In der Fotogalerie Wien, die seit über vierzig Jahren ein zentraler Ort für künstlerische Fotografie in Österreich ist, hat 2024 der berüchtigte Generationenwechsel stattgefunden. Susanne Gamauf, die langjährige Leiterin, hat das Kollektiv verlassen und damit eine Ära beendet. Nach über drei Jahrzehnten, in denen sie die Galerie geprägt hat, widmet sie sich nun wieder verstärkt ihren eigenen Projekten und ihrer künstlerischen Arbeit. Für uns ist das eine inspirierende Übergabe und gleichzeitig die Herausforderung, einerseits ein neues Kapitel aufzuschlagen und andererseits die Geschichte und Tradition des ältesten bestehenden Ausstellungsraums für künstlerische Fotografie in Europa zu bewahren.
Der Wandel zeigt sich nicht nur in den Strukturen des basisdemokratischen kuratorischen Kollektivs, das derzeit aus zehn Künstler*innen und Theoretiker*innen besteht. Nicht zuletzt sind die Rahmenbedingungen unserer Arbeit und unser Publikum einem Wandel unterworfen.
Wandel auch im Publikum
Denn auch im Publikum ist der Generationenwechsel deutlich spürbar. Viele unserer Besucher*innen kennen uns seit Jahrzehnten, manche von ihnen wurden schon als Kleinkinder auf Vernissagen mitgenommen, begleiten uns quasi bereits ein Leben lang. Es ist faszinierend für uns zu sehen, wie eine solche Verbindung zwischen einer Kulturinitiative und ihren Gästen wachsen kann. Gleichzeitig bringt jede neue Generation frische Perspektiven, Wünsche und Bedürfnisse mit. Wir nehmen es sportlich als einen dynamischen Austausch, der neue Impulse gibt und unsere Arbeit immer wieder auf die Probe stellt. Es ist aufregend zu erleben, wie neue Gäste die Galerie entdecken, mit ihrer ganz eigenen Sicht auf die Dinge, und es ist magisch, zu sehen, wie es Menschen geht, die nach Jahrzehnten wieder in unsere Räume kommen. Sie erzählen von ihrer Jugend, die vielleicht dreißig oder vierzig Jahre zurückliegt, es fallen Sätze wie „Das hat früher alles anders ausgeschaut!“ oder „Daran erinnere ich mich noch genau!“. Solche Begegnungen zeigen uns, dass unser Raum mehr ist als nur eine Galerie. Er ist ein lebendiges Archiv und ein Stück Geschichte.

