Wo stehen wir jetzt?

Ein Jahr Refugee Protest Camp Vienna

Am 24.11.2012 sind wir von Traiskirchen nach Wien marschiert und haben unser Camp im Votivpark begonnen; damals waren wir ungefähr 200 Personen. Unsere Forderungen damals waren:

„(1) Bessere Dolmetscher_innen; (2) Zugang zum Verwaltungsgerichtshof und mehr Verfahrenshilfe; (3) Stopp aller Abschiebungen; (4) bessere medizinische Versorgung; (5) keine Überstellungen in abgeschiedene, ländliche Gegenden; (6) Deutschkurse und Berufsvorbereitungskurse für Asylwerber_innen; (7) regulärer Schulbesuch für Kinder im Lager Traiskirchen; (8) besseres Essen; (9) saubere und gute Kleidung und Schuhe; (10) bessere Arbeitsbedingungen und höhere Entlohnung für Arbeiten in Traiskirchen; (11) unentgeltliche Tickets für den öffentlichen Verkehr; (12) mehr Taschengeld; (13) Internetzugang und TV mit Sat-Empfang.“

Besetzung der Votivkirche

65 Leute von uns haben sich dann entschieden, die Votivkirche zu besetzen und einen Hungerstreik zu beginnen. Zu dieser Zeit haben wir auch unsere Forderungen überarbeitet:

„(1) Grundversorgung für alle AsylwerberInnen, unabhängig von ihrem Rechtsstatus, solange sie in Österreich aufhältig sind; (2) freie Wahl des Aufenthaltsortes sowie Zugang zum öffentlichen Wohnbau für alle in Österreich aufhältigen AsylwerberInnen – keine Transfers gegen den Willen der davon Betroffenen; (3) Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung für alle in Österreich aufhältigen MigrantInnen; (4) Stopp aller Abschiebungen nach Ungarn – Stopp aller Abschiebungen im Zusammenhang mit der Dublin 2-Verordnung; (5) Einrichtung einer unabhängigen Instanz zur inhaltlichen Überprüfung aller negativ beschiedenen Asylverfahren; (6) Anerkennung von sozioökonomischen Fluchtmotiven neben den bisher anerkannten Fluchtgründen. Wenn ihr unsere Forderungen nicht erfüllen wollt, dann löscht zumindest unsere Fingerabdrücke aus euren Datenbanken und lasst uns weiterziehen. Wir haben ein Recht auf unsere Zukunft.“

Die anderen Refugees blieben im Park und hielten sich manchmal auch an der Uni auf. Sie wurden häufig von der Polizei kontrolliert, und viele von ihnen entschlossen sich dazu, den Protest zu verlassen. Schließlich wurde das Camp Ende Dezember brutal geräumt.

Unser Hungerstreik dauerte einen Monat, danach überzeugten uns die Caritas und einige Politiker_innen von einer Unterbrechung des Streiks und versprachen uns eine gute rechtliche Lösung für alle Beteiligten innerhalb von zehn Tagen. Nachdem wir den Hungerstreik beendet hatten, gab es aber keinerlei Gespräche mit uns. Daraufhin haben wir den Hungerstreik für weitere 17 Tage fortgesetzt. Danach versprachen uns Kardinal Schönborn und die Caritas ein Haus für unseren Protest und Schutz durch die Kirche. In einem Brief sicherte Kardinal Schönborn zu, dass wir vor Angriffen der Polizei geschützt und gute Anwält_innen erhalten würden.

Übersiedelung in das Servitenkloster

Wiederum haben wir diesen Versprechen geglaubt und sind daher in das Servitenkloster übersiedelt. Doch nach der Übersiedlung gab es keinen Kontakt mehr zum Kardinal, und es fanden häufige Polizeikontrollen statt. Viele Leute erhielten negative Bescheide in ihren Asylverfahren. Ende Juli erhielten 20 Leute die Aufforderung, sich täglich bei der Polizei zu melden. Wir akzeptierten auch diese Bedingung und gingen jeden Morgen zur Polizei. Am dritten oder vierten Tag wurden acht dieser Personen in Schubhaft genommen und danach nach Pakistan abgeschoben. Mit einigen von ihnen konnten wir bis heute keinen Kontakt herstellen. Wir baten die Caritas um Hilfe, die sagte uns aber, dass sie nichts für uns tun könne. Die Polizei kontrollierte laufend das Kloster, um die anderen zwölf Leute zu finden. Viele verließen aus Angst das Servitenkloster; manche von ihnen gingen in andere EU-Länder, manche kehrten in die Lager zurück.

