Vorarlberger Kulturdickicht - Vom Ringen um Beteiligung

Chronologie der Vorarlberger Kulturstrategie-Überarbeitung im Umfeld von Fair Pay, Prekariat und Partizipation


"Oh Participation, Where Art Thou?"

Wir lehnen uns an. Das Filmwerk "Oh Brother, Where Art Thou?" der Coen-Brüder aus dem Jahr 2000, eine Mississippi-Odyssee mit Bezug auf Homers Epos kommt uns in den Sinn, während wir uns intensiv mit den Ergebnissen der Studie zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen Kunstschaffender in Vorarlberg und den strategischen Schritten der Landeskulturpolitik und -verwaltung beschäftigen. Das „Where art thou?“ statt „Where are you?“ hat frühneuenglische Wurzeln, die Sprache wurde zu Zeiten Shakespeares gesprochen. Das ist einige Jahrhunderte her, dazu haben wir den Anschluss verloren. Wie auch zu irgendeiner Art von Beteiligung in der aktuell stattfindenden Kulturstrategie-Überarbeitung, die in kleinem Team unter Leitung der Landeskulturabteilung stattfindet und noch im September präsentiert werden soll. Eine Teilnahme und Teilhabe der Kunst- und Kulturakteur*innen an dieser Überarbeitung war und ist dabei nicht in Sicht. Weder wir als Interessensvertretung für Kulturinitiativen noch die IGs der Bildenden und Darstellenden Künste, Literatur oder Musik sind beteiligt. Unsere Einschätzungen waren lediglich für oben genannte Studie von Bedeutung, was jedoch die Implementierung von fairen Rahmenbedingungen für Kunst und Kulturarbeit anbelangt, bleibt uns die Mitgestaltung eines neuen Kurses verwehrt. 
 

Ungenutztes Füllhorn

Wir hätten nur zu gern mit in diesem Boot der Neugestaltung gesessen und sehen es auch als unsere Aufgabe, kräftig mit zu rudern in einem Team und in einer Gesamtverantwortung, wie von Kulturlandesrätin Barbara Schöbi-Fink stets betont und gefordert. Es brauche uns alle, meint sie in ihren Reden wie zuletzt in der Kulturdebatte des Vorarlberger Landtags Anfang Juli. Dieser Meinung sind wir ohnehin auch. Jedoch, wenn niemand beteiligt wird im Reflexions-, Beratungs- und/oder Gestaltungsprozess, was meint sie nur mit Gesamtverantwortung? Da herrscht Nachfragebedarf. Ein Auslassen der Vorarlberger Kunst- und Kulturakteur*innen in diesem Kontext verwundert uns auch darum, weil es doch das Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung gibt, und das ist ein Füllhorn an Partizipations-Expertise und Beteiligungsprozess-Must-Do-Hinweisen. Dieses Büro ist ebenfalls eine Landesabteilung, quasi eine Kollegin der Kulturabteilung, das Gute läge also nahe. Der Kulturstrategie-Update-Prozess läuft jedoch an entscheidender Stelle aufs Beteiligungs-Trockendock. 

Wer hinter unseren Sätzen Zynismus orten sollte, irrt! Wir sind tatsächlich erstaunt, dass es keine Beteiligung gibt. Eine Einbindung der Interessensvertretungen wie z.B. in Salzburg ist das passende Werkzeug, um an "ghöriger Schua drus z´macha", wie es im Vorarlberger Dialekt sehr erdend heißt. Womit wir die Brücke vom Coen-Schauplatz ins Ländle schlagen.Tatsächlich würden wir lieber mitverhandeln, entwickeln, verwerfen, probieren, reflektieren und am Ende – wir sind überzeugt! – reüssieren, als permanent zu kämpfen um Beteiligung und das Bewusstsein breit gefasster und die Adressat*innen erreichende Entwicklungsprozesse. 
 

