Antirassistische Rassismuskritische Kulturarbeit

Aktuell spiegelt sich die Realität einer diversen Gesellschaft in der dominierenden Kunst- und Kulturlandschaft Österreichs nach wie vor kaum bzw. nicht ausreichend wider. Um dies langfristig zu ändern, muss Bewusstseinsschaffung dahingehend ein essenzieller und fixer Bestandteil von Kunst- und Kulturbildung werden. Dass Stimmen aktiv verdrängt werden, Unterdrückungssysteme in allen Lebensbereichen wirken und weiße Privilegien in der Bildung und in der weitreichenden Wissensvermittlung dominieren, muss anerkannt, kritisch betrachtet und aktiv angegangen werden, um eine faire Verteilung von Ressourcen zu ermöglichen. Prioritär ist dabei, dominante Erzählungen zu dezentralisieren und den nachkommenden Generationen Bilder zu vermitteln, die der Realität entsprechen, um tatsächlich allen und nicht nur manchen jungen Menschen gleichberechtigte Startbedingungen zu ermöglichen.

Auf einem weißen Blattpapier in der Schreibmaschine steht das Wort Rassismus

Foto von Markus Winkler auf Unsplash

Wissen wird vermittelt. Menschen empfangen es. Schrittweise sammeln sich auf unterschiedliche Weise Informationen in der menschlichen Datenbank an. Durch unsere menschlichen Sinnesorgane nehmen wir vieles aktiv oder unbewusst wahr. Mit der Zeit beginnen wir zu reflektieren und zu überdenken. Früher oder später kommt bei vielen von uns die Zeit, in der wir uns mit uns selbst beschäftigen und den Versuch starten, uns selbst besser zu verstehen–viele von uns müssen dafür zum Ursprung und bei der eigenen Identität anfangen, um Veränderung in der Gegenwart zu schaffen. Angelerntes kann schließlich hinterfragt und auch gefiltert werden.

Was tun, wenn Angelerntes mit der gelebten Praxis und Realität nicht mehr übereinstimmt? Reflexion kann dazu führen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass das eigene Sein divers ist. Genauso wie die Gesellschaft es auch ist. Nur das, was an dominierenden Bildungsorten, meist basierend auf mangelnder Repräsentation, vermittelt wird, nicht. Obwohl es ‚da draußen‘ so divers ist und ebendies groß gefeiert werden sollte, werden Repräsentation und Sichtbarkeit an vielen Orten häufig nach wie vor eingedämmt!

Schon im Kindergarten, an Grundschulen und in weiteren Ausbildungskontexten wird sichtbar, dass Ressourcen nicht fair verteilt werden und Startbedingungen mancher maßgeblich erschwert sind.

Viele Kinder aus wohlhabenden Familien, häufig mit weißen Privilegien einhergehend, wachsen mit reichlich Zugang zu Informationen in ihrer Erstsprache auf, unter anderem durch eine Vielzahl an Spielsachen, Büchern, und verschiedenen Medien. Dass sich ebenjene Kinder, häufig Wissen und Fähigkeiten in ihrer Erstsprache, die meist gleichzeitig die Nationalsprache darstellt, aneignen können, kann die Startbedingungen wesentlich erleichtern. Die sogenannten Landesbräuche, die viele Kinder im Rahmen der Familie sowie über den Familienkontext hinaus miterleben, decken sich auch mit dem, was beispielsweise im Kindergarten oder an Schulen zentriert wird. Somit befinden sich jene Kinder häufig in Kontexten, wo sie Sicherheit durch Gewohntes und Vertrautes spüren.

Viele Kinder mit intersektionellen Identitäten wiederum werden schon in diesen Lebensphasen als ‚die Anderen‘ eingeteilt und erleben wiederkehrende Marginalisierung. Dies geht häufig damit einher, dass sie dominierenden Informationen aller Art, die ihrem gewohnten Alltag von Zuhause nicht entsprechen, (erst) in den Kindergärten und Schulen begegnen. Dies kann zu Beginn Unsicherheiten schaffen und den Einstieg sowie weitere Entwicklungen erschweren. Einseitig geprägtes Wissen, inklusive dominierende Bilder, die die Vielseitigkeit von Realitäten ausklammern, begleitet Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag, bis in die Universität sowie in Räume, wie das Theater, das Kino oder Konzerte. Dies kann kognitiv, emotional sowie physisch Wirkung zeigen. Das Dominierende prägt und formt somit eine tendenziöse Realität. Hier handelt es sich um eine non-Realität, wenn mensch so will, welche die Geschichten der einen und nicht der vielen zentriert.

