Kinderlose Kultur? Die Herausforderungen der Vereinbarkeit

Die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit im Kunst- und Kulturbereich mit Betreuungspflichten ist unter den gegebenen Voraussetzungen schwer bis nicht möglich. Die schlechte Betreuungslage trifft Menschen in atypischen Verhältnissen, wie sie vor allem im Kulturbereich vorherrschen, besonders stark. Eigentlich gäbe es zu der Frage längst eine politische Mehrheit – aber getan hat sich wenig die letzten Jahre. Nun könnte wieder Bewegung in die Sache kommen.

Kinderbetreuung Vereinbarkeit Kunst Kultur

Die Lage in Österreich ist getrost als Betreuungsnotstand zu bezeichnen. Arbeit ist für viele Menschen nicht mit dem Betreuungsangebot vereinbar. Der absolute Großteil der Familien ist aber schlicht auf zwei Einkommen angewiesen. Eine qualitätsvolle flächendeckende Kinderbetreuung stärkt die Entwicklung der Kinder sowie der Eltern und zuletzt auch die Wirtschaft. Die Politik ist gefordert, Maßnahmen zu setzten, um eine qualitätsvolle, umfangreiche Kinderbetreuung sicherzustellen – nicht nur für Kunst und Kultur sondern für alle, deren Arbeitsrealitäten dies erfordern! Das Betreuungsangebot ist schlecht ausgebaut und deckt vielfach nicht einmal den Bedarf bei regulärer Vollzeitbeschäftigung ab. Die Arbeitsrealitäten in Kunst und Kultur sind zudem vielfältig, zumeist geprägt durch intensive Arbeitsphasen, atypische Arbeitszeiten (abends, nachts und Wochenenden), hohen Mobilitätsanforderungen und diskontinuierliche, teils schwer planbare Tätigkeiten unter großem Konkurrenzdruck bei geringem Einkommen und der verfestigten Erwartungshaltung, auf Abruf stets flexibel zur Verfügung zu stehen und alles dem Beruf unterzuordnen, der gemeinhin als Selbstverwirklichung verstanden wird. „Das kann man sehr gut auch an den Statistiken ablesen,“ so Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur: „Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung haben in Kunst und Kultur tätige viel seltener Kinder. Das hat zum einen wesentlich mit dem fehlenden Betreuungsangeboten zu tun und zum anderen mit den Strukturmerkmalen, die für Tätigkeiten in Kunst und Kultur einfach ganz kennzeichnen sind.“

Der größte Kindergarten ist leider die Politik: Vor Jahren wurde der Anspruch auf qualitätsvolle Kinderbetreuung aus rein politischem Kalkül blockiert, obwohl es dazu eine breite Basis gäbe. Die Kindergartenmilliarde würde über so viele Jahre aufgeteilt, dass davon keine ernstzunehmende Verbesserung zu erwarten ist. Dabei gäbe es bereits eine Mehrheit für eine flächendeckende Kinderbetreuung . Über Parteigrenzen stimmen Politiker_innen zu – sogar die Industriellenvereinigung, ÖGB, Arbeiterkammer und WKO fordern unisono eine Umsetzung. Denn immer weniger Menschen bekommen Kinder, weil es schlicht zu teuer und aufwendig ist, die Arbeit mit den Betreuungspflichten zu vereinbaren. Es gibt für die Politik keine faulen Ausreden mehr - wer Kinderbetreuung vernachlässigt, verspielt die Zukunft des Landes. Und für uns ist klar: Kinder sind keine Kosten, sondern eine Investition in diese Zukunft!

Im Kulturbereich gibt es noch einige strukturelle Hürden, wenn es um die Vereinbarkeit von Betreuungspflichten der beruflichen Tätigkeit geht. Die Studie zur Sozialen Lage drückt aus, dass Menschen im Kulturbereich noch weniger Kinder kriegen, da aufgrund atypischer Beschäftigungen der Spagat zwischen Arbeit und Familie kaum zu schaffen ist. Eine Studie zu Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Film Fatal und L+R Sozialforschung liefert weitere detaillierte Erkenntnisse. Laut Claudia Wohlgenannt sind die Hauptprobleme mangelnde Planbarkeit bei projektbasierter Arbeit, überlange Arbeitszeiten gerade am Abend und am Wochenende sowie die oft prekäre Einkommenssituation, bei gleichzeitig schlechtem Betreuungsangebot. "Die Ergebnisse waren nicht überraschend. Es hat sich einfach gezeigt, dass das Problemfeld vielfältig ist, aber das kann man jetzt hiermit auch nachweisen und haben es jetzt schwarz auf weiß", so Wohlgenannt über die Studie zur Vereinbarkeit.