Navigation mit kleinem Kompass

Wir wollen aber auch nicht schwarzmalend vorauseilen: Es kann gut werden und förderlich funktionieren, was das Strategieteam derzeit erarbeitet. Kluge Expert*innen sind genügend involviert, Details finden sich unten in der Chronologie, und jüngst nachbesetzt wurde sogar einer der Autoren besagter Prekariatsstudie. Nur Kunst- und Kulturakteur*innen mit Erfahrung jener prekären Umstände, über die verhandelt wird, und Interessensvertretungen der Sparten sind vom Prozess ausgeschlossen. Diese mangelnde Augenhöhe und fehlende Wertschätzung dem einzigartigen Prozess und den betroffenen Akteur*innen gegenüber ist gleichermaßen ein Versäumnis wie ein Jammer. Ein vertrauenswürdiges Navigieren durch noch trübe Gewässer erfordert jedenfalls einen anderen Kompass.


Die Fakten
 

2021:

  • Das Kulturressort des Landes Vorarlberg gibt bei der FH Vorarlberg eine Studie zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen von Künstlerinnen und Künstlern in Auftrag.
     
  • In der die Studie begleitendenden Arbeitsgruppe der Kulturabteilung des Landes sind die Interessensvertretungen und Expert*innen aus Literatur, Darstellender und Bildender Kunst involviert, nicht jedoch die IG Kultur Vorarlberg. Man untersuche lediglich die Bedingungen von Kunstakteur*innen, nicht die von Kulturarbeiter*innen, heißt es aus dem Kulturressort und der Kulturverwaltung des Landes. Eine Beteiligung der Interessensvertretung von Kulturinitiativen sei nicht notwendig.
     
  • Mirjam Steinbock, Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg wird von den FH-Studienautor*innen als eine von 17 Expert*innen für die qualitative Befragung hinzugezogen.
     

2022:

  • Das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS) startet sowohl eine Fairness-Strategie als auch ein Fair Pay-Pilotprojekt mit zweckgewidmeten Zuschüssen, die auf einer bundesweiten Erhebung fussen.
     
  • In Vorarlberg reagieren die Landtagsabgeordneten Christoph Thoma (ÖVP) und Bernhard Weber (GRÜNE) am 22. März 2022 mit einem selbständigen Landtagsantrag "Fair Pay in Vorarlberg – Begleitung der Pilotphase, Rahmenbedingungen für Umsetzung schaffen Selbstständiger Antrag gem. §12 GO", dieser wird vom Landtag einstimmig mit einem Auftrag beschlossen. Hier mehr dazu.
     
  • Am 13.10. findet die Kulturenquete des Landes Vorarlberg statt. Es gehe darum, "die bisherige Arbeit sichtbar zu machen, die Ausrichtung neu zu justieren und die Schwerpunkte neu zu bewerten. Die Reflexion folgt den drei markanten Leitthemen der Strategie, an welche wiederum zahlreiche Handlungsempfehlungen geknüpft sind: Zusammenarbeiten, Impulse setzen, Grenzen überschreiten", heißt es in der Aussendung des Landes.
     
  • Ende des Jahres fasst das Kulturressort einen Abschlussbericht zu Fair Pay in Vorarlberg für das Jahr 2022 gemäß des Landtagsbeschlusses im März. In diesem wird erstmals der Begriff "Fair Pay-Akzente" genannt. Weiters wird für 2023 eine "Verankerung des Themas im Update der Vorarlberger Kulturstrategie" in Aussicht gestellt. 

2023:
 
  • Am 24. März findet eine Ergebnispräsentation der Prekariatsstudie mit Interviewpartner*innen statt, die IG Kultur Vorarlberg ist dazu eingeladen.
     
  • Im April legt uns die Kulturabteilung einen Überblick der strategischen Schritte vor. Das Strategieteam besteht aus Dr. Winfried Nußbaummüller und Susanne Fink von der Kulturabteilung, der Lustenauer Kulturamtsleiterin Claudia Voit, der Sozialwissenschafterin und Autorin von Kulturraum Vorarlberg 2025+ Dr.in Eva Häfele und Tourismusexperte und Stadtkulturentwickler Edgar Eller. Nachbesetzt wurde das Team im Mai mit Fabian A. Rebitzer, Leiter der Forschungsgruppe Empirische Sozialwissenschaften an der FH Vorarlberg und Mitautor der Prekariatsstudie.
    Timeline Strategien Kunst und Kultur Vorarlberg 2023
  • Am 22. Mai präsentieren Landesrätin Dr.in Barbara Schöbi-Fink, Kulturabteilungsleiter Dr. Winfried Nußbaummüller und Studienautor Fabian A. Rebitzer der Presse die Studie zu den Einkommens- und Lebensverhältnissen Kunstschaffender in Vorarlberg im Dock 20 in Lustenau.
     
