revolution will not be televised. Ein Interviewpuzzle zu Kinokis Mikrokino

Ich wurde als Jurorin ausersehen, erklärte mich dann allerdings bald für befangen, da sich schon beim ersten Überfliegen der Projektbeschreibungen abzeichnete, dass meine beiden Favoriten Projekte sind, denen ich selber seit Jahren persönlich und politisch engstens verbunden bin.

Das Anliegen ist rätselhaft: Wieso einer Handvoll mehr oder weniger linker (und damit doch wohl irgendwie leistungsgesellschaftskritischer bzw. -feindlicher) KulturarbeiterInnen drei Handvoll Projektbeschreibungen vorsetzen, dass ihnen der Rotstift in den Fingern zuckt und auf dem Grund ihrer Seelen das besserwisserische, Zensuren verteilende Oberlehrertum erweckt? Wieso sie - mit entlang der Zeitachse eindeutig abnehmendem Wohlwollen - über die Projektbeschreibungen herfallen lassen, bis am Ende ein paar SiegerInnen am Tisch liegen bleiben? Warum das ganze Preis nennen, obwohl keine Spur von Geld zur Verteilung gelangt und deshalb bestenfalls von einer rein symbolischen Auszeichnung die Rede sein kann?

Ich wurde als Jurorin ausersehen, erklärte mich dann allerdings bald für befangen, da sich schon beim ersten Überfliegen der Projektbeschreibungen abzeichnete, dass meine beiden Favoriten Projekte sind, denen ich selber seit Jahren persönlich und politisch engstens verbunden bin. Dies sei keine Schande, sondern Grund, die Laudatio zu verfassen auf kinokis mikrokino, hieß es. Voilà.

Die Gruppe kinoki, benannt nach der revolutionären sowjetischen Kinogruppe von Dziga Vertov, Michael Kaufmann und Jelisaweta Svilova, wurde Anfang der 1990er Jahre in Wien gegründet. "Dziga Vertov ist in den Agit-Prop-Zügen durch die junge Sowjetunion gefahren und so reingefallen in dieses revolutionäre Kino. Die kinoki haben den Begriff vom revolutionären Kino am weitesten getrieben. Für sie musste revolutionäres Kino sich vor allem Fragen der Form stellen, nicht nur der Inhalte. Die haben begriffen, dass das Kino eine neue Wahrnehmung produzieren kann, die eine ganz andere ist als die, die Literatur vorher produziert hat. Das war ein kommunistischer, ein bisschen technokratischer Enthusiasmus, dass man die Befreiung durch die technischen Mittel befördern könnte und die auch deswegen benutzt", sagt der kinoki Peter Grabher.

Seit 1993 stellten die Wiener kinoki im besetzten, antifaschistischen Zentrum Ernst-Kirchweger-Haus aus der Konkursmasse der DDR erstandene 35mm-Projektoren auf die Bühne, bespielten öffentliche Plätze und veranstalteten unsubventionierte und legendäre Filmspektakel wie etwa eine deleuze-guattarianische "Wunschmaschinen-Nacht", die Filmreihe "Lachen über Hitler" oder ein Vampirfilmfestival mit Videogeisterbahn. Man produzierte für das VolxTheater Favoriten "Rensagekis", also Filme, die an bestimmten Stellen eines Theaterstückes die Handlung aufgreifen und weiterführen. Programm war: Kino von unten, Gegenkino, die Aneignung audiovisueller Produktionsmittel, eine von Produktions-, Konsumptions- und Distributionsstrukturen her demokratisierte audiovisuelle Umwelt inkl. ästhetisch-formaler Revolution, Enthusiasmus.

Nach ein paar Jahren trennten sich die Wege, und kinoki zerstreute sich. Ich scheiterte mit der Gründung einer Sektion "kinoki partizan" in Eisenkappel/Kärnten an der Dorfbevölkerung. Tom Waibel gründete in der Selva Lacandona "kinoki lumal", ein in Guatemala und Mexiko arbeitendes indigenes Wanderkino mit eigener Videoproduktion. Peter Grabher begann den Saal des KPÖ-Lokals "7*STERN" zweimal im Monat mit kinokis "mikrokino" zu bespielen. Seit November 1998 zeigte er in bisher 116 Programmen bewegte Bilder aus und für politische Bewegungen. Er zeigt der KPÖ Filme über die Schauprozesse, präsentiert gegen die schwarzblaue Regierung die "Kunst der Stunde ist Widerstand", spielt zu Ostern Achternbuschs immer noch verbotenes Passionsspiel "Das Gespenst". Auf dem Programm standen u. a. Makavejevs libertärer "WR - Mysterien des Organismus", Filme über die Frauen der Brigate Rosse, über die Nelkenrevolution, über Thomas Müntzer und Frantz Fanon und immer wieder Filme von Chris Marker.

