Region der Möglichkeiten. Elisabeth Schweeger im Gespräch
Die Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 versteht sich als Prozess und nicht als Event. Erstmals in der 37-jährigen Geschichte der Kulturhauptstadt findet diese im inneralpinen, ländliche geprägten Raum statt, als Zusammenschluss von 23 Gemeinden. Ein Gespräch mit Elisabeth Schweeger, Direktorin der künstlerische Geschäftsführung der Kulturhauptstadt Europas 2024 (KHS).
IG Kultur– Welchen Eindruck haben Sie von der Kulturszene und ihren Strukturen im Salzkammergut?
Elisabeth Schweeger— Historisch ist es wirklich eine kulturträchtige Region. Und die zeitgenössische Kulturszene ist vorhanden, hat ein großes Potenzial, aber nicht gerade große Möglichkeiten, sich zu präsentieren oder zu entwickeln. Das hat zum einen mit mangelnder Infrastruktur und mangelnden Finanzierungen zu tun, zum anderen aber auch mit mangelnden Möglichkeiten, sich auszutauschen und zu treffen.
Welche Prozesse wurden initiiert, um den Austausch mit den lokalen Kulturszenen sicherzustellen?
Elisabeth Schweeger— Viele Projekte entstanden mit heimischen Künstler*innen oder Kreativen. Daher sind wir seit zwei Jahren kontinuierlich im Austausch. Zusätzlich werden wir während des Kulturhauptstadtjahres Treffpunkte organisieren, so aufgeteilt, dass jede Region genügend Möglichkeiten für Begegnungen, Austausch und Dialog hat. Wir zeigen Möglichkeitsräume auf. Wie zum Beispiel die leerstehenden Bahnhöfe entlang der Bahnstrecke, die wir für ein Artist-in-Residence-Programm mit ausländischen und inländischen Künstler*innen nutzen. So werden aus Leerständen neue Begegnungsstätten, wo zum Teil auch das „Wirtshauslabor“ arbeiten wird, gemeinsam mit Spitzenköch*innen und jungen Leuten aus der Region.
Was wir bereits gemacht haben, ist unter anderem der „Marktplatz der Ideen“, der bereits zweimal stattgefunden hat. Vor meiner Zeit wurde der Open Call ausgeschrieben. Man dachte, es kommen vielleicht vierzig Einreichungen. Dann gab es über 1.000 Einreichungen. Das war phänomenal. Deswegen rede ich von einem Potenzial in dieser Region. Man muss der Politik aufzeigen, wie viel Interesse da ist, wie viele Menschen ein Be- dürfnis haben, sich künstlerisch zu betätigen. Beim „Marktplatz der Ideen“ konnten sich Künstler*innen treffen und austauschen. Fördergeber*innen, Bürgermeister*innen und Touristiker*innen wurden eingeladen, um über Finanzierungsmöglichkeiten zu reden und produktive Kontakte zu knüpfen. Ich hoffe natürlich, dass das fortgeführt wird. Und es ist, wie jede Messe, eine Chance, dass die Szene sich miteinander vernetzt.
Auch jetzt passiert schon einiges: In Gmunden entsteht ein Kunstquartier. In Bad Ischl gibt es das Sudhaus – ein Gebäude der Saline – das zu einem Ausstellungsort mutiert und später ein Kulturzentrum werden soll. Bad Goisern hat ein sehr aktives Handwerkshaus, wo bereits jetzt internationale Künstler*innen-Austäusche stattfinden. Während des Kulturhauptstadtjahres wird das noch viel aktiver, jetzt sind wir in der Erarbeitungsphase.
Im Grunde geht es darum, junge Menschen zu ermutigen, in der Region zu bleiben.
Stichwort Open Call: Sie meinten dazu einmal, das oberste Prinzip bei der Auswahl der Projekte ist die Nachhaltigkeit. Jetzt wissen wir aus Erfahrung, dass Nachhaltigkeit sehr verschieden interpretiert wird. Welche Parameter legen Sie im Hinblick auf Nachhaltigkeit an?
Elisabeth Schweeger— Nachhaltig ist jegliche Kunst, die ich betrachte. Sie ist dann Teil von mir. Nachhaltigkeit heißt aber auch, dass Möglichkeiten bestehen, nachher weiterzuarbeiten und zu entwickeln. Kulturhauptstädte können Anregungen geben, wie das stattfinden kann, Formate vorschlagen, versuchen, etwas anzustoßen, internationale Vernetzungen ermöglichen, Brücken bauen, Türen öffnen und darauf hinweisen: Hier liegt ein Potenzial, darauf kann weiter gebaut werden.
Die Leerstandserhebung etwa zeigt, dass es 300 Objekte gibt, die genutzt werden könnten. Wir dürfen zwar keine Infrastrukturprojekte fördern, aber darauf hinweisen, sie zu nutzen. Oder wenn wir Kontakte ins Ausland herstellen, vernetzen und daraus Arbeitsbeziehungen entstehen, ist das nachhaltig. Das ist das Prinzip von Kulturhauptstädten: Das Vorhandene mit dem Fremden in Dialog bringen. Dann kann daran weitergearbeitet werden. Nachhaltig ist natürlich auch, dass einiges angeschoben wird, zum Beispiel die Sanierung des Lehár-Theaters in Bad Ischl, die Entstehung eines Kulturquartiers in Gmunden oder der Relaunch des Bartlhauses in Pettenbach, des Literaturmuseums in Altaussee und des Stadtmuseums Bad Ischl.