  • Die IG Kultur Vorarlberg äußert sich in einem Interview für das Radio Vorarlberg Kulturmagazin zur Studie.
     
  • Am 28. Juni sind Mirjam Steinbock von der IG Kultur Vorarlberg und Brigitte Walk von walktanztheater.com als Vertreter*innen der freien Szene in den Kultur- und Bildungsausschuss des Landes eingeladen, um den Landtagsabgeordneten im Rahmen der Präsentation der Prekariatsstudie zusätzlich Auskunft zu relevanten Bedürfnissen der Akteur*innen und Notwendigkeiten für faire Arbeits- und Lebensbedingungen zu geben.

Kultur- und Bildungsausschuss @Christine Bösch-Vetter

 
  • Am 30. Juni appelliert die Vorarlberger Kulturarbeiterin Brigitta Soraperra federführend und im Namen aller Interessensvertretungen der Sparten Bildende Kunst, Theater, Tanz, Musik, Literatur und Kulturinitiativen an Landeshauptmann Markus Wallner, Landesrätin Barbara Schöbi-Fink und die kulturpolitisch Verantwortlichen der Vorarlberger Gebietskörperschaften, auf die erschütternden Studienergebnisse mit Sofortmaßnahmen sowie mittel- und langfristigen Fördermaßnahmen zu reagieren und Interessensvertretungen sowie betroffene Kunstakteuer*innen an gebietskörprschaftlichen Strategieteams zu beteiligen.
     
  • Am 6. Juli findet im Rahmen der Landtagssitzung eine Kulturdebatte statt, in der die Landtagsabgeordneten Manuela Auer (SPÖ), Sabine Scheffknecht (NEOS), Hubert Kinz (FPÖ) sowie Bernie Weber (GRÜNE) dringende Maßnahmen zur Unterstützung der freien Szene einfordern. Im Publikum sitzen Vorarlberger Künstler*innen und zeigen Präsenz aus der Szene.
     
  • Zu einer "anekdotischen" Erzählung zu Fair Pay von Kulturlandesrätin Barbara Schöbi-Fink im Rahmen der Kulturdebatte reagiert die IG Kultur Vorarlberg mit einem offenen Brief unter dem Titel Lassen Sie uns zusammenarbeiten, nicht gegeneinander, Frau Landesrätin.
     
  • In einer Email-Reaktion vom 21. August sowohl zum Appell der Kulturszene als auch zum offenen Brief der IG Kultur Vorarlberg äußert sich Barbara Schöbi-Fink zu letzterem wie folgt:

    "Und nun noch zu Ihrer Kritik an meinen Äußerungen im Landtag: Meine Absicht war es, in der Diskussion im Landtag klar zu machen, dass es für eine faire Bezahlung von künstlerischen Leitungen eine gemeinsame Verantwortung gibt. Im Besonderen eine Verantwortung der Fördergeber und der Kulturveranstalter, als derjenigen, die Künstler:innen engagieren. Sollten meine Äußerungen so angekommen sein, dass sich die gesamte freie Kulturszene diffamiert fühlt, möchte ich mich dafür entschuldigen. Das war nie meine Absicht. Dazu kenne und schätze ich unsere Kulturveranstalter viel zu sehr.  So wie Ihnen ist mir eine Zusammenarbeit sehr wichtig."
     

Ausblick

Noch im September soll der Kulturstrategieprozess des Landes Vorarlberg abgeschlossen werden.
Laut Aussage von Kulturlandesrätin Barbara Schöbi-Fink seien "im Budgetantrag für 2024 sowohl zu Maßnahmen für Fair-Pay als auch für die Empfehlungen der Prekariatsforschung finanzielle Ressourcen vorgesehen."

 


Artikelfoto: ©Pixabay.com
Foto vom Bildungsausschuss: ©Christine Bösch-Vetter
 

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