Tür und Tor

Wie sind solche Türen ausgestattet, wenn es auf der Schwelle – z. B. in einem EU-Strategiepapier in der englischen Originalversion – noch von der Inclusion von Roma die Rede ist – das heißt immerhin gleiche Rechte bzw. Zugang zu Ressourcen –, im Deutschen aber plötzlich von Integration?

Die Roma-Dekade samt feierlicher Beteuerungen geht langsam zu Ende. Ursprünglich hieß sie übrigens Decade of Roma Inclusion 2005-2015, die Inklusion ging anscheinend „lost in translation“, und wir dürfen (uns) fragen, inwieweit dadurch für Roma Tür und Tor zu gesellschaftlicher Inklusion geöffnet wurden.

Türen und Tore führen jedoch ein eigenes und eigenwilliges Leben. Kürzlich fiel mir dazu ein Büchlein in die Hände: „Türe öffnen. Draußen und drinnen, ein Ratgeber für Ahnungslose“, stand da schlicht, das Cover in der nüchternen Aufmachung der 1980er Jahre gehalten. Folgende Begriffsbestimmung ist der definitorischen Leistung des Buches verpflichtet: „Türen sind variable Flächenteile, die an Hohlkörpern zu dem Zwecke angebracht wurden, Menschen oder Objekten auf Veranlassung und durch Lenkungen von ersteren den Eintritt oder den Austritt zu gestatten.“ Um die Auseinandersetzungen des Buches zu würdigen und weiter zu treiben, muss hier gefragt werden, ob es nur verschiedenste Türen und Tore gibt, oder ob auch verschiedenen Menschen bzw. Gruppen von Menschen unterschiedliche Türen und Tore offen bzw. geschlossen zu deren Nutzung zur Verfügung stehen.

Einige Menschen wachsen auf, gehen durchs Leben und werden sogar greis, ohne je mit Tür und Tor in Berührung gekommen zu sein, zuweilen sogar ohne sie bemerkt zu haben. Weil sie sich in Räumen bewegen die – symbolisch gesprochen – mit automatischen Türen ausgestattet sind. Sobald man hereinritt, schaltet sich schon ein Bewegungsmelder, eine Lichtschranke oder eine ähnlich nützliche Einrichtung ein – und schwups, die Tür steht schon geöffnet, und man ist ohne Müh und Not ins ersehnte oder auch einfach als Ziel gesetzte Innen gekommen. Andere hingegen dürfen ein erfahrungsreiches Leben führen und sämtliche Türtypen von außen kennenlernen: getarnte und unsichtbare Türen, solche ohne Klinken und mit festklemmenden Scharnieren oder Türen, die so schwer sind, als wären sie Burgtore; solche, die sich gar nicht öffnen lassen oder aber die Flügel plötzlich aufschlagen; solche, die leicht ausschauen, sich später aber als Drehtüren entpuppen, die einen – wie in den guten alten Stummfilmen – erfassen und mitreißen, bis man in der klaustrophobischen Glaszelle eingeschlossen ist, die weder ein Außen noch ein Innen zulässt und vor allem einem horizontal aufgestellten Hamsterrad drohend ähnlich wird …

Wem stehen also Tür und Tor offen und wem eben nicht? An welchen Türmechanismen liegt es, dass einige hineinspazieren und andere es nicht mal gebacken kriegen, die Tür zu öffnen? Was erwartet sie, wenn sie es doch schaffen? Falls hier der Verdacht auf Rhetorik aufkommt, machen wir es ein Stück expliziter und konkreter: Wie sind solche Türen ausgestattet, wenn es auf der Schwelle – z. B. in einem EU-Strategiepapier in der englischen Originalversion – noch von der Inclusion von Roma die Rede ist – das heißt immerhin gleiche Rechte bzw. Zugang zu Ressourcen –, im Deutschen aber plötzlich von Integration? Wer soll sich wie integrieren, wenn es um eine (nationalstaatliche) Minderheit geht, die seit 600 Jahren im deutschsprachigen Raum lebt? Wie viele Generationen müssen gezählt werden, bis man integriert ist? Ist es genug, bis Gutenberg zurück zu zählen, oder soll sicherheitshalber doch bis Adam und Eva zurückgezählt werden, bevor die ominöse Tür wie die sagenumwobene Sesamtür sich – natürlich nur für die gut in das Geheimnis der  Integration Integrierten – öffnen darf? Die Roma-Dekade neigt sich dem  Ende zu.

Ähnliche Artikel

Straßen von Barcelona Wir weinten in Mauthausen angesichts der Taten der Nationalsozialisten. Wir waren schockiert, umarmten uns, schluchzten, hörten den Herzschlag der Frauen, die ebenfalls zitterten. Wir weinten in Barcelona auf dem Platz eines ehemaligen Frauengefängnisses, wo heute ein berühmtes Einkaufszentrum steht, inmitten touristischen Lärms, zwischen Menschen, die negierten, was dort noch bis Ende der 1950er-Jahre Realität unter Franco war. Das Gefängnis war nicht mehr sichtbar. Niemand wollte es jemals an diesem Platz gesehen haben. Doch warum hätte man das Gefängnis stehen lassen sollen? 
Austausch Roma Juden Sobald man sich fragt, wie viele Juden und Roma in Österreich oder in der ganzen Welt leben, gerät man schon in Schwierigkeiten. Schätzungsweise geht man von ca. 35.000 Roma und 15.000 Juden in der Alpenrepublik aus und in der ganzen Welt vielleicht von zehn Millionen Roma und 14 Millionen Juden. Die Zahlen sind also ähnlich groß. Was macht aber einen Menschen zu einer Romni oder einer Jüdin (bzw. zu einem Roma oder einem Juden)? Es hat in beiden Fällen mit Familie,
Mit dem Paukenschlag des Roma-Pavillons „Paradise Lost“ auf der 52. Biennale von Venedig im Jahr 2007 wurde die Kunst von Roma und Romnia endgültig aus dem Ghetto der ethnografischen Kunstsammlungen bzw. der Outsider-Art befreit und in den Kontext des westlichen Kunstsystems hinein reklamiert. Zu sehen war eine politische Kunst, die mit zeitgenössischen Methoden die Erfahrungen von Flucht und Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung zum Thema machte. Gleichzeitig etablierte sich, als Zeichen eines ethnischen Selbstbewusstseins, der Begriff „Roma-Kunst“, der allerdings auch hier auch schon mit einem gewissen Vorbehalt verwendet wurde. Aus diesem ersten Pavillon folgten zwar noch weitere Ausstellungen, ein regulärer Pavillon der Roma/Romnia konnte sich leider nicht auf der Biennale von Venedig etablieren. Doch konnte sich mit dieser Initialzündung ein künstlerischer Aktivismus etablieren, der inzwischen auf vielen Ausstellungen weltweit Sichtbarkeit und Wirksamkeit erlangt hat und der von einer neuen, jungen Generation von KünstlerInnen fortgesetzt wird.