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Die Idee zu einem transnationalen Migrant_innenstreik ist in mehreren Kontexten verortet: Einer dieser ist die Transnationalität von Migration selbst. Migration ist eine Bewegung, die mit Selbstverständlichkeit über Grenzen hinweg passiert, kommuniziert, sich involviert, verständigt und solidarisiert. Migration bedeutet demnach die Erfahrung, in mehreren/verschiedenen Kontexten deprivilegiert zu arbeiten und zu leben.

Am 1. März 2011 fand in Österreich zum ersten Mal ein transnationaler Migrant_innenstreik statt – in der knappen Zeit von sieben Wochen angedacht, diskutiert, hinterfragt und organisiert von einem offenen Plenum, das verschiedene migrantische und antirassistische Initiativen, Gruppen, Selbstorganisationen, NGOs sowie Einzelpersonen versammelte.

Die Idee(n) hinter dem Transnationalen Migrant_innenstreik

Die Idee zu einem transnationalen Migrant_innenstreik ist in mehreren Kontexten verortet: Einer dieser ist die Transnationalität von Migration selbst. Migration ist eine Bewegung, die mit Selbstverständlichkeit über Grenzen hinweg passiert, kommuniziert, sich involviert, verständigt und solidarisiert. Migration bedeutet demnach die Erfahrung, in mehreren/verschiedenen Kontexten deprivilegiert zu arbeiten und zu leben. Migration politisch zu fassen bedeutet folglich, sie weder als kosmopolitisches Eliten-, noch als Opferdasein zu denken, sondern vielmehr als einen beständigen und emanzipatorischen Kampf für soziale Gerechtigkeit.

In diesem Sinne knüpft die Idee für einen Migrant_innenstreik an transnationale Bewegungen an, z. B. an die Massenproteste in den USA, deren Auslöser „The Border Protection, Anti-terrorism, and Illegal Immigration Control Act of 2005“ war. Das Gesetz denunzierte u. a. die damals rund 12 Mio. undokumentierten Migrant_innen wie auch ihre Helfer_innen als Verbrecher_innen. Die darauf folgenden Proteste im Frühjahr 2006 richteten sich gegen die massiven Verschärfungen von Asyl- und Einwanderungsgesetzen. Diese forcierten einerseits Illegalisierung und Kriminalisierung von vielen Migrant_innen und führten andererseits zu drastischen Repressionen gegen Menschen ohne Papiere. In den folgenden Jahren schlossen sich weltweit Migrant_innen und Mitstreiter_innen mit den gleichen Anliegen gegen Ausbeutung und Kriminalisierung den Protesten an. In Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien finden seitdem zahlreiche Aktionen am 1. März statt.

Das Datum sollte an die einige Jahre zuvor an diesem Tag beschlossene Reform des Einwanderungsgesetzes in Frankreich erinnern, die ein auf ökonomischen Nützlichkeitskriterien basierendes Migrationsregime etablierte. Es sollte aber auch für die Zukunft daran erinnern, dass an diesem Tag gegen rassistische Migrationspolitiken und soziale Ausschlüsse mobilisiert wird: Am 1. März 2010 beteiligten sich in Italien breit die Gewerkschaften, Betriebe wurden bestreikt, Zehntausende gingen auf die Straße und demonstrierten gegen rassistische Diskriminierungen und für gleiche Rechte. Diese Proteste, welche im deutschsprachigen Raum rezipiert wurden, waren ein wichtiger Anknüpfungspunkt und gaben Impulse für die zuletzt stattfindende Mobilisierung in Österreich.

Geschichte der Idee in Österreich

Die Idee, am 1. März 2011 einen Migrant_innenstreik in Österreich zu organisieren und sich damit an den weltweiten Protesten an diesem Tag zu beteiligen, ging auf zwei politische Initiativen zurück, die im Herbst 2010 in Wien aktiv wurden: die Gruppen Rote Karte Stoppen und Ausschluss Basta!.

Die Aktionen von Rote Karte Stoppen richteten sich gegen die Pläne für erneute Verschärfungen des Asyl- und Fremdenrechts. Ein wesentliches Element davon war die Einführung der sogenannten „Roten Karte“, die Asylwerber_innen in der ersten Woche ihres Zulassungsverfahrens als Statusnachweis ausgehändigt werden sollte. Sie hätten in dieser Zeit die Erstaufnahmezentren nicht verlassen dürfen („Anwesenheitspflicht“). Hätte sie die Polizei dabei aufgegriffen, wären sie von verschiedenen Repressalien bis hin zu Abschiebungen bedroht worden. Faktisch bedeutete die geplante „Rote Karte“ also die Internierung von Asylwerber_innen. Menschenrechtliche Bedenken von Jurist_innen sowie massive Proteste und eine damit einhergehende erhöhte mediale Aufmerksamkeit gegen verschiedene Abschiebungen in dieser Zeit führten zur vorläufigen Vertagung der Pläne seitens der Regierung.

Die Initiative Ausschluss Basta! formierte sich wenige Wochen nach einer Aktion von Rote Karte Stoppen, die parallel zum offiziellen Minister_innenrat am Ballhausplatz stattfand. Sie thematisierte nicht nur den Ausgang der Wiener Gemeinderats- und Landtagswahlen, sondern vielmehr die Art und Weise, wie das Thema Migration von Politiker_innen, Meinungsmacher_innen und Expert_innen in den letzten Jahren inszeniert wird. Die Initiative verfasste einen programmatischen Text unter dem gleichen Namen („Ausschluss Basta!“) und versuchte durch das Platzieren des Beitrags in der Tageszeitung Der Standard auf die mediale Debatte einzuwirken. Der Text kritisierte die Inszenierung von Migration als Problemfeld in unterschiedlichen Lebensbereichen wie Bildung, Wohnen oder Arbeit und die Weigerung, den strukturellen Rassismus, sprich: die Benachteiligung, Diskriminierung und Entrechtung in eben diesen Bereichen als eigentliches Problem anzuerkennen. Entsprechend wandte sich der Aufruf auch gegen die herrschende Integrationsdebatte: In ihrem Fokus stehen Migrant_innen als potenzielle Konfliktquelle und nicht die Institutionen und Normalitäten jener Mehrheitsgesellschaft, welche die Ausschlüsse produziert. Ausschluss Basta! ging es im Gegensatz dazu darum, Migration als eine emanzipatorische Bewegung vorzustellen und jene Politiken und Praktiken anzugreifen, die Armut und Rassismus produzieren.

