Wie tun mit dem Leerstand?

Das Leerstandsthema ist auf der politischen Bühne angekommen. Dies vor allem aufgrund von Forderungen aus den eigenen Reihen der Sozialdemokratie. Die junge Generation der SPÖ forderte eine Leerstandsabgabe und eine verpflichtende Meldung von Leerstand. Denn wie hoch der Leerstand in Wien ist, bleibt unklar, seit 20 Jahren hat es keine Erhebung mehr gegeben. Schätzungen gehen von 30 000 bis 100 000 Wohneinheiten aus1.

Leerstand Politik Kultur

Dass der Leerstand jetzt auf Seiten der Politik in den Blick kommt, hat einen Grund. Wien wächst und damit wird Raum zum Leben und Arbeiten prinzipiell knapper. Seit über zehn Jahren baut die Stadt Wien selber nicht mehr, sondern überträgt die Verantwortung auf gemeinnützige Bauträger und den privaten Sektor. Diese decken die steigende Nachfrage kaum. Wenn der städtische Raum und damit auch der Wohnund Immobilienmarkt kapitalistisch organisiert sind, dann steht dem Bedürfnis und der Notwendigkeit nach einem leistbaren Dach über den Kopf der Wunsch von (privaten) BauträgerInnen und EigentümerInnen entgegen, so viel Profit wie möglich daraus zu erwirtschaften. Den Mietpreisen sind generell keine Grenzen gesetzt, solange sich noch über kurz oder lang wer findet, der sie bezahlen kann. Zwischen 2000 und 2010 hat sich in Wien die Miete um durchschnittlich 37% erhöht, im Altbausegment sogar um fast 67%. Preistreiber ist hier vor allem der private Wohnungsmarkt 2. Steigende Mieten werfen Probleme auf, besonders für Menschen, die auf den privaten Wohnsektor angewiesen sind, da sie keine geförderten Wohnungen bekommen können. Aber nicht nur Wohnen wird immer weniger leistbar, sondern auch kostengünstiger Arbeitsraum ist rar. Auf diesen sind aber gerade soziale, politische, künstlerische und kulturelle Initiativen oder kleine Unternehmungen angewiesen. 

All dies kratzt an dem Image der „sozialen Stadt Wien“. Wohnen und Mieten werden zentrale Themen des Wahlkampfes in Wien werden. Die Nutzung von Leerstand wird auch in diesem Kontext verhandelt. 

Welcher Umgang mit Leerstand eingeschlagen wird, bleibt aber noch vollkommen offen. Denn trotz der Forderungen nach offensiverer Leerstandsnutzung findet ein grundlegendes Umdenken nicht statt. Raum soll weiterhin eine Ware sein, die Zugangsmöglichkeiten bleiben damit grundsätzlich ungleich verteilt. Auch wenn Bürgermeister Häupl und widerwillig auch Wohnbaustadtrat Ludwig nun nach den Forderungen aus den eigenen Reihen erstmals öffentlich konkrete Handlungen ankündigen, verheißt ein Blick auf die letzten Jahre nichts Gutes. Denn tatsächlich ist die Leerstandsproblematik nicht neu, und ähnliche Forderungen kommen schon seit Jahren von der freien und autonomen Kunstund Kulturszene und ihrer Interessensgemeinschaft, der IG Kultur Wien. Drei Studien wurden – von Magistratsabteilungen gefördert – erarbeitet. Sie analysieren die Situation in Wien und internationale Beispiele und sprechen auf dieser Basis Empfehlungen für eine nachhaltige und sinnvolle Leerstandspolitik aus3. Diese Vorschläge verhallten jedoch weitgehend und dies, obwohl die Stadtregierung selber im Regierungsabkommen 2010 eine Agentur für Zwischennutzung festgeschrieben hat, die eine Nutzung von Leerstand ermöglichen sollte. Doch schon von Anfang an zeigte sich, dass die Politik der Stadt Wien kaum im Sinne eines Großteils der möglichen NutzerInnen ist, diese wurden an den Gesprächen zwischen Politik und Verwaltung auch nicht beteiligt und ihre Interessen so ausgeschlossen. Es dominierte die Politik der geschlossenen Türen4. 

Auch die Fokussierung auf Zwischennutzungen und eine bestimmte NutzerInnengruppe zeigten die Engführung der Leerstandsdebatte von Seiten der Stadt: Der kreativen Klasse soll Raum zur Verfügung gestellt werden, um arbeiten zu können und nebenbei auch noch die Straße und das Grätzl und damit den Standort aufzuwerten: Zwischennutzung als „Win-win-Situation“ im „kreativen Unternehmen Stadt“. Kreative sollen als AkteurInnen der Stadtentwicklung genutzt werden, dafür wird diesen „mobilen und flexiblen“ NutzerInnen Raum kostengünstig für eine bestimmte Zeit zur Verfügung gestellt. „Räume kreativer Nutzung. Potenziale für Wien.“ lautet dann auch die neuste Studie von Departure, der Kreativagentur der Stadt Wien, die zentral in die städtischen Diskussionsrunden um Möglichkeiten der Leerstandsnutzung eingebunden ist. 