Der romantischen Zelluloidvorliebe der frühen kinoki-Zeiten wurde zugunsten billiger, schneller Reaktionsmöglichkeit und finanzieller Unabhängigkeit entsagt. Kinokis mikrokino ist vor allem ein Videokino. "Das ist etwas, was ich nicht programmatisch sehen würde, also ich bin kein Videofreak geworden. 35mm, das bedeutet, dass einfach viel mehr Geld im Spiel ist. Da braucht man ein Budget, Förderungen usw. Jetzt ist das mikrokino eine Sache, die ein Mensch freizeitmäßig, fast nebenbei machen kann. Es ist so nicht aus der Fassung zu bringen, wenn irgendwelche Finanzquellen nicht mehr fließen. Es ist völlig unabhängig. Dafür muss man Abstriche bei der Vorführqualität machen. Für mich ist das manchmal schon ein frustrierender Kompromiss aus Wunsch und Ressource. Aber es ist besser, die Sachen in einer nicht perfekten Form zu sehen, als sie gar nicht zu sehen." In diesem Sinne versteht sich das mikrokino in der Tradition des kubanischen "imperfekten Kino": "In Lateinamerika und in den afrikanischen Ländern war das Kino immer verbunden mit einer utopischen Idee von demokratischer Kultur, und das ist es heute dort zum Teil immer noch. Sonst, im Westen, ist das kaum mehr der Fall."

Video ist oft die einzige Möglichkeit selbstbestimmter Laufbilderproduktion. Gleichzeitig gibt es für viele Videos kaum Spielstätten. "Der Videobereich ist der, wo die spannendsten Sachen passieren. Aber in Wien ist das immer noch nicht anerkannt. In Wien gibt es eine Spaltung von Kinokultur und von Videokultur. Und noch einmal von Alternativmedienkultur und von Experimentalfilmkultur, die sehr elitär ist, extrem konservativ. Da wurde Film analog zur großen Kunst gedacht. Der frühere Leiter vom Filmmuseum sagte etwa, ein Film von Godard komme ihm nicht ins Haus."

Ein Schwerpunkt des mikrokino-Programms liegt auf der Selbstverständigung politischer AktivistInnen miteinander, auf schneller Information von unten. Wenige Wochen nach den heftigen Protesten in Seattle, Prag, Genua liefen Videos der AktivistInnen im mikrokino. Bilder, die weder im Fernsehen, noch in Kinos je zu sehen sind. "Diese Art Videoaktivismus ist eigentlich mit ‚Showdown in Seattle' ans Tageslicht getreten. Seither verbindet sich unser Programm immer wieder mit den aktuellen Ereignissen. Besonders spürbar war das 2000, beim Antritt der schwarzblauen Regierung. Allerdings hat diese Form von Straßenkampfberichterstattung auch recht enge Grenzen."

Nach einer ersten Welle von direkten Antiregierungsvideos organisiert das mikrokino mit Blick auf die immer-noch-schwarzblaue Regierung kontinuierlich Abende zur Geschichte des Nationalsozialismus. "Da gibt es viele Lücken. Wie Klaus Theweleit sagt: Die Tradition generationenlangen Wegschauens führt zu Behinderungen des Sehens. Es ist ganz offensichtlich, welche Filme fehlen: kein großer Film über Mauthausen, keine systematischen filmischen Untersuchungen über Zwangsarbeit oder über die Kontinuität der NS-Eliten." Ein Forschungsschwerpunkt von kinoki liegt in der Geschichte eines "Kinos von unten". Angeregt von den Erfahrungen Willi Münzenbergs in Deutschland haben auch in Österreich Ende der 1920er Jahre Überlegungen zur Verwendung von Film als politischem Mittel eingesetzt. Die zwei großen sozialistischen Propagandafilme des "Roten Wien" - Rossaks "Mr. Pims Europareise" und Bergers "Die vom 17er Haus" waren bereits im mikrokino zu sehen.