Von Ausschluss Basta! zum Transnationalen Migrant_innenstreik

Gerade weil im Zentrum der angestoßenen Debatte nicht die klassischen, oft moralisierenden Formen der Kritik am Rechtsextremismus standen, löste das Manifest ein breites Echo aus und wurde in weiterer Folge kontrovers diskutiert. Anschließend organisierte die Gruppe zwei Diskussionsveranstaltungen mit verschiedenen Gruppen und Initiativen. Zum einen, um sich über die Erfahrungen mit der gegenwärtigen Situation in Österreich auszutauschen und zum anderen, um gemeinsam über antirassistische Aktionen zu diskutieren. Es stand zur Debatte, wie der Analyse von – und dem Ausspruch – Ausschluss Basta! geeignete Handlungsformen folgen könnten. Dabei wurde auch die Teilnahme an den transnationalen Protesten am 1. März 2011 in Form eines Streiks von Migrant_innen vorgeschlagen. Dies führte zur Bildung eines Plenums, das die Vorbereitung, Organisation und Koordinierung des ersten Transnationalen Migrant_innenstreiks in Österreich übernahm. Der Begriff „Streik“ war hierbei einerseits ein Begriff, der diese Verweigerung ausdrücken konnte und fand im Andenken bestimmter Protestformen wie Betriebsversammlungen eine erste konkrete Ausdrucksform.

Die Frage danach, welche Mobilisierungsformen, Artikulationen und Forderungen die Anliegen jener heterogenen Gruppe am besten – sprich adäquat und direkt – vermitteln können, die durch die Verweigerung von Bürger_innen- und sozialen Rechten als „Migrant_innen“ strukturiert wird, war und bleibt eine Herausforderung. Vielleicht weil sich hinter dieser Frage eine ganze Reihe anderer Fragen verbirgt: Wie können jene, denen weitgehend Rechte verweigert werden, jene, die als illegalisierte und/oder billigste Arbeitskräfte von mehrfachen Ausschlüssen betroffen sind, ihre Stimmen hörbar machen? Ist Streik überhaupt ein geeignetes Mittel – gerade in einem Land, wo es (noch) so gut wie gar keine Streikkultur gibt? In den vorbereitenden Debatten erschien es wichtig, diesen kämpferischen Begriff, der nicht nur Arbeitsniederlegung, sondern auch Widerstand und Machtanspruch ausdrückt, nicht aufzugeben, gerade weil in dem herrschenden medialen Diskurs v. a. über Migrant_innen gesprochen wird. Hierbei ist es notwendig, den eigenen Subjektstatus geltend zu machen, anstatt als Masse konstruiert zu werden, welche nach ominösen Push-and-pull-Prinzipien mal in diverse Nationalökonomien hinein und mal dort wieder herausgeholt werden soll.

Das „strategischen Wir“ einer heterogenen sozialen Gruppe

Im breit gestreuten Plenum wurde ausführlich die Frage diskutiert, was es bedeutet, angesichts der Unterschiedlichkeit von Lebensumständen (von Illegalisierung bis zur Billigung formeller Rechte bei der sogenannten „zweiten“ und nicht selten „dritten Generation“) vom Subjekt „Migrant_innen“ zu sprechen und welche Artikulationsformen notwendig sind, um diesen Differenzen gerecht zu werden. Die Frage danach, welche Wege gegenhegemonialer Repräsentationspolitiken beschritten werden sollten – abseits der oder im Spiel mit Repräsentationsfallen –, spiegelten sich in der Auswahl der Redner_innen sowie der Formate ihrer Redebeiträge bei der Kundgebung am 1. März.

Dabei galt es, durch die Rede von einem „strategischen Wir“, transnational zu handeln, nationalstaatliche Grenzen zu verweigern und „unkorrekt“ mit zugewiesenen Identitäten umzugehen. Dies betraf auch den Versuch, auf der sprachlichen und der visuellen Ebene sowie auf jener des gemeinsamen Agierens keine (rassistischen, sexistischen, klassistischen) Ausschlüsse zu wiederholen. Ein transnationaler Migrant_innenstreik bedeutet folglich die Sichtbarkeit und den Machtanspruch einer heterogenen sozialen Gruppe, die sich transnational verständigt und solidarisiert. Damit sind nicht die Grenzen der Herkunft das verbindende Element – das gemeinsame Projekt heißt Widerstand gegen politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse, die Ungleichheiten und Ausschlüsse produzieren.

Der Transnationale Migrant_innenstreik am 1. März 2011 in Österreich stellte den Anfang einer längerfristigen Perspektive und hat zum Ziel, den Widerstand gegen die hier zu Lande vorherrschende Migrationspolitik auf eine breitere Basis zu stellen – um die Bedingungen, unter denen Migration hier verhandelt wird, offensiv zu attackieren und nachhaltig zu verändern.

 

Autor_innenkollektiv

aus der Vorbereitungsgruppe zu „Ausschluss Basta! Transnationaler Migrant_innenstreik“.

 

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