MigrantInnen im Kulturbereich. Beobachtungen aus der Provinz

Seit drei Jahren intensiviert sich in Oberösterreich ein Diskussionsprozess um die Thematik der Partizipation von MigrantInnen im Kulturbereich. Diese Intensivierung wurde durch den Beitritt von MAIZ als erste MigrantInnenorganisation in die oberösterreichische Plattform der Kulturinitiativen, die KUPF, ausgelöst.

Seit drei Jahren intensiviert sich in Oberösterreich ein Diskussionsprozess um die Thematik der Partizipation von MigrantInnen im Kulturbereich. Diese Intensivierung wurde durch den Beitritt von MAIZ als erste MigrantInnenorganisation in die oberösterreichische Plattform der Kulturinitiativen, die KUPF, ausgelöst. Zur gleichen Zeit bestand MAIZ drauf, auch das elektronische Kulturnetzwerk servus.at als Server in Anspruch zu nehmen. Die KUPF, bereits sensibilisiert und offen gegenüber der Diskussion rund um die Thematik Migration, reagierte schnell, das Thema MigrantInnen im Kulturbereich wurde bald zu einem ihrer Schwerpunkte. Andere MigrantInnenorganisationen erkannten im Lauf der Diskussion die Möglichkeit, sich hier stärker einzubringen und wurden ebenfalls KUPF-Mitglieder. Bezüglich der Partizipationsmöglichkeiten für MigrantInnengruppen war Radio FRO - das Freie Radio Oberösterreich - ein weiterer wichtiger Faktor.

Schließlich wurde auch der oberösterreichische Landeskulturbeirat auf das Thema aufmerksam und organisierte zwischen März und Mai 2000 einige Treffen, zu welchen VertreterInnen von Kulturvereinen von MigrantInnen, sowie die KUPF und VertreterInnen von Organisationen, die für MigrantInnen arbeiten, eingeladen wurden. Für einige der VersammlungsteilnehmerInnen, u.a. VertreterInnen von DIKD (Föderation der Demokratischen Arbeitervereine e.V), ATIGF (Föderation der Arbeiter und Jugendlichen aus der Türkei in Österreich), MAIZ, KUPF, Ungaro Studio, Verein Begegnung, Integrationsbeirat Vöcklabruck, Integrationsbeirat Linz waren diese Treffen der ideale Boden für das Entstehen weiterer Ideen, die im Sinne einer protagonistischen Mitgestaltung von MigrantInnen im Kulturbereich entworfen wurden.

Aus den Entwürfen entstand ein konkretes Vorhaben: ein Symposium zum Thema MigrantInnen und Kultur, das gleichzeitig als Raum für Reflexion und Auseinandersetzung und als Möglichkeit des Kennenlernens und der Vernetzung konzipiert wurde. Das Projekt wurde beim Landeskulturbeirat eingereicht und in das Vorschlagspaket dieses Gremiums an die oberösterreichische Landesregierung aufgenommen. Wir waren alle sehr erfreut, trotz Skepsis und Vorsicht. Die Freude wurde jedoch bald abgelöst von heftigen Kontroversen zwischen der Arbeitsgruppe, die das Projekt konzipiert hatte, und dem Landeskulturbeirat.

Mit Vorsicht und noch mehr Entschlossenheit wurde dennoch weitergearbeitet, aus dem Arbeitskreis entstand ein Verein: das Forum Interkulturalität, eine Kooperationsgemeinschaft privater Personen und gemeinnütziger MigrantInnenorganisationen, die im Kulturbereich tätig sind.

Die Durchführung des Symposiums war ursprünglich für November 2000 geplant. Es konnte erst im November 2001 ohne Beteiligung des Landeskulturbeirats und mit einem minimalen Budget realisiert werden. Das Treffen war ein wichtiger Schritt, denn zum ersten Mal ist es den MigrantInnen (und nicht jemand anderem für uns) in Oberösterreich gelungen, eine Veranstaltung durchzuführen, die den VertreterInnen von MigrantInnenvereinen und von Organisationen, an denen MigrantInnen aktiv mitwirken, den geeigneten Rahmen geboten hat, um über die Bedingungen, Möglichkeiten und Formen der Arbeit im Kulturbereich zu diskutieren, Perspektiven der Zusammenarbeit zu reflektieren und weitere Vorgangsweisen zu entwerfen. Ein Bericht vom Treffen ist inzwischen bereits erschienen (s. Salgado, Rubia. Folklore, Tradition und Ethnizität in der Migration. KUPF Zeitung. Nr. 94/5, 2001). Zur Zeit wird an einem Forderungskatalog weitergearbeitet. Im Februar soll eine Dokumentation samt Katalog präsentiert werden.