Ebenso ist nachhaltig, wenn wir Jugendliche eigenverantwortlich Projekte entwickeln lassen, um darüber nachzudenken: Wie wollen sie in Zukunft leben? Daraus entstehen nicht nur ein Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung, sondern letzten Endes mit Mitteln der Kulturhauptstadt auch Möglichkeiten, an der eigenen Zukunft zu arbeiten und Handlungsstrategien zu entwickeln.
Wenn man so den Boden fruchtbar macht, dann hat das eine Zukunft. Denn dann gibt es auch Berufsperspektiven. Im Grunde geht es darum, junge Menschen zu ermutigen, in der Region zu bleiben. Und natürlich arbeiten wir an Projekten, die sehr partizipativ angelegt sind. In den Workshops „Simple Smart Buildings“ geht es um die Zukunft des Bauens und der Baumaterialien im ländlichen Raum. Oder der Schwerpunkt zur Vermeidung der Bodenversiegelung, bei dem unter wissenschaftlicher Anleitung Bürgermeister*innen, Mitarbeiter*innen und alle Interessierten gemeinsam ausloten, welche „Bodenstrategien“ sich umsetzen lassen. Das sind Projekte, die ausschließlich auf Nachhaltigkeit abzielen.
Über den Austausch wächst eine Region und bewahrt ihre Qualität.
Sie stehen in intensivem Austausch mit der lokalen Politik und Verwaltung. Welche Erfahrungen, Empfehlungen ziehen sie daraus?
Elisabeth Schweeger— Zunächst ein großes Lob an alle, wie sie sich gemeinsam für die Kulturhauptstadt einsetzen. Ich glaube, die Bürgermeister*innen und Mitarbeiter*innen der Gemeinden haben sehr wohl erkannt, was für eine Chance es ist, gemeinsam am Tisch Problemfelder zu besprechen und damit mehr Kraft zu haben, Strategien für die Zukunft zu entwickeln.
Bei der Bodenversiegelung haben wir zum Beispiel gemerkt, dass die Gemeinden sich nicht miteinander austauschen. Aber sie haben alle ungefähr dieselben Probleme. Wenn sie sich zusammentun, können sie gemeinsam Handlungsfelder aufmachen, die ihnen mehr Durchsetzungsvermögen auf der nächsten politischen Ebene womöglich erlauben. Ich habe das Gefühl, dass sich schon jetzt viel bewegt. Alleine das viele Reden und Diskutieren legt Zeugnis davon ab. Aber der ländliche Raum ist gegenüber dem urbanen Raum noch immer benachteiligt. Mit den Mitteln der Kulturhauptstadt können wir zumindest darauf hinweisen, dass der ländliche Raum ein unendliches Potenzial hat, um absolut gleich interessant und wichtig wie ein urbaner Raum zu sein, aber auch dementsprechend gepflegt und gefördert werden müsste: Im Bereich Mobilität, öffentlicher Verkehr, Institutionen für Kunst und Kultur, etc. und damit letzten Endes Bildung und Arbeitsplätze ermöglichen.
„Von hier“ oder „nicht von hier“ – das scheint eine große Frage, wird sie doch in fast allen medialen Berichten implizit mittransportiert und damit mit Bedeutung aufgeladen. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld der „Zugehörigkeit“ um?
Elisabeth Schweeger— Ich finde, der Blick von außen ist ziemlich gesund. Ein gewisser Abstand hilft, ein Verständnis zu entwickeln für andere Perspektiven. Ein starkes Identitätsbewusstsein findet man in allen alpinen Regionen und ländlichen Räumen, dieses „Verwachsensein“ mit dem Ort, dieses „mia san mia“ (wir sind wir). In einer Region aber, die so viele Tourist*in-nen hatte und hat; einer Region, die von der künstlerischen Welt von Wien und anderswo geprägt war und ist; einer Region, die so durch Export und Handel definiert war und ist, also durch den Wissenstransfer und Austausch entstanden ist – da stellt sich doch differenziert die Frage: Wer sind „wir“ heute?
Brauchtum und Traditionen sind Ressourcen, aus denen wir schöpfen, um uns weiterzuentwickeln. Das Erstarren in ihnen hilft niemandem und schon gar nicht einer Gesellschaft, die sich permanent neu adaptieren muss, weil sich die Umstände politisch, technisch, wirtschaftlich und klimatisch ändern. Über den Austausch aber wächst eine Region und bewahrt ihre Qualität. Identitäten sind eine fluide Sache, sie bewegen sich. Man sollte erkennen: Das Fremde macht uns reich und weit. Das ist auch die Intention der Kulturhauptstadt Europas: die Hoffnung, über vielfältige Kunst und Kultur voneinander zu lernen und damit für die Herausforderungen der Zukunft fit zu sein.
Elisabeth Schweeger ist künstlerische Geschäftsführerin der Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024 GmbH.
Dieser Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1.23 „LAND KULTUR ARBEIT“ des Magazins der IG Kultur Österreich – Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
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