„So haben wir das nicht gemeint“ Kulturelle Aspekte der Gentrification

Die vielfachen Verschränkungen von Kultur und Aufwertung haben in vielen Städten vor allem bei subkulturellen Künstler/innen und Aktivist/innen Auseinandersetzungen über die eigene Rolle in Gentrification-Prozessen ausgelöst. „So haben wir das nicht gemeint“, und „Da kann man eh nichts machen“ ist ein häufiges Fazit solcher Debatten.

Vor einem Jahr sorgten anonym verklebte Plakate mit den Gesichtern der aus Wien kommenden Kuratorin der Berlin-Biennale Kathrin Romberg und anderer Künstler/innen für Unruhe im Berliner Stadtteil Kreuzberg und lösten ein kurzes Rauschen im Blätterwald der Kulturberichterstattung aus. Im Stile von Fahndungsplakaten gestaltet, wurden riesige Porträts der Ausstellungsmacher/innen mit den Worten unterlegt „Guten Tag, mein Name ist (…). Ich bin Gentrifiziererin!“. Hintergrund der Plakatserie war der bewusst vollzogene Umzug der Ausstellung vom bereits aufgewerteten Berlin-Mitte in das noch nicht gentrifizierte Kreuzberg. Die mit der Plakatierung einhergehende Veröffentlichung von privaten Emailadressen und Telefonnummern löste eine mediale Empörung aus. Darüber geriet der offensichtliche Anlass des Protestes in den Hintergrund. Statt einer öffentlichen Auseinandersetzung über die Rolle von Kultur im Gentrification-Prozess wurde über die denunziatorisch persönliche Form der Aktion diskutiert. So wurde die Debatte über die Rolle von Kunst und Kulturschaffenden an städtischen Aufwertungsprozessen abgebrochen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Doch die Frage, ob Künstler/innen Verantwortung für die Gentrification in den Städten tragen, weist über den Berliner Einzelfall hinaus und lädt zu tiefergehenden Überlegungen ein.

Das Verhältnis von Künstler/innen zu den Aufwertungs- und Verdrängungsdynamiken ist dabei alles andere als einfach. In vielen Gentrification-Studien werden Künstler/innen und (sub)kulturelle Einrichtungen als Indikator für die Etablierung neuer Lebensstile in den Frühphasen von Aufwertungsprozessen angesehen. In den Verlaufsmodellen der Gentrification werden spätere Verdrängungen von improvisierten und selbstorganisierten Nutzungen als Pionierdilemma beschrieben. Die Aktivitäten, die das Viertel erst attraktiv machten – so die Kurzfassung dieser Argumentation –, müssen den steigenden Mietkosten in den Aufwertungsgebieten am Ende selber weichen.

Kultur und künstlerische Aktivitäten treten uns in dieser Sichtweise als quasi-natürliche Voraussetzung der Stadtentwicklung entgegen. Gentrification wird weniger als immobilienwirtschaftlicher Inwertsetzungsprozess oder politisch motiviertes Umgestaltungsprogramm angesehen, sondern aus veränderten Nachfragemustern und Lebensstilen erklärt. Doch erst eine systematische Verknüpfung mit den politischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen des Nachbarschaftswandels kann die Wechselbeziehung von Kultur und Gentrification erklären. Eine Analyse der Kultur der Aufwertung umfasst dabei Aspekte der symbolischen Gentrification von Nachbarschaften ebenso wie solche der immobilienwirtschaftlichen Aufwertung und des Bevölkerungsaustausches.

Symbolische Gentrification

Die Ethnologin Barbara Lang hat für die 1980er Jahre in Kreuzberg Veränderungen des Stadtteils untersucht und gezeigt, wie künstlerische Aktivitäten, mediale Rezeptionen und kulturell aufgeladene Raumnutzungen zur Attraktivierung von Wohngebieten beitragen (Lang 1994). Die kulturell vermittelte Konstitution eines neuen Raumbildes wurde von ihr als eine symbolische Aufwertung beschrieben, die allen materiellen Aufwertungen im Gebiet vorausging. Ein neues Image wird sichtbar in der gewachsenen Medienpräsenz, in gestiegener Beachtung in Reiseführern und der Tatsache, dass bekannte Autor/innen die Handlungen ihrer Romane und Erzählungen in diese Gebiete verlegen und die Nachbarschaften als beliebte Filmkulisse genutzt werden. Insbesondere für Gäste und Zuziehende des Quartiers wirkt ein solcherart geschaffenes Raumbild als Folie der quartiersbezogenen Erwartungen, steuert so die konkreten Aneignungs- und Nutzungspraktiken und verwandelt sich dadurch in eine neue räumliche Realität.

