Terror, Freiheit und Semiotische Politik

Ein Gründungsmitglied des Critical Art Ensemble (CAE) wurde am 12. Mai im Zusammenhang mit seiner künstlerischen Tätigkeit im Bereich Bio- und Informationstechnologie vom FBI verhaftet, seine Ausrüstung und persönlichen Gegenstände beschlagnahmt. Hintergrund dieser Aktion unter Einsatz von militärischen Sondereinsatzkräften in Biowaffen-Schutzkleidung war das unerwartete Ableben von Steve Kurtz’ Frau durch Herzversagen in der Nacht zuvor.

Ein Gründungsmitglied des Critical Art Ensemble (CAE) wurde am 12. Mai im Zusammenhang mit seiner künstlerischen Tätigkeit im Bereich Bio- und Informationstechnologie vom FBI verhaftet, seine Ausrüstung und persönlichen Gegenstände beschlagnahmt. Hintergrund dieser Aktion unter Einsatz von militärischen Sondereinsatzkräften in Biowaffen-Schutzkleidung war das unerwartete Ableben von Steve Kurtz’ Frau durch Herzversagen in der Nacht zuvor.

Im Rahmen weltweiter Proteste wurde auch in Wien, am 15. Juni, dem “Tag der freien Medien”, ein sichtbares Zeichen für die Freiheit von Wissenschaft und Kunst sowie für die Freiheit der Rede gesetzt. Eine Demonstration vor der US-Botschaft übergab eine Protestresolution, die von den TeilnehmerInnen der Free Bitflows Konferenz wenige Tage zuvor verabschiedet wurde und forderte die sofortige Einstellung des Verfahrens, die volle Rehabilitierung sowie die Wiederermöglichung der künstlerischen Tätigkeit.

Critical Art Ensemble, ein einflussreiches Kollektiv engagierter Kunstschaffender, arbeitet seit vielen Jahre an Projekten, die die Strategien der Bioindustrie hinterfragen. Diese sollen eine kritische Debatte über Biotechnologie ermöglichen, deren umfassende Bedeutung in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu dem kaum vorhandenen öffentlichen Diskurs steht. Die dabei verwendeten Arbeitsmaterialien beinhalten beispielsweise Laborbedarf und Bakterien, mit denen eine Verunreinigung von Lebensmitteln durch transgene Substanzen nachgewiesen werden kann. Obwohl es sich dabei ausschließlich um frei erhältliche Geräte und völlig legale Hilfsmittel handelt, bereits vielfach in internationalen Ausstellungen und Museen präsentiert, wurde das Haus des CAE-Mitglieds Steve Kurtz kurzfristig zur Gefahrenzone erklärt.

Steve Kurtz steht nun vor einer Anklage wegen Bioterrorismus, der auf allgemeinerer Ebene eine massive Einschränkung der Bürgerrechte in der US-Kampagne gegen Terrorismus vorausgegangen war. Der Patriot Act und die damit verbundenen Maßnahmen wenden sich nicht mehr nur gegen ImmigrantInnen, sondern auch gegen kritische JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und neuerdings gegen Kunstschaffende. Kurtz, der öffentlich gegen die Patentierung der Biosphäre auftritt, die Rolle von Konzernen anprangert und in seiner künstlerischen Praxis die Manipulation der Nahrungskette und die Praktiken der Bioindustrie aufzeigt, wird von der Sicherheitsparanoia staatlicher Behörden als Terrorist wahrgenommen.

Das Kollektiv verwendet situationsspezifisch Modelle taktischer Medienarbeit in ephemeren Medien und Interventionen, die im Widerspruch zur ansteigenden Intensität autoritärer Kontrollkultur in einem soziopolitischen Kontext semiotische Schocks auslösen. Über viele Jahre hat CAE die soziokulturellen und politischen Auswirkungen der Verschmelzung von Mensch und Maschine und der Durchdringung der Biosphäre durch Kontrolltechnologien untersucht und dabei die Möglichkeiten von ICT zu sozialer Kontrolle und Kategorisierung als Schlüssel zu wirtschaftlicher und kultureller Ausgrenzung beschrieben.

