Solidarität als erweiterter Egoismus. Die IG Kultur muss ein Netzwerk werden

Unverhohlen geriert sich die Kulturpolitik als Gestalterin einer Öffentlichkeit in eigener Sache, die die gepredigte Verbindung von Kunst und Wirtschaft selbst vorexerziert und bezieht die kulturelle Opposition mit ein, die sich in der Illusion wiegen darf, von innen heraus zu verändern oder zumindest den Lauf der Dinge zu stören. Das Budget für Kultur, und hier insbesondere für die "Alltagskultur" oder "Zeitkultur" genannten Bereiche, ist nach wie vor ein potenzieller Streichposten, Forderungen nach Umverteilung gelten als sinnlos bis unschick.

An Stelle dieses Beitrags hätte eigentlich einer zum Thema Kannibalisierung im freien Kulturbetrieb stehen sollen, als Beginn einer Reihe über ein Phänomen, das möglicherweise einer verschärften Entsolidarisierung, Ergebnis einer erfolgreichen Teile-und-Herrsche-Politik in den Zeiten des Hungerdeliriums (man merkt nicht mehr, dass man Hunger hat), gleichkommt. Eine grundlegende These sowohl für die nun nicht beginnende Kannibalisierungsreihe wie auch für den nun beginnenden Beitrag zu den im Rahmen einer Klausur erarbeiteten Schwerpunkten der IG Kultur Österreich ist aber dieselbe: Das Feld der Kultur als "Transmissionsriemen für politische Forderungen" (Oliver Marchart) befindet sich in einer Art Rückzugsgefecht.

Dieses Rückzugsgefecht bezieht sich zum einen auf die sich nicht einstellen wollende nachhaltige Bedeutung der freien Kulturarbeit als Außerparlamentarische Opposition (Festwochen-Schauspielchefin Marie Zimmermann dagegen reicht schon ein Zicke-Shirt auf der Pressekonferenz, um medienwirksam widerständlerisch aufzufallen), auf die sukzessive Entziehung der Mittel, die zwar schon lange zu Buche schlägt, die aber seit 2000 in der unverhohleneren Variante - indem etwa Projektförderungen in Form von Leistungsverträgen klar Priorität erhalten - Strukturen wissentlich und willentlich entsubventioniert werden, praktiziert wird. Unverhohlen geriert sich die Kulturpolitik als Gestalterin einer Öffentlichkeit in eigener Sache (vgl. z.B die Moraksche Initiative "Kunst gegen Gewalt", die die gepredigte Verbindung von Kunst und Wirtschaft selbst vorexerziert) und bezieht die kulturelle Opposition mit ein, die sich in der Illusion wiegen darf, von innen heraus zu verändern oder zumindest den Lauf der Dinge zu stören. Das Budget für Kultur, und hier insbesondere für die "Alltagskultur" oder "Zeitkultur" genannten Bereiche, ist nach wie vor ein potenzieller Streichposten, Forderungen nach Umverteilung gelten als sinnlos bis unschick.

Eingebettet wird das Ganze in ein neoliberales Gefüge, in dem zugunsten einer bürgergesellschaftlichen Gemeinschaftsidee der Vereinzelten und bei restriktiver gesellschaftlicher Ordnung eine Verdrängung des Politischen und Entsolidarisierung um sich greifen.

Vor diesem Hintergrund hat also die IG Kultur beschlossen, sich - letztendlich ungeachtet dessen, ob es sich um eine RE-Politisierung eines ENT-solidarisierten Feldes handelt, um einen Anfang oder einen Neubeginn - der Frage zu widmen, wie Solidarität in dieser Gesellschaft möglich ist.

Wichtig ist dabei vor allem ein Verständnis von Solidarität als "erweitertem Egoismus", der anders als Toleranz nicht auf Konfliktfreiheit abzielt und Almosen für diejenigen bereit hält, denen es schlechter geht, sondern auf die Klärung gemeinsamer Ziele und eines politischen Selbstverständnisses zunächst der innerhalb der IG organisierten Vereine und Initiativen.

Nun haben die Mitglieder der IG Kultur unterschiedliche Interessenlagen und -intensitäten. Nimmt man "Politisierung" als Sensibilisierung, und politisiertes Vorgehen als Handlungskette, in der auf das Erkennen von Konflikten Reflexion und Aktion folgen, so lässt sich hier aus der Summe einzelner Aktionen durchaus eine Basis gemeinsamer politischer Ziele herstellen.

Als Reaktion auf das Ende des Interessenausgleichs ist das Bewusstsein für einen politischen Kulturbegriff zu fördern. Kulturpolitik, von den Kulturschaffenden praktiziert, kommt an gesellschaftspolitischem Handeln, am gemeinsamen Eintreten für Öffentlichkeiten und am Konflikt nicht mehr vorbei. Im Konflikt als gemeinsamer Haltung liegt die Chance, auf dem Laufenden zu bleiben und weder im Kuschelkurs kokonisiert zu werden noch in der Konkurrenzideologie unter die Räder zu kommen.

Die IG Kultur Österreich ist Interessenvertretung und Serviceinstitution, sie betreibt politisches Lobbying, Öffentlichkeitsarbeit und internationale Vernetzung. Gleichzeitig ist sie die Summe ihrer Mitglieder - ein Verband, der stärker den Charakter eines Netzwerks bekommen soll. Die Struktur des Netzwerks, das temporäre Allianzen bilden kann und durch Partizipation, Gleichberechtigung und Mobilität gekennzeichnet ist, scheint die richtige strukturelle Antwort auf aktuelle Strategien und Mechanismen der Macht.

Was diesen Beitrag also letztendlich von jenem über die Kannibalisierung unterscheidet, ist der Versuch, nach Motivationen für ein gemeinsames kultur- und gesellschaftspolitisches Handeln zu fahnden. Prävention und Intervention, Schlagwörter, die für die Maßnahmenpalette der Interessenvertretung IG Kultur stehen, sollen auf eine breitere Basis gestellt werden.

Einen ersten Ansatz versucht der thematische IG-Schwerpunkt "Politischer Antirassismus", der zunächst mit den Workshops zu Ljubomir Bratics Buch Landschaften der Tat eingeleitet wurde, und heuer und im nächsten Jahr mit weiteren Veranstaltungen das Bewusstsein dafür schärfen soll, dass Kulturarbeit auch gesellschaftspolitisch ausgerichtet sein kann und muss.

Zusätzlich wird im kommenden Jahr ein "Solidaritäts-Award" vergeben. Er richtet sich an Initiativen und Projekte, die Kulturarbeit in diesem Sinne leisten. Diesen demokratiepolitischen Anliegen soll mithilfe des Awards im Sinne einer Rückgewinnung der Öffentlichkeit Gehör verschafft werden.


Patricia Köstring ist Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich.

 

 

 

 

 

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