VorRisse

Kein/e Refugee ist Teil der Redaktion der Kulturrisse. Das „Wir“ als Redaktionskollektiv franst aus in individuellen Biografien, Kontexten, Lebensentwürfen. Ge-meinsam ist uns ein Portfolio an Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten. Gemeinsam ist uns, dass wir alle die „richtigen“, zumindest nicht die ganz „falschen“ Pässe haben.

Kein/e Refugee ist Teil der Redaktion der Kulturrisse. Das „Wir“ als Redaktionskollektiv franst aus in individuellen Biografien, Kontexten, Lebensentwürfen. Ge-meinsam ist uns ein Portfolio an Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten. Gemeinsam ist uns, dass wir alle die „richtigen“, zumindest nicht die ganz „falschen“ Pässe haben. Nicht aufgrund, aber aus dieser Sicherheit heraus treten wir in Konflikt und greifen Diskurse auf. Befördern wir mit einem Heftschwerpunkt über die Proteste der Refugees, Sans Papiers, Geflüchteten, Gestrandeten mit den falschen Pässen oder gar keinen Pässen die Rede von den „politisch instrumentalisierten Flüchtlingen“? Übernehmen wir als eine Art „Caritas für Ideologiefragen“ (inhaltliche) Patronanz? Füllen wir unsere Seiten, wohl geordnet in Kontextalisierung und Blick auf das Lokale, auf dem Rücken der Refugees? – Die Überlegungen kreisen um die Kernfrage, wie Fordern und Fürsprache ohne Vereinnahmen aussieht. Und letztendlich: Ja, natürlich darf die Wortführerschaft nicht den (tagesaktuellen) Medien des Mainstream überlassen werden – gerade dann nicht, wenn, wie in Wien, das medienwirksame Skandalon der besetzten Kirche vorüber ist und es aus den Mauern des ehemaligen Servitenklosters für die Protestierenden schwieriger und zunehmend nur noch über die Lust der Medien am Scheitern (schlechte Stimmung im Kloster?) möglich werden mag, Gehör zu bekommen.

Eine der zentralen Forderungen, die wir also stellen wollen, übermittelt Etienne Balibar in seinem aktuellen Nachwort zum Wiederabdruck einer Rede, die er 1997 anlässlich einer Kirchenbesetzung durch Sans Papiers gehalten hatte: „Es wird notwendig sein, dass die Gesellschaften der Gegenwart (...) sich dazu durchringen, ein neues Recht einzusetzen: ein Recht, das die Bewegung der Menschen, ihren Aufenthalt, ihre Arbeit, ihren sozialen Schutz betrifft und das es über die Grenzen hinweg zu etablieren gilt“. Stefan Nowotny schreibt zur zynischen Politik und zum Ringen um den Wert der Geschichten und Erfahrungen der Refugees. Deren Proteste und die Solidarisierungen mit diesen dienten auch der „Wiederherstellung von Bedingungen, in denen die menschliche Rede nicht zum Beutefang der Polizei wird, sondern auf ein Gehör trifft, das sich dem Gesagten und Erzählten, der Stimme und den sie modulierenden Stimmungen öffnet.“

Ihre gespeicherten Fingerabdrücke zu löschen, um zumindest einen neuen Versuch der Aufnahme in einem anderen Land zu ermöglichen – das war ein Appell der Wiener Refugees. Ihren Weg vom Erstaufnahmelager Traiskirchen über die Errichtung des Camps in das Kirchenasyl und das Servitenkloster zeichnet Lisbeth Kovacic nach. Bue Hansen und Birgit Mennel haben zwei der Flüchtlinge des Vienna Refugee Camps interviewt.

Monika Mokre vermisst die vertragliche Konstruktion Europa in Hinblick auf ihre Logiken des Ausschlusses, die die Identifikation mit einem Projekt Europa zunehmend erschwerten und plädiert für die „neue Zielsetzung einer im Inneren und Äußeren solidarischen Gemeinschaft”. Die bereits erwähnten Fingerprints, sie stünden auch für eine diffus gewordene Grenze im Zeitalter der digitalen Deportabilität, eine Grenze, die die Refugees so gleichermaßen selbst „buchstäblich verkörpern“ und mit sich mitnehmen, analysieren Brigitta Kuster und Vassilis S. Tsianos. Kuster/Tsianos formulieren den Appell der Wiener Refugees als Forderung: „Erase them!“ Andreas Oberprantacher schließ- lich setzt sich mit dem Aufbegehren selbst auseinander. Dieses bedeute für die ProtagonistInnen, ihr „Leben öffentlich (zu) riskieren, indem sie sich anders präsentieren, als ihnen zugemutet wird“. Es gelte, Szenen des Aufbegehrens anders wahrnehmen zu lernen, ihre ProtagonistInnen anders zu erkennen als „als eine Menge besonders bedürftiger Menschen, die sich unter Umständen in rabiate Bestien verwandeln können“. Abschließend schildert ein Text von Moira van Dijk die Situation von Refugees in den Niederlanden.

Entstanden ist der Schwerpunkt im Rahmen einer Kooperation mit MALMOE und dem eipcp-Projekt Europe as a translational space: The Politics of Heterolinguality (finanziert vom FWF Austrian Science Fund: TRP34-G15). Langfassungen einiger Beiträge erscheinen im multilingualen Webjournal transversal. (transversal.eipcp.net)

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