Die in Europa verbreitete Grundhaltung allgemeiner Gentechnikfeindlichkeit ist der Gruppe dagegen fremd. Sie vertritt vielmehr eine differenzierte und sachliche Sicht, die sich zunächst weder für, noch gegen GMO (Genetically Modified Organisms) ausspricht. Ein zentrales Anliegen ihrer letzten Arbeiten zum Thema GMO war es nicht zuletzt, Modelle der Risikoabschätzung zu entwickeln, um auch Laien die Möglichkeit zu geben, biologische Substanzen daraufhin zu überprüfen, ob es sich um Profit steigernde Verschmutzungen oder um wünschenswerte und umweltverträgliche Stoffe handelt. Durch fehlenden Einblick in wissenschaftliche Methodik und Vokabular steht die interessierte Öffentlichkeit vor scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten, elementarste Entscheidungen im Zusammenhang mit biotechnologischen Entwicklungen überprüfen zu können. Das Ergebnis ist unweigerlich ein Entscheidungstransfer zu SpezialistInnen und Autoritäten, die angeblich im öffentlichen Interesse handeln. Dieser Trend, der durch die zunehmende Einflussnahme von Kapitalinteressen in Forschung und Lehre verstärkt wird, begünstigt eine Entwicklung, die vom tatsächlichen öffentlichen Interesse möglicherweise weit entfernt ist.

Ebenfalls von der Beschlagnahmung durch die Joint Terrorism Task Force betroffen sind auch die aktuellen Recherchen zu Biowaffen und Anthrax für das neue CAE-Buch. In ihren Analysen beschäftigen sich CAE nicht nur mit der Kolonialisierung der Biosphäre - etwa in Publikationen wie FleshMachine und Molecular Invasion -, sondern reflektieren Themen von Digital Resistance, elektronischer Civil Disobedience und Disturbance. Wer im Netz nach Critical Art Ensemble und Terrorismus sucht, findet gleich an vorderster Stelle einen Text über die “Mythologie des Terrorismus im Netz”. CAE stellt dabei im Sommer 1995, als das Internet noch den Reiz des Exotischen besaß, die Frage, wie es überhaupt zu der Idee von Terror im virtuellen Raum kommen konnte, wem es letztendlich nutzt, symbolische Handlungen zu kriminalisieren und ob unsere Zivilisation inzwischen tatsächlich schon in der Lage ist, digitale Abstraktionen zu terrorisieren. Schließlich ist es nur schwer vorstellbar, wie es in einem aus Information gebildeten, aber sonst menschenleeren Raum zu Tod oder Bedrohung kommen kann. In Mythen, in denen die mythopoetische Konstruktion auf vielfältige Weise mit dem Koordinatensystem der Realitätswahrnehmung verbunden ist, lohnt es aber, den Ursprung und die damit verbundenen Interessenlagen zu studieren.

Die AutorInnen, die das Gespenst des Cyberterrorismus schon frühzeitig als Fiktion entlarvten, schienen damals noch die Möglichkeit zu sehen, durch zivilen Ungehorsam im Netz und die Blockade von Datenströmen und Datenressourcen die autoritären Machstrukturen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Diese Vorstellung scheint sich rückblickend nicht bewahrheitet zu haben. Virtuelle Sit-ins sind selten geworden, und DOS (Denial of Service) Attacken haben sich vielfach ins kriminelle Milieu verlagert, während rechtsradikale Kreise in Deutschland Computerviren mit Propagandaspam aufrüsten. Dennoch wurde schon damals in diesem Zusammenhang festgehalten, dass Civil Disobedience im elektronischen Raum ungleich schärfer verfolgt wird als ziviler Ungehorsam im physischen Raum, wo den Autoritäten oftmals ein recht generöser Umgang konstatiert werden kann. Es ist dies als Hinweis darauf zu verstehen, dass im Zeitalter des nomadischen Kapitals derartige Störungen letztendlich unerheblich sind, während politische Aktion, die tatsächlich den Nerv trifft, keineswegs so großzügig behandelt wird.

Denn der physische Raum des Spektakels ist nicht mehr der Schlüssel zum Verständnis oder Erhalt von Herrschaft, stattdessen ist die hegemoniale Kontrolle des virtuellen Raums und der Bildwelten der neue Ort der Macht. Das physische Spektakel der Repräsentation als rituelle Inszenierung und Affirmation von Besitzverhältnissen wird ersetzt durch symbolische Dominanz im Informationsraum, hypnotische Repetition und die erzwungene Produktion von Stille.

Längst hat sich auch die Wertschöpfung weg von einer Produktion von Gütern hin zu einer Produktion von Nachfrage verlagert, von der materiellen Produktion zur Fabrikation von Bedarf. Konsumrelevante Sinnschöpfung wird durch Partizipation in einem kulturell kodierten Wirtschaftssystem geschaffen, in dem quasireligiöse Bezugspunkte wie “freier Markt” und sozialer Darwinismus eine bestimmende Rolle spielen.