Schon in den Kindergärten ist es erkennbar, dass sich Kinder, die in sich intersektionelle Identitäten vereinen und/oder mitnehmen, zum Beispiel auf das Weihnachtsfest freuen, aber zudem glücklich reagieren und motiviert sind, wenn unterschiedliche Geschichten und Feste Platz finden und zelebriert werden, ebensolche, die sie zu Hause oder bei ihren Freund:innen miterleben. Es kann das Gefühl vermitteln, Teil der Gesellschaft oder des jeweiligen Kontexts zu sein. Es schafft Vertrautheit und kann schon in jungen Jahren ein Sicherheitsgefühl sowie das Gefühl, dazuzugehören, stärken.

Fragen, die sich dabei stellen sind: Warum werden authentische alltägliche Realitäten von marginalisierten Kindern, verknüpft mit ihren Biographien, nach wie vor als Ausnahme, reaktionär oder als etwas Exotisches konstruiert? Warum wird es nach wie vor fast als „unmachbar“ bzw. „zu kompliziert“ dargestellt, alltägliche Realitäten von marginalisierten Kindern, die nicht der Dominanzgesellschaft entsprechen, im Kindergarten bzw. schulischen Alltag widerzuspiegeln? Warum sehen Puppen in so vielen Spielecken nach wie vor nicht wie eine Vielzahl an Kindern und deren Eltern aus? Warum dominieren nach wie vor Puppen, die weißen, westlichen ‚(Schönheits-)Idealen‘ entsprechen? Warum gibt es in der Küchenecke, dort wo Kinder auch sicherheitsstärkendem Gewohnten begegnen könnten, keine Gerichte mit der Aufschrift „halal“, „koscher“ und so weiter? Warum werden Sprachangebote an Schulen rund um, beispielsweise, Französisch und Spanisch als par excellence vermittelt; Arabisch, Türkisch, Kurdisch jedoch, wenn es dieses Angebot überhaupt gibt, werden meist als Nachmittagseinheiten und/oder als irrelevanter Unterricht eingestuft? Nicht zuletzt, warum werden für sichtbar diverse Schulklassen Theater- oder Eventbesuche organisiert–als politischer Akt der Exklusion–, wo demonstrativ Themen wie „Freiheitsvermittlungen der europäischen Werte“, „Freiheit der Frau im Westen“, „Integration“ usw. im Zentrum stehen?

Kunst und Kultur, als ein Bereich, der die Gesellschaft beeinflussen kann, kann somit das Leben von Menschen von frühauf prägen. Über Kunst und Kultur wird Kindern und Jugendlichen, unter anderem, Verständnis für Prinzipien, Werte, Regeln sowie Normen vermittelt. Kunst und Kultur vermag es gleichzeitig, Kindern und Jugendlichen Gesellschaftskritik zu vermitteln.

Was jedoch sichtbar wird, ist, dass ein Großteil jener Kunst- und Kulturschaffenden, die (strukturell) Raum und Plattform bekommen, Inhalte produzieren, die häufig einer nicht sehr mehrdimensionalen Realität entsprechen und in Bezug auf die Grundfragestellung und/oder Grundidee, nicht auf den tatsächlichen Bedürfnissen und Geschichten jener, die marginalisiert werden, basiert. So wird die Vielfalt an Lebensentwürfen, die ohne Frage existiert, ausgeblendet. Inhalte, die über Kunst und Kultur vermittelt werden, können etwas wertvoll oder wertlos aussehen lassen. Der Einfluss dessen ist nicht zu unterschätzen. Aus diesem Grund ist es ausschlaggebend, dass Storyteller:innen und Kunst- und Kulturvermittelnde sowie -beauftragten folgende Fragestellungen reflektieren und ernstnehmen: Kennen sich die Menschen, die zum Beispiel die Regie für ein Stück übernehmen oder das Drehbuch verfassen, tatsächlich mit dem gewählten Thema aus? Bringen diese Einsicht, Erfahrung und Sensibilität für eine Thematik, die vermittelt werden soll, mit? Werden Stereotype reproduziert? Werden Rassismen sowie weitere und überlappende Formen der Unterdrückung reproduziert? Wie viel Aufmerksamkeit und Wertschätzung widmet eine Institution gewissen Lebenserzählungen? Was bewirkt das bei den Zuseher:innen? Welches Publikum wird (wie und warum) erreicht? Was kann getan werden, um Zusehenden bzw. Zielgruppen Inhalte näherzubringen? Welche Informationen können zusätzlich vermittelt werden? Könnte es kontextual zum Beispiel notwendig sein, nach Aufführungen, Ausstellungen, weiteren Kunst- und Kulturveranstaltungen, Gespräche und Workshops mit BIPoC Künstler:innen (Black, Indigenous und Künstler:innen of Color) nach Aufführung zu organisieren und anzubieten (bezahlt versteht sich)? Benötigt das Publikum, allem voran Kinder und Jugendliche, spezifische Tools, um die Inhalte mental sowie emotional verarbeiten, kritisch reflektieren und/oder dekonstruieren zu können?