Zugleich versuchte uns das Innenministerium zu kriminalisieren und verhaftete einige Leute wegen des Verdachts auf Schlepperei. Bis heute sind diese Leute in Untersuchungshaft.

Ende Oktober mussten wir das Servitenkloster verlassen, und uns wurden nur Einzelunterkünfte in den Lagern angeboten. Aber wir glauben nicht mehr, dass wir von irgendeiner offiziellen Stelle Schutz bekommen. Wir haben Angst, und daher wollen wir zusammen bleiben. Denn es ist sehr einfach, uns zu deportieren, wenn wir uns voneinander trennen.

Schutzsuche an der Akademie der bildenden Künste

Die Caritas hat uns keine Möglichkeit geboten, zusammen zu bleiben, daher haben wir uns dazu entschlossen, an der Akademie der bildenden Künste Schutz zu suchen. Einige der Professor_innen dort und viele Studierende unterstützen unseren Protest und haben uns Solidarität zugesichert; auch die Rektorin hat im Sommer ein Unterstützungsvideo für die Refugee Bewegung aufgenommen. Bis heute hängt ein Banner gegen Deportationen an der Akademie.

Bei dem ersten Plenum an der Akademie sagte die Rektorin, dass wir das Gebäude verlassen sollen, sie aber nicht die Polizei rufen werde. Nach einigen Tagen forderte sie uns auf, das Gebäude am 4.11. zu verlassen; tagsüber könnten wir die Aula für Treffen nützen, wenn sie nicht anderweitig gebraucht werde, aber über Nacht dürften wir nicht mehr bleiben. Wir haben das Ultimatum befolgt und kommen auch nicht mehr für Treffen dorthin zurück. Wir haben jetzt keinen gemeinsamen Raum mehr und müssen für jedes Treffen eine neue Lösung finden. Wir wohnen in Privatunterkünften, wo wir aber zum Großteil nicht auf Dauer bleiben können.

Vor einigen Tagen haben wir die Information erhalten, dass Pakistan in einem Abkommen mit der EU weiteren Deportationen zugestimmt habe; 170 Leute sollen aus Österreich abgeschoben werden.

Wir sind nach Europa gekommen, weil wir in unseren Ländern nicht leben können. Daran sind die EU und die USA mitschuldig – ihre Militärs haben unsere Häuser, Dörfer und Städte zerstört. Die Menschen in Pakistan werden ständig durch Maschinengewehre und Drohnen bedroht; sie haben keine Möglichkeit, ein normales Leben aufzubauen, sie erhalten keine Bildung, sie haben keine Gesundheitsversorgung. Wir wollen nur so leben, wie es für Menschen in EU-Ländern normal ist. Wir fordern die EU und die USA auf, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen in unseren Ländern aufzubauen, statt Waffen zu liefern und uns zu bedrohen.

Wir haben diesen Protest nicht nur für uns begonnen und weitergeführt, sondern für alle Refugees in Europa, für alle, die hier keine Chance erhalten. Wir werden diesen Protest fortführen, solange unsere Kraft reicht, und wir brauchen dafür Unterstützung. Wir haben Angst; viele von uns wurden abgeschoben, viele erhielten negative Asylentscheidungen. In unseren Ländern ist unser Leben bedroht; wir können nicht zurückgehen.

Kämpft mit uns, lasst uns gemeinsam kämpfen!

Abdullah Akbarjan ist Aktivist des Refugee Protest Camp Vienna.

Übersetzung: Monika Mokre

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