CAE scheint jedenfalls einen Nerv okkulter Mächte getroffen zu haben. Der Fall wurde am 15. Juni 2004 einer Grand Jury vorgelegt. Die Anklage stützt sich dabei auf Gesetzestexte zum Verbot von Biowaffen, wo Besitz, Weitergabe usw. von biologischen Substanzen “not reasonably justified by a prophylactic, protective, bona fide research, or other peaceful purpose” unter schwere Strafen gestellt wird. Voraussetzung für die Anklage ist der Umstand, dass die Nutzung von Technologie und Wissenschaft für friedliche Zwecke bei den Kunstschaffenden der Gruppe infragegestellt wird. Nachdem im Fall Kurtz vs. FBI bei handelsüblichen Utensilien und frei zugänglichen Substanzen keinerlei Gefährdung oder Bedrohung auszumachen ist und aus der Sachlage selbst kein krimineller Tatbestand abzuleiten ist, wird das Vergehen offenbar auf der symbolischen Ebene konstruiert. Ein formal völlig legaler und unbedenklicher Sachverhalt durchbricht offensichtlich die Beschränkungen einer Informationsarchitektur symbolischer Eingrenzung und wird damit zum Ziel einer Sicherheitsparanoia, die Handlungen staatlicher Repression auszulösen imstande ist.

In diesem Fall stellt das Sichtbarmachen einer “okkulten Wissenschaft” schon die Störung selbst dar, die Schaffung von Transparenz zeigt Verwundbarkeiten des bioindustriellen Komplexes auf und wird dadurch bereits zum potenziellen Terrorfall. Jenseits zivilen Ungehorsams im Datenraum oder elektronischer Störungen ist mittlerweile die Offenlegung von so geheimen Informationen wie z.B. was wir zum Frühstück essen, schon ein Sicherheitsrisiko, d.h. die Analyse von Nahrungsmitteln aus dem Supermarkt ausreichend Grundlage für eine Anklage im Zusammenhang mit den US-Terrorismusgesetzen. Der Verdacht scheint also begründet, dass es hier nicht um Artefakte biologischer Kunst geht, sondern darum, die Ideen selbst zu bestrafen und kritische Gedanken zu kriminalisieren. Diese Erschaffung des virtuellen Verbrechens erinnert an vorauseilende Verbrechensprävention im Stil von P.K. Dicks “Minority Report” und die Einrichtung der Gedankenpolizei.

Der Fall zeigt die Dringlichkeit einer offenen Debatte über die Bedeutung semiotischer Demokratie und das Fehlen von Mechanismen, um semiotische Repression einzuschränken. Semiotische Demokratie geht davon aus, dass die Quellen kulturellen Ausdrucks in der Wissensgesellschaft nicht dem Digital Divide einzelner Gesellschaftssegmente oder globaler Eliten vorbehalten bleiben darf und dass der freie Austausch und die lebendige Erneuerung von Wissen und Kultur unter größtmöglicher Beteiligung sicherzustellen ist. Der Zugang zu den Grundlagen von Wissenschaft und Kultur jenseits von Konzerninteressen ist eine demokratiepolitische Notwendigkeit.


Konrad Becker ist Leiter der Wiener Netzkultur-Institution Public Netbase.

 

Ähnliche Artikel

Die Diskussion bezüglich Vergütung von „Leistungen“ wird vor allem in den Bereichen Musik, Film oder Literatur geführt. Im Bereich des Medienaktivismus (Blogs, Videokollektive, Twitter/Identi.ca und andere Formen des politischen Aktivismus) werden zu selten Überlegungen angestellt, wie Unterstützungssysteme aussehen könnten.
Im Berliner Märkischen Viertel entwickelte sich Anfang der 1970er Jahre ein breites Spektrum kollektiver emanzipatorischer Widerstandsformen und operativer Medienpraktiken, denen unter anderem die Maxime zugrunde lag, dass Erkenntnis und politische Arbeit „nur über Uffdecken der janz kleenen persönlichen Scheisse jehn kann“.
Die Funktionsweise von Netzkultur entzieht sich der klassischen Vorstellung von Kultur. Räume, Projekte, Rezeption und Präsentation werden neu definiert und hybridisiert. Die Netzkultur in bestehende Förderschemata zu pressen konnte daher immer nur als Zwischenlösung gesehen werden. Es ist höchste Zeit, über neue Fördermodelle nachzudenken.