Pädagog:innen, kontextual und je nach Thema sowie Positionierung, sind nicht automatisch immer diejenigen, die diverse, alltägliche und transgenerationale Themen vermitteln und das Publikum, allem voran Kinder und Jugendliche, bei der Informationsverarbeitung begleiten können. So gilt es auch hier, eine grundlegende Frage zu stellen: Was könnten Umgangsweisen bzw. Tools sein, die ausschlaggebend sind, wenn angenommen, ein Drehbuch für ein Theaterstück speziell für gewisse Kinder verfasst wurde, aber die meisten Kinder, die nicht in diese Zielgruppe fallen, mit dem Inhalt nicht umgehen oder nichts anfangen können, oder einige Szenen zu Verwirrung führen?

Kunst- und Kulturvermittlung, vor allem da, wo sie mit Bildung überlappt, muss auf eine diverse Gesellschaft Bezug nehmen. Es ist höchste Zeit, die Bereicherung aus intersektioneller Identität anzuerkennen sowie Intersektionalität als Phänomen zu verstehen und als Analysekategorie zu nutzen. Sprich, es ist unumgänglich, Raum für die Erzählungen über Lebensrealitäten von Menschen mit intersektionellen Identitäten, entlang von maßgeblich lebensbeeinflussenden Kategorien, wie Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Behinderung, Nationalität/ethnische Zugehörigkeit, Religion/Weltanschauung, Bildungshintergrund und sozioökonomischer Hintergrund Lebensrealitäten, zu schaffen. Solange dominierende Normen konstruiert werden, die das Leben von Menschen beeinflussen, müssen Identität und Zugehörigkeit sowie Marginalisierung, Benachteiligung und Privilegien besprochen werden. Hierbei müssen sowohl kunst-und kulturbezogene Förderprogramme, Projekte und der gesamte Bildungsbereich, der eine maßgebliche Rolle spielt, evaluiert und verbessert werden.

Bei Diskursen über die aktuelle Diversitätspolitik in verschiedene Kunst- und Kultureinrichtungen, unter anderem verknüpft mit Themen rund um die Pandemie, Sprache, Geschichte, Rassismus, Unterdrückung und vieles mehr, sitzen häufig immer und immer wieder dieselben weißen Personen auf den Podien, die folglich über und nicht mit Menschen of Color und „ihre Lebensrealtiäten“ sprechen. Wenn Kritik geäußert wird, heißt es meist: „Wir haben eben keine Person mit Migrationsbiographie gefunden“, „Wir haben ja eine Expertin aus Amerika dazu geholt“, „Wir haben einige angefragt, es haben uns aber alle abgesagt“ und/oder „Eine Person am Podium hat ja einen ausländischen Namen“.

Die Gegenfragen hierzu lauten: Gibt es in dieser diversen Gesellschaft tatsächlich keine Expert:innen mit ‚sichtbarer‘ Migrationsbiographie oder wurde sich lediglich keine Mühe gemacht, um Expert:innen of Color, die es zu Genüge gibt, anzufragen und dahingehend Beziehungs- sowie Vertrauensarbeit zu leisten? Gibt es nicht möglicherweise weitere Gründe dafür, dass der Raum nicht ausgeweitet und/oder bereitgestellt wird? Wo bleibt die Selbstverständlichkeit?

