Stolpern Sie jetzt!

So viel steht fest. Die Zukunft der Kulturarbeit ist migrantisch und vorwiegend weiblich.

So viel steht fest. Die Zukunft der Kulturarbeit ist migrantisch und vorwiegend weiblich. Im Rahmen eines Projektes, das sich der Vernetzung autonomer Kulturinitiativen und migrantischer Selbstorganisation widmet, fand vor kurzem in Linz ein Workshop statt, der sich im Vorfeld von Kulturhauptstadt Linz 09 mit Fragen möglicher Strategien und Allianzen beschäftigte. Der hehre Wunsch, die Herstellung einer divergierten gemeinsamen Öffentlichkeit herbeizuführen und gesellschaftlich produzierten Ausschlüsse aktiv zu begegnen, musste sich an der Realität messen. Die Realität aber fehlte zur Hälfte. Vor Ort fanden sich nur VertreterInnen migrantischer Organisationen zusammen. Die vereinzelten Mehrheitsangehörigen – ablesbar an ihren gezielten Nutzungsstrategien, die sich in der Fluktuation nach den Referaten bemerkbar machten – verstanden sich offensichtlich mehr als Privatiers. An den Arbeitsgruppen am Nachmittag nahmen – bis auf eine Ausnahme – nur Frauen teil. Das Faktum: Mehrheitsinitiativen der autonomen Kulturszene und Männer waren bei dem Workshop arg am Verschwinden. Linz 2009 lässt grüßen? Kam hier das Desinteresse, sich auf einen gemeinsamen Prozess einzulassen, zum Ausdruck, die stille Artikulation der Priorität des Eigenen? Wenn die Antwort nein sein soll, sind diejenigen gefragt, die bereits heute an den Bündnissen von morgen real mitwirken wollen, auch indem sie imstande sind, Zugänge und Ressourcen frei zu legen.

Ein erster Versuch schien zu scheitern. Was tun damit? Da kommt mir ein Stück von Daniil Charms in den Sinn, das das Scheitern selbst zur Strategie erklärt. Eine leere Bühne, 20 Zeilen, zwei ProtagonistInnen, ordnungshalber A und B von mir genannt. Der Plot ist simpel: A fällt aus den Kulissen auf die Bühne, bleibt liegen, B tritt auf, stolpert über A, fällt hin, A erhebt sich, geht, stolpert über B, fällt hin, B steht auf, geht, stolpert über A usw. bis über die ganze Bühne gestolpert wurde. Vorhang. Der Dialog, bis auf ein paar unaffektierte Schimpfer, bewegt sich zwischen der permanenten Intention „Ja nicht über A (bzw. B)!” und der beständigen Einsicht „schon wieder über A (bzw. B) gestolpert”. Die Zersetzung des Scheiterns in kleine Stolpereinheiten gekoppelt an das Insistieren, es erfolgreich über die Bühne zu bringen, demontiert jede aufkommende Dramatik und Inszenierung des Bürgerlichen in einem. Das Stolpern über jemanden als Positivum, Zäsur, ärgerlich-heitere Angelegenheit? Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, es geht hier nicht um die banale Fadesse des bürgerlichen Subjekts und sein Über-sich-selbst-Stolpern. Nicht im Geringsten. Hier handelt es sich um ein revolutionäres Drama und das heißt immer, Personen zu ProtagonistInnen werden zu lassen, auch durch das Nicht-Aufgeben des Stolperns. Zur Auffrischung der primären Politlektüre, sei es in Linz gestern oder im Jahre 09 oder wo auch immer im Jahre 06: alleine mit dem eigenen Projekt und der Angst, wie es um es bestellt ist, hinter dem Schreibtisch bleiben, auch wenn das ein Büroschreibtisch ist, schafft keine gemeinsame Bühne. Und die ist unverzichtbar, wenn man hörbar und sichtbar bleiben will. Auch beim Stolpern.

Das zahlreiche Erscheinen von MigrantInnen in dem Workshop in Linz war ein Angebot, das vorerst keine AdressatInnen fand. Ein Angebot, an Strategien gegen (kulturelle) Marginalisierung mitzuwirken. Weil ProtagonistIn kann man nur werden. Daher: steigen Sie ein, handeln Sie jetzt, machen Sie mit – bevor der Zug der Geschichte an ihrer Person vorbei zischtttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttt ttttttt!

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