Richard Lloyd zeigt am Beispiel von Wicker Park in Chicago den expliziten Raumbezug der Identitäts- und Selbstvermarktungspraktiken von Künstler/innen und subkulturellen Aktivist/innen (Lloyd 2006: 27). Die dortige Musikszene konzentrierte sich mit ihren Clubs, Studios und Bars nicht nur räumlich, sondern brachte eine regelrechte lokale Identität hervor. Das Stadtviertel selbst wird dabei zur Metapher eines Lebensstils, einer bestimmten (sub-)kulturellen Strömung oder künstlerischen Schule, und Dazugehörigkeit verspricht nicht nur soziale Reputation im eigenen Milieu, sondern mitunter sogar ökonomischen Erfolg der eigenen Aktivitäten.

Die Herausbildung neuer Raumbilder ist dabei eng mit den expressiven Logiken der Kulturproduktion verbunden, und insbesondere die künstlerische Praxis ist unmittelbarer Bestandteil der Produktion und Verbreitung neuer Stadtteilimages.

Real Cultural Capital und die immobilienwirtschaftliche Inwertsetzung

Die New Yorker Soziologin Sharon Zukin hat unter dem Stichwort des real cultural capital die Kultur als wesentliches Medium wohnungswirtschaftlicher Inwertsetzungen beschrieben (Zukin 1990). Kultur und kulturelle Praxis – so ihre Argumentation – tragen wesentlich zur Konstitution besonderer Orte bei, die eine ökonomische Verwertung baulich degradierter Wohnviertel erst ermöglicht. Die Gentrification wird von Zukin als eine Abfolge verschiedener Transformationen kulturellen Kapitals beschrieben.

Zunächst beschreibt sie den Zuzug von Künstler/innen, Studierenden und anderen städtischen Pionieren, den Anstieg von subkulturellen Aktivitäten, die Eröffnung selbstorganisierter Clubs, Hausbesetzungen sowie die Initiierung anderer unkommerzieller Projekte. Diese Phase kann als eine Konzentration von Menschen verstanden werden, die in einem hohen Maße mit individuell inkorporiertem kulturellem Kapital ausgestattet sind. In Folge dieser Konzentrationsprozesse verändert sich das Image der Nachbarschaften und zuvor unscheinbare oder vernachlässigte Quartiere werden zunehmend als In-Viertel, urban hotspots, Galeriemeilen und Künstler/innenquartiere rezipiert. Die Nachbarschaften verwandeln sich dabei von einem Container kultureller Aktivitäten in ein eigenständiges kulturelles Objekt. Das individuell inkorporierte kulturelle Kapital hat sich so in ein ortsgebundenes kulturelles Kapital transformiert.

Investor/innen und Hauseigentümer/innen verbinden diese neue symbolische Qualität mit der Erwartung von Extraeinnahmen für die nun besondere Lage. In Wohngebieten wird dies meist durch Modernisierungen und die Umwandlung in Eigentumswohnungen realisiert. Zukin beschreibt diesen Moment der Inwertsetzung als eine „Transformation kulturellen Kapitals in real cultural capital“ (Zukin 1990: 47 ff.). Kultur ist in dieser Schichtweise weniger Auslöser und Anlass der Aufwertung als vielmehr ihr Medium. Die Inwertsetzung kulturellen Kapitals in Gentrification-Prozessen verweist dabei auf die grundlegende Tendenz des postindustriellen Kapitalismus, wissensbezogene und kulturell entstandene Mehrwerte über den Immobilienmarkt zu kommodifizieren.

Kultur, Lebensstil und Verdrängungsdruck

Der amerikanische Stadtsoziologe Peter Marcuse schließlich verweist im Rahmen seiner Typologie von Verdrängungsmustern auf einen kulturell vermittelten Verdrängungsdruck im Kontext von Gentrification-Prozessen (Marcuse 1986). Die Durchsetzung neuer Lebensstile und die Etablierung neuer Einrichtungen in Nachbarschaften, so Marcuse, kann von den bisherigen Bewohner/innen eines Gebietes als kulturelle Entfremdung wahrgenommen werden, die durch den Verlust bisheriger Vertrautheiten und Authentizitätserfahrungen ausgelöst wird. Insbesondere für langjährige Bewohner/innen in heruntergewirtschafteten Quartieren können auch subkulturelle Szenen solch einen Veränderungsschock auslösen. Auf solche Enteignungen der raumbezogenen Erfahrungen („Ich fühl‘ mich fremd im eigenen Kiez“) wird vielfach mit Fortzugsentscheidungen reagiert.