Auffallend am Symposium war allerdings die Abwesenheit von Organisationen und Institutionen, die gewöhnlich für die MigrantInnen sorgen: VertreterInnen der katholischen Kirche, von karitativen Organisationen und NGOs, von Bildungsinstitutionen, Institutionen aus der Sozialpartnerschaft, aus der Entwicklungspolitik usw. waren nicht da. Zur selben Zeit wurde jedoch von der "Plattform Integration" (Verein zur Betreuung der AusländerInnen in OÖ, Land der Menschen OÖ, Volkshilfe-Flüchtlingsbetreuung OÖ, Flüchtlings- und Gastarbeiterberatung der Caritas OÖ, Arbeiterkammer OÖ, ÖGB OÖ sowie Ausländer-Integrationsbeirat der Stadt Linz) "eine Kooperation von Institutionen und Einrichtungen, die sich seit Jahren um die Integration und Betreuung von AusländerInnen bemühen", ein Aufruf unter dem Titel "Nein zum sogenannten 'Integrationsvertrag' der Regierung - Ja zu Integrationsmaßnahmen" an die Medien geschickt. Im veröffentlichten Text (s. http://www.migration.at) ist zu lesen, dass die Plattform im Gegensatz zu dem von der Bundesregierung geplanten "Integrationsvertrag" "eine umfassende Integration von MigrantInnen in die österreichische Gesellschaft" anstrebt; eine Position, die auf keinen Fall zu bestreiten ist. Allerdings fällt hier auf, dass Selbstorganisation und Protagonismus in dem von der Plattform angestrebten Integrationsprozess nicht erwähnt werden. In diesem Sinn ist es auch nicht überraschend, dass sie den Prozess und den Kampf von MigrantInnen um Mitgestaltung und Protagonismus nicht unterstützt.
Schon in einem Forschungsprojekt aus dem Jahr 1993 waren fünf Kulturinitiativen und Vereine von MigrantInnen in Linz befragt worden. "In erster Linie ist festzustellen, daß nur ein kleiner Teil der Linzer Clubs und Vereine von AusländerInnen tatsächlich Kulturveranstaltungen organisieren. (...) Diese ausländischen Initiativen beschränken sich fast ausschließlich auf ihre Rolle als Publikum der jeweiligen Kultur. Öffentliche Kulturspektakel veranstalten nur wenige. Vor allem spielt auch der Mangel an geeigneten Räumen eine große Rolle."

Diese Feststellungen werden durch die Beobachtungen von AktivistInnen im Forum Interkulturalität bestätigt: In Oberösterreich gibt es ca. 40 angemeldete Kulturvereine von MigrantInnen. Unter ihnen gibt es keinen, der in einer ähnlichen Form arbeitet wie die meisten oberösterreichischen Kulturinitiativen. Die notwendige Infrastruktur für die Durchführung einer Arbeit im Sinn der Organisation von Kulturveranstaltungen sind nicht vorhanden. Einige der Vereine verfügen über eigene Räumlichkeiten, die jedoch für diesen Zweck nicht geeignet sind. Die meisten Vereine verfügen über keine bzw. über eine sehr geringe Subvention. Nur wenige Vereine haben einen Überblick über Formen und Möglichkeiten von Förderungen in Österreich. Die bisherige Partizipation dieser Vereine am kulturellen Geschehen reduziert sich meistens auf Folkloreaufführungen, die sie auf Einladung im Rahmen von Festen und anderen Veranstaltungen präsentieren können. Eine Ausnahme bildet die Tätigkeit von MAIZ und die Gestaltung von Radiosendungen bei Radio FRO, wo viele MigrantInnenvereine und -gruppen mitwirken.

Ein deutlicher Unterschied zwischen den Feststellungen aus dem Jahr 1993 und der Beobachtung der Entwicklung in den letzten drei Jahren in Oberösterreich macht sich allerdings bemerkbar:

Im Forschungsbericht können wir lesen, "(...) daß dem Bereich Kultur von den meisten Initiativen nicht das Hauptaugenmerk geschenkt wird. Kultur bleibt nur ein kleiner Teilaspekt bei der Integration von AusländerInnen. Wichtiger sind arbeits- und sozialrechtliche Maßnahmen zur Gleichstellung von AusländerInnen (...)".