Diese Art der Leerstandsnutzung geht jedoch genauso an den Interessen der meisten Raumsuchenden vorbei, wie die dahinterliegende Form der Stadtentwicklung Probleme für viele StadtbewohnerInnen verschärft. Viele Initiativen brauchen längerfristig einen Raum zum Arbeiten. Zwischennutzungen verschärfen die meist ohnehin schon prekäre Lebenssituation von Kulturschaffenden. Auch soziale und politische Initiativen brauchen Zeit und Planungssicherheit. Nur so können sie verlässliche AnsprechpartnerInnen für die AnrainerInnen werden und im Grätzl wirken. Und erst recht sind nicht alle Initiativen kreativ und verwertbar. Kunst, Kultur und soziale und politische Initiativen leben gerade davon, dass ihr Schaffen nicht das Primat der ökonomischen Verwertung hat, sondern zuvorderst wichtige Qualitäten für das Leben in der Stadt schafft. Diese Handlungsmöglichkeiten werden durch steigende Raumkosten verkleinert und durch Zwischennutzung von Leerstand kaum vergrößert. Vielmehr noch werden ZwischennutzerInnen als „Pioniere der Gentrifizierung“ für eine Stadtentwicklung instrumentalisiert, die Raum intensiv in Wert setzen will und damit Verdrängungstendenzen sowie Ausschlussund Vertreibungsprozesse (im öffentlichen Raum) verstärkt. 

leerstandsnutzung und das „recht auf stadt“ Deshalb ist eine ganz andere Perspektive auf Leerstand notwendig, die ihn nicht isoliert und eindimensional betrachtet, sondern die Forderung nach seiner Nutzung bewusst mit der Forderung und den Kämpfen für ein „Recht auf Stadt“ verknüpft. 

Leerstand wird meist ausgehend von leerstehenden Erdgeschosszonen und sterbenden Einkaufsstraßen problematisiert, die eine Nutzung beleben soll, um den Standort nicht längerfristig abzuwerten. Dem sei eine Perspektive entgegengehalten, die in Leerstand als solchem nicht das Problem sieht, sondern vielmehr den ungedeckten Bedarf nach konstengünstigem Arbeitsund Wohnraum thematisiert. Problematisiert wird damit eine Ungleichverteilung von Raum, für die Leerstand nur das deutliche Symptom ist. Hier geht es um die grundsätzliche Frage, wer Zugang zu Raum und städtischer Infrastruktur und damit ein „Recht auf Stadt“ hat. Eine Problematisierung von Leerstand muss damit zwangsläufig die marktwirtschaftliche Organisierung von Raum, Eigentumsstrukturen und gesellschaftliche Machtverhältnisse adressieren. Und genau in diesem Sinne kann Leerstandsnutzung emanzipativ wirken und nicht (unbewusst) an unternehmerischen Formen der Stadtentwicklung mitwirken. Wenn nun Leerstand in den Kontext von steigenden Mieten und Spekulation mit Wohnraum gebracht wird, öffnen sich Diskussionen um Interventionsmöglichkeiten in den Wohnungsund Immobilienmarkt und der Prioritätensetzung zwischen dem Bedürfnis nach kostengünstigem und sozialen Wohnraum und Profitinteressen von Eigentümerinnen und (privaten) BauträgerInnen. Dies ist richtig und wichtig, da es die Engführung der Leerstandsdebatte auf Arbeitsräume für bestimmte Berufsgruppen begegnet und die Wohnfrage mit ihr verknüpft. Es ist jedoch nicht ausreichend, wenn diese Forderung nach Leerstandsnutzung nur auf kurzfristige Potenziale schaut, den steigenden Mieten beizukommen, um die Behandlung von grundlegenden Problemen nach hinten zu schieben. Vielmehr sollte die aufkommende Diskussion um den Umgang mit Leerstand genutzt werden, grundsätzliche Veränderungen in der Stadtentwicklung und Raumpolitik zu fordern5. 

Leerstand commonisieren
Eine mögliche Perspektive fordert die Commonisierung von Leerstand, dies gerade auch für städtische Immobilien, die eigentlich eh den StadtbewohnerInnen gehören. Leerstehende Räume sollen also zu Gemeingütern werden, die von den NutzerInnen gemeinschaftlich organisiert und verwaltet werden. Ein solcher Umgang mit Leerstand wäre ein Einstiegspunkt für eine andere Stadtpolitik, in der die Nutzung von Raum Priorität gegenüber dem Eigentum an Raum hat. Leerstehende Räume können zu Experimentierlaboren werden und Lernprozesse anstoßen, jenseits von Markt oder städtischer Verwaltung von oben, Ressourcen zu verwalten. Damit wird im wahrsten Sinne des Wortes Raum geschaffen, für gesellschaftliche Transformationsprozesse und Möglichkeiten der „Stadtgestaltung von unten“, die weit über die begrenzten Formen der „BürgerInnenbeteiligung“ hinausgehen. Dies erfordert von der Stadt Wien in erster Linie Mut zu Kontrollverlust und Mut, Alternativen zu marktwirtschaftlicher oder Top-down-Verwaltung zuzulassen. Gerade Wien kann auf Versuche der Dekommodifizierung der Wohnungsversorgung zurückblicken und steht aus diesem Grund besser dar, als die meisten anderen Städte. Diesen Prozess gilt es, wieder neu zu starten. Neben einer bedürfnisund nicht profitorientierten Produktion und Gestaltung von (Wohn-, Arbeitsund öffentlichem) Raum müssen Möglichkeiten der Selbstverwaltung geöffnet werden. Dafür kann eine mutige Leerstandspolitik Einstiegspunkt sein, denn diesen Raum gibt es schon. Jetzt gilt es, ihn mutig zu nutzen. 

 

 


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