Generationenwechsel in der Kultur

Den Laden übergeben? Gehen die Neuen mit genauso viel Herzblut rein, wie wir? Können die Altvorderen auch Neues zulassen? Wie findet man Nachfolge, wie verliert man nicht das Wissen und Know-How, wenn jemand ausscheidet? Wechsel sind nicht einfach, sie brauchen Zeit und Geduld – und viel Kommunikation. Doch es gibt Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten. 

Generationenwechsel Übergabe Kultur Betrieb

In den letzten Jahren startete ein großer Generationenwechsel im Kulturbereich. Es ist die Gründungsgeneration, die sich verabschiedet. Die Zentren entstanden in den Ausläufern der großen sozialen Bewegungen der 60er und 70er Jahre. Es waren die Boomer und Post-68er. Sie haben diese Art der Kultur mehr oder weniger erfunden, Orte besetzt, Nutzungsrechte erkämpft, Strukturen aufgebaut. Es entstanden Zentren in alten Fabriken, Hallen oder Mühlen, verlassenen Krankenhäusern, oder Gebäuden, die zum Abriss bestimmt waren. Sie haben Investoren und Spekulanten eins ausgewischt und dabei noch gleichzeitig Stadtteile belebt und aufgewertet. Oft hielt die Gründungsgeneration auch seit Jahrzehnten die Posten der Geschäftsführung inne. Davon kommen jetzt viele in das Pensionsantrittsalter und haben nicht selten Probleme mit der Nachfolge. 

Man muss die Unterschiede der Generationen verstehen, die da aufeinandertreffen. Die ältere Generation spricht den Nachzüglern gerne mal den Idealismus ab, zweifelt an der Einstellung. Das liegt an den unterschiedlichen Hintergründen: Die Gründungsgeneration kam aus allen möglichen Umfeldern und Berufen, hat die Vereine aufgebaut und darin ein Stück Selbstverwirklichung gefunden. Das daraus ein Job wurde, war eher Nebenprodukt, als Zweck der Übung. Die Nachfolge hat einen ganz anderen Background, kommt mittlerweile von der Uni oder Kulturmanagementlehrgängen und sucht nicht nur Verwirklichung, sondern einen Job. Da spielen weitere Überlegungen eine Rolle, wie das Arbeitsumfeld, Entwicklungspotenziale und Geld. 
Das versteht eine Generation nicht, die sich für ihre Ideale selbst ausgebeutet hat, weil ihnen die Sache so wichtig war. Sind die jungen tatsächlich weniger idealistisch? Ingrid Wagemann sieht das nicht so. Sie ist Beraterin der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur in Niedersachsen, begleitete die Transformationsprozesse im Kulturbereich und weiß sehr genau, wie der Eindruck entsteht: „Ich sehe genug junge Menschen, die sich einsetzen – das machen sie auch ganz ohne Geld, allerdings dann bei ihren eigenen Initiativen, wo sie eigene Strukturen aufbauen und sich selbst genauso für die Sache ausbeuten, wie es die frühere Generation gemacht hat.“ Wenn ich die Selbstverwirklichung von jemand anderem übernehmen soll, braucht das einen weiteren Anreiz. Da gehört angemessene Bezahlung dazu. Genau hier stellt sich dann ein weiteres Problem, denn oft haben Kulturinitiativen gar nicht das Geld, um angemessen zu zahlen. Die meisten Hürden beim Generationenwechsel sind aber ohnehin „persönlicher“.