Deshalb hat die IG Kultur letztes Jahr eine "AG Kinderbetreuung Kunst/Kultur" gestartet, um Probleme zu sondieren, mögliche Lösungen zu besprechen und Forderungen an die Politik auszuformulieren. Die AG bestand aus Kulturtätigen verschiedener Sparten und Bereiche aus dem freien Kulturbereich. Entstanden ist daraus ein Forderungspapier, dass die schlechte Betreuungslage kritisiert, eine Reihe an Maßnahmen vorschlägt und die Politik zum Handeln auffordert. Die Arbeitsanforderungen in Kunst und Kultur sind mit den Betreuungsanforderungen nicht vereinbar – Arbeitszeiten lassen sich nicht an die Öffnungszeiten von Betreuungsangeboten anpassen. Es braucht einen Rechtsanspruch auf qualitätsvolle Kinderbetreuung – denn nur so kann die Politik dazu bewogen werden, Angebote auszubauen und auf eine Vielfalt an Maßnahmen zu bauen, die den verschiedenen Lebenssituationen gerecht werden.

In Konsequenz muss auf informelle, familiäre oder private Betreuungsnetzwerke zurückgegriffen werden, so es diese gibt bzw. diese leistbar sind. Und selbst wenn dies die Situation etwas abmildert, sind Betroffene dennoch regelmäßig an der Belastungsgrenze. Das trifft Frauen am stärksten, die laut Studie sozialer Lage im Kulturbereich wesentlich häufiger kinderlos bleiben. Mangelnde Kinderbetreuung drängt Frauen nämlich in Teilzeit, sie erleiden durch die Karenz bereits berufliche Nachteile (nur 4% der Männer nimmt Karenz in Anspruch, weniger als 1% der Männer geht sechs Monate oder länger in Karenz) und die stärkere Belastung in den Folgejahren führt zu weiteren wesentlichen Karriere- und Einkommenseinbußen. Familiäre und informelle Lösungen verlagern die Belastung, private Lösungen sind in einem Arbeitsfeld, in dem so viele Menschen mit einem geringen Einkommen auskommen müssen bzw. von Prekarisierung betroffen sind, selten leistbar. Die schlecht ausgebaute institutionelle Betreuung in Österreich trifft Menschen, die keine klassische Arbeitssituationen haben, wie jene im Kunst- und Kultursektor somit umso schwerer. "Kinder sollten kein Hindernis sein, bei der Frage der Vereinbarkeit geht es auch um Teilhabe an der Kultur," stellt Lidija Krienzer-Radojević von der IG Kultur Steiermark klar.

Gefordert wird deshalb ein Rechtsanspruch auf qualitätsvolle umfassende Kinderbetreuung, Maßnahmen zur Verbesserung des Betreuungsangebotes, wie kostenlose Kindergärten, Ausbau der Nachmittagsbetreuung, 24-h Kindergärten in Ballungsräumen, kleinere Gruppengrößen, bessere Bezahlung des Personals, finanzielle Unterstützung bei privater Betreuung, sowie arbeitsmarktspezifische Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung, Anreizmodelle für Arbeitgebende für Vereinbarkeitsmaßnahmen, Verbesserung der Pensionsanrechnungszeiten, sowie Gender-Mainstreaming Maßnahmen, wie Bewusstseinsbildung, Förderung der Väterkarenz und Männern in SAGE-Berufen (SAGE= Soziale Arbeit, Gesundheit, Pflege,
Erziehung und Bildung; Kindergartenpädagoginnen sind 98% Frauen) und Maßnahmen, die auf die Vereinbarkeit spezifisch im Bereich von Kunst und Kultur abzielen, wie Anerkennung von Betreuungskosten als förderbare Kosten, Einrichtigung eines eigenen Budgettopfs, Abfrage von Fördermaßnahmen in Förderformularen, Arbeitsstipendien für Junst-Eltern, Ausweitung des Alleinerziehenden-Bonus, längere Planungshorizonte für Projekte und vieles mehr. 

 

Im Anschluss an die AG unterstützt die IG Kultur eine Petition, um die Politik zum Handeln aufzufordern: flächendeckende qualitätsvolle Kinderbetreuung jetzt! Hier könnt ihr die Petition unterschreiben!

 

 

 

Beitrag als Podcast

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