VorRisse

„Warum steigen die Mieten bloß SOHOch?“ steht seit rund einem Jahr in blauen Lettern auf eine Wand am Yppenplatz in Wien-Ottakring gesprayt. Die Wand gehört zu einem der schnieken neuen Cafés und Restaurants in der Gegend, die von manchen hier als Sinnbilder des Vordringens der viel bemühten bourgeoisen Bohemiens (sprich: Bobos) in „unser Grätzel“ wahrgenommen werden.

„Warum steigen die Mieten bloß SOHOch?“ steht seit rund einem Jahr in blauen Lettern auf eine Wand am Yppenplatz in Wien-Ottakring gesprayt. Die Wand gehört zu einem der schnieken neuen Cafés und Restaurants in der Gegend, die von manchen hier als Sinnbilder des Vordringens der viel bemühten bourgeoisen Bohemiens (sprich: Bobos) in „unser Grätzel“ wahrgenommen werden. Das SOHO im „so hoch“ gehört – wie vermutet werden darf – zum Festival SohoinOttakring, dem seit längerem bereits Verstrickungen in das Projekt der „sanften Stadterneuerung“ (lies: Gentrifizierung light) nachgesagt werden. Durch seine aktive Rolle im städtischen „Aufwertungsprozess“ habe es nämlich – so lautet das gleichermaßen in affirmativer wie kritischer Absicht formulierte Argument – zur schleichenden Verdrängung der alteingesessenen BewohnerInnenschaft des migrantisch geprägten ArbeiterInnenbezirks im Westen Wiens beigetragen.

Damit umrissen sind bereits wesentliche Aspekte jener demografischen und sozialräumlichen Transformationen des Urbanen, welche den Gegenstand der vorliegenden Kulturrisse-Ausgabe bilden. Im Zentrum der einleitenden Texte zum Heftschwerpunkt steht dabei erstgenannter Wandel, also die Veränderung der Städte durch die migrationsbedingte Neuzusammensetzung ihrer EinwohnerInnenschaft. Bereits der Aufhängertext von Erol Yildiz und Birgit Mattausch-Yildiz verweist dabei auf die Tatsache, dass Migration in der Geschichte nicht bloß deutscher und österreichischer Städte eine historische Normalität darstellt(-e) und auf vielfältige Art und Weise urbane Alltagspraxen prägt(-e). Auf einen spezifischen Ausschnitt der Migrationsgeschichte Wiens fokussieren im Anschluss daran Veronika Duma, Tobias Zortea, Katherina Kinzel und Fanny Müller-Uri: Aus Anlass des 100. Jahrestags des „Aufstands der Vorstadt“ werfen sie einen Blick zurück auf die Entstehungsbedingungen der „anarchischen“ Wiener Außenbezirke zwischen migrationsbezogenen und sozialräumlichen Wandlungsprozessen. Zurück in die Gegenwart und zur Bedeutung von Migration für aktuelle städteplanerische Debatten und Praxen in Wien führt uns in der Folge der Beitrag Gabu Heindls. Dabei plädiert sie für eine antirassistische Raumplanung, welche über das Spiel mit modischen Labels wie „multi-“ oder „interkulturellem Wohnen“ hinauszugehen und den Konflikt als zentrales Charakteristikum städtischen Lebens anzuerkennen habe.

Stärker auf die sozialräumlichen Veränderungen des Urbanen fokussieren die Beiträge im zweiten Teil des Heftschwerpunkts. Auf der Basis eines Rechercheprojekts untersucht Elke Krasny hier anhand der Alltagswege von (migrantischen) Familien in Hong Kong die Auswirkungen des Stadtumbaus auf Einzelne. Konkret gilt ihr Interesse dem Gehen als Wissensproduktion seitens urbaner Subjekte, die in ihren Bewegungen und Forderungen Policy- und InvestorInnenlogiken transzendieren. Wie solche Logiken den sozialräumlichen Wandel kolonialer Städte bestimmten, ist einer der Gegenstände, mit denen sich in der Folge Fahim Amir und Christina Linortner beschäftigen. Vor dem Hintergrund eines Forschungsprojekts zum Thema verfolgen sie dabei aus postkolonialer Perspektive die „Migration“ von Raumkonzepten, Architekturen und Lebewesen durch Zeit und Raum. Mit der Veränderung des sozialen Charakters städtischer Räume im Laufe der Zeit setzt sich im Anschluss daran Andrej Holm auseinander, indem er die Bedeutung kultureller Logiken im Prozess städtischer „Aufwertung“ untersucht.

Die von ihm abschließend betonte Ratlosigkeit auf Seiten vieler KünstlerInnen und AktivistInnen angesichts der eigenen Involviertheit in städtische Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse ist wohl auch bei manch einem/r von jenen zu beobachten, deren Blick beim abendlichen Fluchtachterl am Yppenplatz in letzter Zeit über das einleitend erwähnte Graffito streifte. Zu einem produktiveren Umgang mit solchen Widersprüchen einen Beitrag leisten möchte die vorliegende Kulturrisse-Ausgabe.

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