Die Übernahme kommt ins Stocken, wenn die ältere Generation zu sehr auf ihren Positionen klebt. Es ist kein angenehmes Gefühl, Bedeutung und Wirksamkeit zu verlieren: „Menschenskinder, die haben das aufgebaut und zum Teil 40 Jahre so gemacht, wie sie das richtig fanden. Das ist natürlich schwer,“ weiß Ingrid Wagemann. Viele haben ihre Tätigkeit dabei so stark in ihr Privatleben integriert, dass das manchmal nicht leicht wieder zu trennen ist. Das beginnt schon mit dem Ort oder Besitzzusammenhängen. Andere Probleme ergeben sich durch undurchsichtige Organisation. Da gibt es dann Berge an Aktenordnern, mit denen niemand mehr etwas anfangen kann, weil niemand mehr da ist, der weiß, wo das herkommt, ja nicht einmal so recht beurteilen kann, ob das wichtig oder interessant sein könnte. „Manche geben auch ihre Schlüssel einfach nicht ab und geistern dann immer noch durchs Haus,“ erzählt Wagemann. In anderen Fällen wollen die Alten mit einem Fuß drinbleiben, vielleicht eigene Wunschprojekte weiterführen, sich Rosinen rauspicken oder weiterbestimmen. Dinge zu verändern ist schwierig, wenn sich irgendwo eine Schattengeschäftsführung versteckt. Schließlich muss sich die Nachfolge das eigene Profil erst erarbeiten und dabei auch Prozesse ändern. Hilfreich kann ein symbolischer Abschied sein, eine Art Akt oder Fest, an dem auch eine Würdigung in einem angemessenen Ritual stattfindet vonseiten jener, die bleiben. Dann besteht ein konkreter Termin, um Tische zu räumen oder Schlüssel abzugeben. „Etwas neues kann erst beginnen, wenn man sich von dem Alten auch richtig verabschiedet hat,“ so Wagemann. 
Ein schneller Abschied ist aber nicht notwendig und auch nicht immer sinnvoll. Wissen, Erfahrung und Kontakte sind eine wichtige Ressource, die erhalten werden sollte. Mit einer langjährigen Geschäftsführung geht viel davon verloren. Es ließe sich viel Arbeit, Zeit und Geld sparen, wenn man auf der Erfahrung aufbauen könnte, die im Betrieb vorhanden war. Wenn man sich hier um eine Art der weiteren Involvierung bemüht, holt man diese Ressource nicht nur ein, man löst womöglich auch das Problem der Anerkennung und Wertschätzung. Eine Mentoring-Schiene langfristig vor und nach der Übergabe angelagert, könnte Abhilfe schaffen, die Übergabe erleichtern und Wissen für den Betrieb sichern. Den Prozess müssten Vorstand und Büro jedoch vorstrukturieren. 

Die junge Generation geht an diese Befindlichkeiten oft nicht sehr sensibel ran, fährt schon mal die Ellenbogen aus. Wagemann nimmt die Nachfolgenden dabei meist als Menschen wahr, die mit sehr viel Begeisterung und Energie und auch gut ausgebildet mit sehr viel Kompetenz an die Sache gehen, allerdings keine Vorstellung davon haben, wie es den Älteren in diesem Prozess geht. „Widerstände muss man streicheln! Das ist ja eine intime Angelegenheit, die arbeiten seit vielen Jahren zusammen, da muss man überlegen, wie man mit Empathie an die Sache geht, Widerstände löst und Brücken baut und Menschen abholt,“ sagt Wagemann: „Das liegt den Jüngeren nicht immer, die sind eher voller Tatendrang, wollen endlich zur Sache kommen, ein eigenes Bild prägen.“ 
Die junge Generation hat womöglich Sorge, nicht ernst genommen zu werden, neigt zu Überkompensation, um sich den Platz zu erkämpfen. Auf Widerstände mit Härte zu reagieren ist aber manchmal kontraproduktiv, es geht nämlich nicht nur um die eine Person, die den Betrieb verlässt: „Häufig gibt es da ja ein ganzes Team. Veränderungen machen dabei immer Angst. Wenn jemand kommt, der etwas Neues machen möchte, tritt da manchmal eine ganze Dynamik los, die Widerstände hervorruft.“ 