Heute wird versucht, Kulturarbeit von MigrantInnen in einen Grenzraum zwischen Kultur und Sozialem zu situieren. Das Programm des im November realisierten Vernetzungstreffens bildet ein klares Beispiel für diese in Oberösterreich neue Tendenz. Denn hier wurde der Schwerpunkt Kulturarbeit immer im Zusammenhang mit allgemeinen gesellschaftlich-politischen Aspekten betrachtet, und in diesem Sinn wurden auch die Arbeit im Sozialbereich bzw. die Schaffung von Möglichkeiten innerhalb eines Grenzraums zwischen Kultur- und Sozialbereich stark berücksichtigt. Und wie Erika Doucette in ihrer Diplomarbeit zum Thema Kulturarbeit von Migrantinnen schreibt, ist es auch den im Prozess beteiligten MigrantInnen bewusst, dass "... eine gesamtgesellschaftliche Veränderung insbesondere für Menschen, die hier kein öffentlich zugesprochenes Mitbestimmungsrecht haben, nicht nur im Feld der Kulturarbeit stattfinden [kann]. Es bedarf vielmehr Strategien, welche die Entwicklung von Migrantinnen in gesellschaftlichen Bereichen außerhalb der 'Kultur' ermöglicht (...). Andererseits ist der verhältnismäßig 'leicht' zugängliche Bereich der Kulturproduktion bereits offen für Migrantinnen und bietet ein öffentlichkeitswirksames Medium, wodurch politische Anliegen transportiert werden können."

Darüber hinaus basiert der Prozess auf emanzipatorischen Ansätzen, und Selbstorganisation wird hier als ein Akt des Protagonismus, als eine Durchsetzung in Richtung Partizipation und Anerkennung von MigrantInnen als handelnde Subjekte in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens gesehen und angestrebt.

Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf die Zusammenarbeit zwischen MigrantInnen und MehrheitsösterreicherInnen im Rahmen von Projekten im Kulturbereich. Im bereits zitierten Forschungsbericht finden wir eine Analyse von "multikulturellen" Veranstaltungen, die im Jahr 1992 in Linz stattgefunden hatten. Unter den 11 präsentierten Veranstaltungen wurde lediglich eine von einem Kulturverein von MigrantInnen organisiert. Als weitere Veranstalter erscheinen u.a. das Kulturamt der Stadt Linz, der Verein zur Betreuung von Ausländern, Caritas, Volkshilfe, IEZ (Institut für Entwicklungszusammenarbeit), Kulturzentrum Hof, Amnesty International. Die Partizipation von MigrantInnen beschränkt sich laut Beschreibung im Bericht auf folkloristische Darstellungen und Bereitstellung von kulinarischen Spezialitäten.
Spätestens seit dem Eindringen des Vereins MAIZ in das Feld der Kulturarbeit ist die Beteiligung von MigrantInnen als VeranstalterInnen im Kulturbereich keine Neuigkeit mehr in Oberösterreich. Auch die Diskussion um die Thematik Folklore und Ethnizität in der Migration gewinnt immer mehr an Aufmerksamkeit. Die Zusammenarbeit zwischen MigrantInnenvereinen und anderen Organisationen und Institutionen wird von MAIZ - und in der letzten Zeit verstärkt durch die Aktivitäten des Forum Interkulturalität - in der Öffentlichkeit thematisiert und problematisiert. Nicht zuletzt wird auch vermehrt versucht, die Zusammenarbeit zwischen MigrantInnen und KünstlerInnen zu diskutieren.

Die in den Prozess involvierten Vereine stehen gerade in einer Phase der Auseinandersetzung mit möglichen Formen der Beteiligung und beschäftigen sich mit der Definition von spezifischen Zielen und mit der weiteren Bearbeitung eines Forderungskatalogs. Es geht jetzt darum, gemeinsam den Prozess weiterzuführen, in der Öffentlichkeit präsent zu sein, Forderungen zu stellen und sich für ihre Umsetzung zu engagieren. In dieser koordinierten Form der Arbeit können die einzelnen Vereine ihre spezifischen Ziele und Visionen entwickeln und gemeinsam für strukturelle Veränderungen auftreten.

Ähnliche Artikel

Der Regierungswechsel unter der Führung der steirischen FPÖ hat bei den steirischen Kunst- und Kulturtätigen viele Unsicherheiten ausgelöst. Grund dafür sind unter anderem diverse Behauptungen, die die FPÖ in ihrem Wahlprogramm aufgestellt hat. Um für mehr Klarheit zu sorgen, hat die IG Kultur Steiermark die aktuellen Kernfragen und Fakten zusammengefasst.
Ein Über- und Einblick in die ressourcenschonende Kulturarbeit mit Wissen, Praxis und Motivation. Der Workshop unter der Leitung von Mag.a (FH) Julia Weger findet Dienstag, 5. November 2024, von 17.00 – 20.00 Uhr im Jonas Schlössle in Götzis statt. Eingeladen sind Kulturarbeiter:innen, Künstler:innen, Kulturvermittler:innen, Führungskräfte und Interessierte.
Kulturstaatssekretärin Mayer hat heute eine Erhöhung des Budgets für Kulturinitiativen um 700.000 € (+15%) angekündigt. Die Interessenvertretungen der Kulturinitiativen begrüßen diese Erhöhung als ersten Schritt. Weitere Erhöhungen und eine Ausweitung des Empfängerkreises sind und bleiben aber notwendig.