Er ist so alltäglich, dass er uns nicht auffällt, der strukturelle Rassismus, der den Alltag in seinen kulturellen, sozioökonomischen, institutionellen, historischen, diskursiven, und normativen Fundamenten beeinflusst. Es ist ein koloniales Erbe. In seinem Buch „Wozu Rassismus?“ deutet der Soziologe Aladin El-Mafaalani daraufhin, dass die intimste Zone einer Kultur ihre Sprache selbst ist. Denn in der Sprache selbst, sind das Herrschafts- und Ungleichmäßigkeitsverhältnis sowie das Prinzip des „Otherings“ eingraviert. „Das Herrschaftsprinzip: [Rassismus] ist nicht Natur, sondern Kultur. Er kanalisiert Ängste, bietet Orientierung, stärkt den Selbstwert durch Hierarchiebildung. Er hat kulturelle Funktionen: Er funktioniert und ist in dieser Hinsicht für Herrschende und Privilegierte eine ständige, eine strukturelle Versuchung.“

Die französische Politolog*in, Sachbuchautor*in und Aktivist*in, Emilia Roig schreibt im Buch „Why We Matter“, unter anderem, über Privilegien. Je aufsteigender sie sind, Emilia Roig zufolge, desto schwieriger wird es, Privilegien und Ungleichheiten anzuerkennen und sie zu akzeptieren. Emilia Roig weist auf den Psychoanalytiker, Politiker und Theoretiker, Frantz Fanon, hin, der in seinem Buch „Black Skin, White Masks“ über das unangenehme Gefühl der kognitiven Dissonanz schreibt, das ausgelöst wird, wenn ein Kerngedanke, der sehr stark ist, widerlegt wird. Wenn Beweise vorgelegt werden, die gegen eine Überzeugung in Bezug auf einen Kerngedanken sprechen, kommt es häufig vor, dass die Beweise nicht akzeptiert und negiert werden. Um die Kernüberzeugung zu schützen, wird alles, was nicht zur Kernüberzeugung passt, rationalisiert, ignoriert und sogar geleugnet. Das ist der Inbegriff defensiven Verhaltens von so manch Menschen mit Privilegien, wenn sie auf ihre Privilegien aufmerksam gemacht werden.

Bei Besuchen in Museen, Ausstellungen, im Theater, im Kino, bei Konzerten, aber auch beim Einkaufen, beim Essen, auf Werbeplakaten, beim Durchblättern der Speisekarte bis hin zum spielerischen Leben in den Kinderzimmern–Rassismus ist überall. Er ist so manifestiert, dass er vielen in den meisten Fällen nicht auffällt. Mit der Zeit werden auch Forderungen auf die aktuellen Kontexte angepasst. Gewisse Forderungen sind klar: Dezentralisierung der mächtigen Dominanz, explizite Partizipation, Repräsentation, und Förderung der weitreichenden Sensibilisierung. Dass weder das Theater noch andere Veranstaltungsorte weiterhin nur für ein weißes Publikum und von weißen Akteur:innen dominiert werden kann, ist mittlerweile klar.

Es macht sehr wohl ein Unterschied, ob eine Person of Color die grundlegenden (Forschungs-)Fragen, Zielsetzungen, Prinzipien, Drehbücher, Konzepte, und vieles mehr, die ihre eigenen Geschichten betreffen, entwickelt oder ob es eine weiße Person macht. Der Mangel an Repräsentation wirkt gesellschaftlich sowie auf Individuen. Das bedeutet, dass wir (jetzt definitiv noch) nicht aufhören können, strukturelle Probleme weiterhin und vermehrt öffentlich zu diskutieren, konstruktive Kritik zu äußern, und für gesellschaftliche Veränderung einzustehen, damit sich die Gesellschaft auch in eine Richtung entwickelt, die von allen gewünscht ist. Damit die (gute) Absicht nicht nur eine Absicht bleibt, sondern in Taten umgesetzt wird.

Zehra Baraçkılıç ist österreichische Medienkünstlerin mit kurdischer und türkischer Migrationsbiographie. Ihre künstlerischen Reflexionen befassen sich u.a. mit Emotionen und Transgenerationalität, Authentizität der Medien sowie den vielen Dimensionen von Sprache(n). Sie arbeitet und lehrt an der Angewandten Wien, wirkt als Projektmanagerin sowie Keynotespeakerin. Sie ist Mitglied der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus (Dokustelle Österreich) und bei D/Arts, dem Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog. Zudem facilitated sie Workshops zu Rassismuskritik im Kunst- und Bildungsbereich.

Literatur
El-Mafaalani, Aladin (2021): Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrassen bis zum rassismuskritischen Widerstand. Bonn: Kiwi Verlag.
Roig, Emilia (2021): Why We Matter. Das Ende der Unterdrückung. Berlin: aufbau digital.

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