Umbau: Einschnitt und Neubeginn
Ein großer Moment der Veränderung war unser jüngster Umbau, der letzten Herbst nach über eineinhalb Jahren endlich abgeschlossen war. Diese Zeit hat uns wirklich einiges abverlangt – emotional, finanziell und nervlich. Aber gleichzeitig war es eine Gelegenheit, die Räume ganz neu für uns zu entdecken, sie uns neu anzueignen. Wir haben buchstäblich alles einmal (oder mehrmals) in die Hand genommen: uralte Flyer, fragwürdige Glühbirnen, obskure Ladekabel. Vieles wurde einfach wieder verstaut, aber einiges haben wir bewusst bewahrt. Viel Liebe zum Detail und Herzblut sind über die Jahre in die Fotogalerie Wien geflossen. So stammt zum Beispiel ein großer Teil unserer Einrichtung noch von der Hand unseres Gründers, des Künstlers und Designers Josef Wais (1944–2017), wie zum Beispiel unser markanter roter Bürotisch.
Der Umbau war eine stressige Zeit und ließ uns davon träumen, irgendwann einmal alles „richtig“ und „ordentlich“ zu machen, mit „mehr Zeit“. Aber die Realität verlangt oft pragmatische Lösungen, und so bleibt manches provisorisch – wie es in der freien Kulturarbeit vielleicht schon immer war.
Schätze im Archiv
Ein besonders eindrucksvoller Moment war, als wir kürzlich einer Kunsthistorikerin unser „Archiv“ zeigten. Dieses Archiv ist eigentlich ein langer, schmaler Gang, in dem wir seit Jahrzehnten alles Mögliche lagern: Werkzeuge, Sockel, Rahmen, Poster, Publikationen, das eine oder andere vergessene Kunstwerk. Die ersten Meter sind sehr ordentlich aufgeräumt, aber je weiter man hineingeht, desto mehr verdichtet sich das Chaos. Am Ende findet man mit Edding beschriftete Bananenkartons und Plastiksackerl, vollgestopft mit unbearbeiteten und sehr alten Dokumenten, VHS-Kassetten etc. Die Kunsthistorikerin war begeistert – ihre Augen leuchteten, als sie meinte: „Das hier ist ungeschriebene Kunstgeschichte!“
Neue Standards, neue Möglichkeiten
Einer der wichtigsten Fortschritte der letzten Jahre war für uns Fair Pay. Faire Bezahlung in der Kulturarbeit ist längst überfällig und ein entscheidender Faktor, um Vielfalt und Teilhabe zu ermöglichen. Auch in der Fotogalerie Wien geht es nun nicht mehr so sehr darum, sich selbst auszustellen oder auf eigene Kosten zu arbeiten, sondern darum, langfristig tragfähige Strukturen zu schaffen.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich die Standards in der freien Kulturarbeit deutlich verändert haben – zum Glück! Themen wie Honorare, Arbeitssicherheit oder faire Bedingungen stehen viel stärker im Fokus. Manchmal fühlt es sich mühsam an, nicht einfach „drauflosarbeiten“ zu können, denn auch die bürokratischen Hürden sind deutlich höher geworden. Aber diese Entwicklungen sind ein wichtiger Schritt, damit mehr Menschen überhaupt die Möglichkeit haben, in diesem Bereich tätig zu sein – und das auf Dauer. Es bleibt trotzdem ein Balanceakt, denn Glück, Durchhaltevermögen und eine ordentliche Portion Selbstaufopferung sind nach wie vor gefragt.
Die freie Kulturarbeit könnte sogar als Vorbild für eine neue Arbeitswelt dienen. In vielen Branchen hört man, dass junge Leute „nicht mehr arbeiten wollen“ oder „zu hohe Ansprüche“ hätten. Vielleicht haben gerade Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen diese Erwartungen vorgelebt: eine Arbeit, die intrinsisch motiviert ist, die einen Sinn hat. In unserem Kollektiv gibt es rechtlich gesehen niemanden, der oder die anderen sagen kann: „Du musst das jetzt machen!“. Man kann nur sagen: „Bitte, bitte … machst du es?“ Das ist zwar nicht immer leicht, aber genau so sollte Arbeit eigentlich sein – eine Aufgabe, deren Notwendigkeit man versteht und hinter der man stehen kann.

Vorbilder und neue Wege
Die Generation vor uns bleibt so etwas wie ein leuchtendes Vorbild. Diese Gründer*innen haben mit ihrem Aktivismus, mit ihrer Energie und ihrem Einsatz etwas Großes geschaffen. Die Welt hat sich seitdem sehr verändert, unsere Aufgabe ist jetzt einerseits ein Erbe zu bewahren und gleichzeitig neue Wege zu gehen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn ein echter Generationenwechsel passiert und man freie Hand hat, eigene Ideen umzusetzen. Und auch wenn wir als „die Jungen“ wahrgenommen werden, spüren wir die Belastungen dieser Arbeit. Buchhaltung und Organisation bringen auch uns die ersten graue Haare.
Trotzdem lassen wir es uns nicht nehmen, das Neue zu feiern. Ein erster Schritt in die Zukunft war die Große Wiedereröffnung unserer Räume mit der Studierendenausstellung „Propeller“. Diese Ausstellung war für uns ein Symbol des Neubeginns, der unter dem Zeichen Inspiration durch Austausch steht. Auch wenn wir gerade eine große Veränderung hinter uns haben – in dem Moment, in dem wir den großen Generationenwechsel abgeschlossen haben, verändert sich auch unser Blick auf diese noch neuere, noch jüngere Generation und damit kommen bereits die nächste Herausforderung und die nächste Chance auf die Fotogalerie Wien zu.
https://www.fotogaleriewien.at
Johan Nane Simonsen ist freier Kunsthistoriker, lebt und arbeitet in Wien. Neben unabhängig durchgeführten Projekten studierte er Kunstgeschichte an der Universität Wien und war für verschiedene Kultur- und Forschungsinstitutionen tätig. Seit 2017 ist er Mitglied im kuratorischen Kollektiv, seit 2021 Obmann
der FOTOGALERIE WIEN.
Coverbild: Links Johan Nane Simonsen neben ihm Susi Gamauf, die von 1985 – 2021 Obfrau der Fotogalerie Wien war. © Johan Nane Simonsen
Fotos: © Noémi Àbráham / © Patrick Winkler

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.25 „ÜBERGABE KULTUR“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5,50 €) bestellt werden.