritik.

Literatur

Balibar, Etienne (o.J.): Universalismus. Eine Diskussion mit Alain Badiou, (aufgerufen am 12.09.2011).

Bhaba, Homi K. (2000): Die Verortung der Kultur, Tübingen.

Elkins, James (Hg.) (2007): Is Art History Global? New York, London.

Fabian, Johannes (1983): Time and the Other. How Anthropology makes its Objects, New York.

Glissant, Éoduard (1986): Zersplitterte Welten, Der Diskurs der Antillen, Heidelberg.

Gilroy, Paul (1993): Black Atlantic, London.

Summers, David (2003): Real Spaces. World Art History and the Rise of Western Modernism, London.

Zijlmans, Kitty/Van Damme, Winfried (Hg.) (2008): World Art Studies: Exploring Concepts and Approaches, Amsterdam.

Link

www.humboldtforum.info

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