Diese Perspektive auf Verdrängungsprozesse sieht Städte generell als umkämpfte Räume an, in denen verschiedenen Milieus und Interessengruppen mit ihren jeweils unterschiedlichen Raumnutzungsansprüchen und Ressourcen um dieselben Nachbarschaften konkurrieren. Insbesondere gegenüber Arbeiterklasse- und Unterschichtmilieus erweisen sich dabei auch ökonomisch prekäre Milieus der Sub- und Alternativkultur als durchsetzungsfähig.

In den Spätphasen der Gentrification zuziehende Mittelklassehaushalte verfolgen meist eine gezielte Homogenisierungsstrategie, und in vielen Städten ist die Herausbildung von regelrechten Lebensstil-Enklaven zu beobachten (Helbrecht 2011). Gemeinsam geteilte Lebensstile, Wertorientierungen und Konsummuster der meist bildungsbürgerlichen Milieus prallen in Form unmittelbarer Konfrontation mit anderen Vorstellungen vom Leben in der Nachbarschaft aneinander. Soziale Exklusion ist dabei kein ungewollter Nebeneffekt, sondern das eigentliche Ziel der Aufwertung.

Jenseits des Pionierdilemmas

Die vielfachen Verschränkungen von Kultur und Aufwertung haben in vielen Städten vor allem bei subkulturellen Künstler/innen und Aktivist/innen Auseinandersetzungen über die eigene Rolle in Gentrification-Prozessen ausgelöst. „So haben wir das nicht gemeint“, und „Da kann man eh nichts machen“ ist ein häufiges Fazit solcher Debatten. Diese Ratlosigkeit entsteht, weil sich die strukturellen Mechanismen der Inwertsetzung nicht auf der Ebene individuellen Verhaltens auflösen lassen. Strategien der Selbstverleugnung und Dislokation werden zu Recht abgelehnt. Perspektiven könnten in einer bewussten Stärkung der Nachbarschaften im Sinne einer Kunst für die Öffentlichkeit (Kwon 1996) und einer (Re-)Thematisierung der politischen und ökonomischen Dimensionen der Stadtentwicklung bestehen. Das eine setzt die Bereitschaft zu Bündnissen und Kooperationen jenseits der eigenen Milieus voraus, das andere eine Auseinandersetzung mit den eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Beides gehört in der Regel nicht zum Standard der kulturpolitischen Auseinandersetzungen und wurde auch im Fall der Berlin-Biennale 2010 verpasst.

 

Literatur
Helbrecht, Ilse (2011): „Die ,Neue Intoleranz‘ der Kreativen Klasse. Veränderungen in der Stadtkultur durch das Arbeitsethos der flexiblen Ökonomie“. In: Frey, Oliver / Koch, Florian (Hg.): Die Zukunft der Europäischen Stadt. Wiesbaden, 119-135.

Kwon, Miwon (1996): „Im Interesse der Öffentlichkeit“. In: Springerin 2/4, 30-35.

Lang, Barbara (1994): „Mythos Kreuzberg“. In: Leviathan 4/94, S. 498-519.

Lloyd, Richard D. (2006): Neo-Bohemia. Art and Commerce in the Postindustrial City. New York.

Marcuse, Peter (1986): „Abandonment, Gentrification, and Displacement: The Linkages in New York City“. In: Smith, Neil/Williams, Peter (eds.): Gentrification of the City. London, 153-177.

Zukin, Sharon (1990): „Socio-Spatial Prototypes of a New Organization of Consumption: The Role of Real Cultural Capital“. In: Sociology, 24 (1), pp. 37-56.

 

Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler und arbeitet im Bereich der Stadt- und Regionalsoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin zu Themen der Stadterneuerung, Gentrification und Wohnungspolitik. Seit Anfang der 1990er Jahre ist er in verschiedenen Mieterinitiativen und stadtpolitischen Netzwerken aktiv und schreibt auf dem gentrificationblog.de über Konflikte im Kontext von städtischen Aufwertungen.

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