Young Creatives: Unterversicherte Nomaden

Anders sieht die Sache selbstverständlich auf der Seite der ArbeitgeberInnen aus. Für sie kommt es zu abrechenbaren Vorteilen, fallen die Lohnnebenkosten doch weg bzw. sinken beträchtlich. Ein klassisches Konfliktmuster also, für das sich traditionell die Gewerkschaften verantwortlich fühlen sollten. Die allerdings können mit der neuen marginalisierten Schicht bisher wenig anfangen und haben das Problem daher bisher großteils ignoriert

Begonnen hat es mit den "Dance-Party-Ravers" - behauptet zumindest Angela McRobbie. Die erzielten in den 90ern erstaunliche organisatorische Erfolge durch informelles Networking und geschicktes Improvisieren: Ein paar FreundInnen anrufen, Musik, Getränke und Videos checken und nach und nach lernen, welche behördlichen Auflagen zu erfüllen sind - schon ist ein Cultural Promoter oder eine Cultural Entrepreneur geboren. Und wird zum Role Model einer ganzen Generation von "Young Creatives". Die Realität dieses vorkapitalistisch romantisch anmutenden Bildes der Harmonie zwischen privaten Interessen und Geldverdienen besteht allerdings zumeist in unsicherem Einkommen, fehlender sozialer Absicherung und 80-Stunden-Woche. Die Fakten: Sogenannte "atypisch Beschäftigte" wie geringfügig Beschäftigte, Freie DienstnehmerInnen und WerkvertragsnehmerInnen nehmen in allen Berufsfeldern zu.

Der Kultur- und Erziehungsbereich hat einer aktuellen Studie zufolge im Vergleich zu anderen hochqualifizierten Berufsfeldern den höchsten Anteil an solchen atypischen Beschäftigungsverhältnissen aufzuweisen. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen gab es in diesem Feld seit langem prekäre Beschäftigungsverhältnisse, vom Ehrenamt ganz zu schweigen, zum anderen macht es die Welle an Kürzungen und Einsparungen Institutionen immer schwerer, reguläre Anstellungsverhältnisse zu finanzieren. (Außerdem arbeiten die Menschen ja trotzdem, als wären sie fulltime beschäftigt.) Und zum Dritten kann seit längerem die politische Tendenz beobachtet werden, das flotte Image der "Young Creatives" zu nützen, um lausige Arbeitsverhältnisse schön zu färben. Auslagerungen führen zu immer kleineren Dienstleistungseinheiten, bis hin zu den laut Oliver Marchart "grinsenden Dienstleistungs-Monaden" im Kulturbereich.

Welche Interessen stehen nun aber hinter der allgemeinen Begeisterung für die Neuen Selbstständigen? Sind es wirklich die der "Young Creatives", die ihre Kreativität nicht durch Sozialversicherung und regelmäßige Lohnzahlungen fesseln lassen möchten? Wohl nicht. Arbeitsverhältnisse wie diese sind in bestimmten Phasen der Berufslebens interessant - und auch nur dann, wenn sie frei wählbar sind. Und spätestens sobald mensch sich nicht nur mehr um sich alleine zu kümmern hat, ist die Attraktivität solcher Beschäftigungsverhältnisse fraglich. Denn das Nomadendasein ist aufwändig, Aufbau und Pflege sozialer und beruflicher Netze kosten Zeit und Energie, soziale Absicherung und Lebensverhältnisse Interesse an dieser Art der Umorganisation, Konfliktfreudigkeit etc. Die 38jährige Kreativnomadin mit einem schulpflichtigen Kind auf dem Buckel eignet sich als Proponentin der Neuen Selbständigkeit also wohl kaum. Zumal die "Atypischen" ähnliche Segregationsprofile aufweisen wie die "Typischen". Auch hier befinden sich Frauen in den schlechteren Positionen. Unabhängig von Bildung, Nationalität, Alter. Sodass die Profiteure der neuen Arbeitsmodelle allein stehende Männer sein dürften. Womit die neuen Bilder von herumziehenden Kulturschaffenden genauso geschlechtshältig sind wie die alten Geniekünstler mit ihren Musen.

Anders sieht die Sache selbstverständlich auf der Seite der ArbeitgeberInnen aus. Für sie kommt es zu abrechenbaren Vorteilen, fallen die Lohnnebenkosten doch weg bzw. sinken beträchtlich. Ein klassisches Konfliktmuster also, für das sich traditionell die Gewerkschaften verantwortlich fühlen sollten. Die allerdings können mit der neuen marginalisierten Schicht bisher wenig anfangen und haben das Problem daher bisher großteils ignoriert. Es ist ja wohl auch zweifelhaft, ob diese einigermaßen starre Organisationsform wirklich in der Lage ist, die breit gestreuten und oft diffusen Interessen der neuen UnternehmerInnen und/ oder atypischen Beschäftigten zu vertreten. Andererseits: Wer soll das sonst tun? Diese einigermaßen verzweifelte Ausgangsüberlegung führte zur Gründung der "Interessengemeinschaft work@flex" im Rahmen der GPA. Nicht wirklich eine Sektion und auch von ihrer Besetzung her eher untypisch - kaum eine/r der AktivistInnen hatte bisher mit Gewerkschaften, Betriebsräten o.ä. etwas zu tun. - und von der Gewerkschaft selbst eher geduldet als gefördert. Dementsprechend zäh verlaufen auch die Gründungswehen.

Am Beginn dieser Gründung stand der Ehrgeiz von ein paar jungen GewerkschafterInnen, die "wirklich Marginalisierten" unserer Gesellschaft zu organisieren - die Zeitungs- und RosenverkäuferInnen und ProspektverteilerInnen, allesamt ihrem arbeitsrechtlichen Status nach freie UnternehmerInnen, ihrer sozialen Situation nach Ausgebeutete im klassisch-frühkapitalistischen Sinn. Allerdings wusste schon Karl Marx, dass nur die Arbeiteraristokratie dazu taugt, politisch organisiert zu werden, während vom Lumpenproletariat diesbezüglich wenig zu erwarten ist. Und so wechselte der Fokus der Interessengemeinschaft nach einem Jahr Stillstand zu hoffnungsvolleren neuen Selbstständigen - KulturmanagerInnen, TherapeutInnen und Consultants. Die nun bisher durchaus motiviert, aber noch etwas planlos an ihrer Selbstorganisation basteln.

Das Gelingen dieses Experiments wird wohl nicht nur von den Betroffenen selbst abhängen. Denn es ist hoch an der Zeit für politisch-strukturelle Überlegungen für diese gar nicht mehr so neuen Arbeitsverhältnisse. In Ermangelung einer anderen Organisation mit ähnlicher Stärke und Erfahrung ist von der Gewerkschaft zu verlangen, dass sie Basisabsicherungen für den gesamten Bereich durchsetzt. Zusätzlich bedarf es aber sicherlich Interessenvertretungen, die sich um spezifischere Interessen einer enger gefassten Klientele kümmern. Vielleicht nach dem Vorbild der IG Kultur, IG AutorInnen oder IG freie Theaterarbeit. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht wäre es auch im engeren künstlerischen Bereich an der Zeit, einen "reality check" für angebliche gemeinsame Interessen durchzuführen und Neuorganisationen zumindest zu erwägen.

Elisabeth Mayerhofer und Monika Mokre sind Mitglieder von FOKUS - Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien.

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