Die Kunst am Wechsel ist es, eine eigene Linie zu zeigen, ohne das Haus auf den Kopf zu stellen. „Man braucht echt Zeit für so einen Wechsel, muss sich überlegen, wie man mit Widerständen umgeht und sie überbrückt, um den Prozess gemeinsam zu beschreiten,“ so Wagemann. Man sollte genug Zeit einplanen, Büro und Vorstand müssen überlegen, was die wichtigsten Aufgaben sind, die beibehalten werden und nicht alles auf einmal, sondern nach und nach übergeben. Die Älteren bleiben dann manchmal erhalten, machen kleinere Jobs im selben Betrieb oder bringen sich an anderen Orten ein. Das läuft aber nicht von einem Tag auf den anderen und beinhaltet auch, dass die Nachfolge Geduld dabei zeigt, wenn es darum geht, die Zügel in die Hand zu kriegen. 
Diesen Prozess kann man aber vorbereiten: Klare Strukturen und Vereinbarungen helfen den Neuen dabei, sich zu orientieren. Die müssen nämlich einiges für sich klären: Wie will ich leiten, wie öffentlich auftreten? Wie kann ich meine Aufgaben authentisch wahrnehmen? Gibt es alte Probleme oder Konflikte, die weiterwirken? Um erfolgreich durch größere Veränderungen zu kommen, muss man das Unternehmen gut kennen und sich vor allem der ungeschriebenen Gesetze, Gepflogenheiten, Dynamiken bewusst sein, damit man weiß, wie man diese für neue Impulse nutzen kann. Man sollte ruhig bleiben und sich erst mal den Überblick verschaffen. Mit zu viel Elan und Schwung kann man auch gegen die Wand laufen. Wagemann vergleicht das mit einem Mobilé, einem System vieler Teile, die aufeinander reagieren. Wenn da ein Teil verändert wird, werden die anderen davon angestoßen und verändern sich auch. Das braucht Zeit, bis sich ein neuer Rhythmus eingestellt hat und eine neue Geschäftsführung stellt in diesem System eine gravierende Veränderung dar. 

Manchmal kommt man aber gar nicht so weit, weil man nicht weiß, wie man überhaupt eine passende Nachfolge finden soll. Wird der Posten in absehbarer Zeit vakant, ist es eigentlich schon recht spät. Dieser Frage sollte man sich stellen, wenn man noch gar keine Nachfolge braucht, denn sonst hilft nur noch eine Stellenanzeige. Menschen, die mit Herzblut an der Sache sind, findet man aber leichter unter Menschen, die früher schon mal mit der Initiative zu tun hatten. So einen Nachwuchs "aus den eigenen Reihen“ ermöglicht man nur dadurch, dass man laufend Anbindung an die Jugend sichert. Möglichkeiten können Projekte mit umliegenden Schulen oder Artist in Residence Programme sein, es kann aber auch heißen, dass man über Praktika, Volontariate oder studentische Hilfskräfte junge Menschen in den Betrieb holt, sie aber nicht nur als Billigarbeitskräfte sieht, sondern auch versucht, kleine, angemessene Freiräume zu suchen, in denen sie gestalten können. Sie sollen sich ja gern daran erinnern und womöglich zurückkehren wollen. Mir ist zu dieser Sache ein Satz in Erinnerung geblieben - meine ehemalige Chefin Gabriele Gerbasits hat mal zu mir gesagt: „Sei nett zu den Praktikant*innen, sie sind die Geschäftsführer*innen von morgen.“ 

Mit einem Generationenwechsel ist es wie mit jeder größeren Änderung: Soll sie gelingen, braucht es Zeit. Dabei geht es um mehr, als eine Person, die geht und eine, die kommt. Der Betrieb ist ein Uhrwerk und mit einem Rädchen ändert sich der Lauf. Es ist eine Chance, neue Wege zu beschreiten, aber auch ein Risiko, dass Konflikte Ressourcen kosten oder mit dem Ausscheiden Wissen und Kontakte verlorengehen. Wenn man hier früh investiert, spart man sich später viel Mühe und sichert einen erfolgreichen Fortbestand der Initiative. 

 

 

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