Das mikrokino ist immer Film mit Diskussion.
"Oft denkt man, es reicht nicht, einfach nur Filme zu zeigen, sondern man muss weiter gehen, auch wirklich Effekte produzieren, die kommunistisch sind im Sinne einer anti-hierarchischen, nicht ausbeuterischen, globalen, libertären Gesellschaft. Wir haben z.B. einmal einen englischen Film gezeigt, in dem es um Todesfälle in Polizeigewahrsam gegangen ist und wo wir auch Gäste hatten aus Österreich, die dann über Omofuma gesprochen haben. Da stellt sich die Frage, was tun wir morgen, was unternehmen wir da? Und dann ist es aber doch nur ein Filmabend. Natürlich landen wir am Schluss bei der Idee, einen Film, ein Video über die Ermordung Omofumas zu machen. Auch ein Film, der sehr fehlt in Österreich. Oder eine Filmreihe: Zusammen mit Hirut Kiesel, Karim Duarte und Anna Kowalska haben wir das Programm ‚Filme, die wir nicht sehen können' für die Diagonale zusammengestellt. Andererseits ist die Utopie vom Kino, dass das Kino das Leben ändert, dass die Leute rausgehen und andere Menschen sind, dass das Kino mehr ist als Kino, dass es die Wahrnehmung von Leben betrifft, wie keine andere Form. Auch der Mainstream, die ständige Bestrahlung durch Hollywood und die Fernsehform formatiert ja Leben, beeinflusst Wünsche, Lebensstile, Utopien. Das umzudrehen, darum geht es uns."

Peter Grabher sagt "wir", obwohl er es eigentlich ziemlich alleine ist, der das mikrokino organisiert, betreibt, programmiert und bewirbt (übrigens ausschließlich per E-Mail: Bei mikrokino@kinoki.at kann man die Einladungen bestellen). Zum einen ist das mikrokino allerdings inzwischen auch ein sozialer Raum mit Stammgästen, die die Diskussionsmöglichkeiten ausgiebig nützen, zum anderen hat sich auch ein Netz von BilderwissenschaftlerInnen und -produzentInnen um das mikrokino gespannt, die mit Anregungen, Wünschen, Hinweisen und ihren Filmen zum Programm beitragen. "Wir möchten ein Sensorium sein, für das, was in der Luft liegt. Die Leute kommen auch und wollen dies oder jenes sehen oder zeigen. Es gibt ja einen großen Reichtum an Sachen, die kaum einmal wo zu sehen sind. Die meisten Kinos hängen einem engen Begriff von Aktualität an. Wir haben eher einen benjamin’schen Begriff von Aktualität, d.h. wir versuchen sozusagen, Stummfilmkino und die Bilder vom 11.9. zusammenzudenken, statt nur heurige Filme zu spielen, wie die meisten Programm-Kinos. Aktuell sind Bilder, weil man sie zum Denken eines heutigen Problems brauchen kann, nicht weil sie heute gemacht wurden."

Längerfristig soll das 7*STERN nicht der einzige Ort des mikrokinos bleiben. Peter Grabher freut sich über jede Initiative, Teile des Programmes an anderen Orten zu spielen. So soll ab Herbst im Spielboden in Dornbirn ein mikrokino entstehen. Zum anderen will mikrokino auf Sendung. "Ins mikrokino kommen 30 bis 100 BesucherInnen, je nach dem. Die kunst-stücke, wurden, bevor sie vom ORF abgedreht wurden, an schlechten Abenden von 30.000 Leuten gesehen. Das sind bei weitem mehr, als wir in den letzten fünfeinhalb Jahren erreicht haben. Insoferne wäre ein kinoki-Sendeplatz, z.B. im Offenen Kanal - wenn der Offene Kanal denn wirklich offen sein sollte - schon wünschenswert. Im TV kann man Streu- und Zufallseffekte erzielen. Solche Effekte kann ich natürlich mit unserer kleinen Reihe nur schwer erreichen: Man kennt das aus der eigenen Biografie, man ist 12 oder 14 Jahre, sitzt zu Hause, schaut fern mitten in der Nacht und sieht etwas, was man nicht mehr vergisst."


Die Zitate stammen aus Gesprächen, die Ruth Kaaserer, Almut Rink und Tina Leisch mit Peter Grabher geführt haben. Dank an Ruth Kaaserer und Almut Rink.


Tina Leisch ist Film- und Textarbeiterin, lebt in Wien.

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