Migrantische Kulturarbeit: verqueeren? Politische Kulturarbeit von Migrantinnen abseits national festgelegter Räume

Viele der migrantischen Selbstorganisationen akzeptieren die Ordnungs- und Deutungsmuster der Mehrheitsgesellschaft nicht, werden aber durch die stillschweigende Ausgrenzung von einer Stellungnahme ausgeschlossen, wodurch eine Aushandlung im Rahmen eines Interessenskonflikts unmöglich gemacht wird.

Der Begriff „migrantische Kulturarbeit“ gewährt an sich noch keine Enthüllung der Konzepte „migrantisch“ oder „Kultur“. „Kultur“ wird von John Fiske als soziale Zirkulation von Bedeutungen definiert, von Pierre Bourdieu als ein Kampf um Bedeutungen, und für Niklas Luhmann ist „Kultur“ ein System der Unterscheidungen von Bedeutungen. Das Wissen aber über die unterschiedlichen Kulturkonzepte und die daraus folgenden Strategien unter den selbstorganisierten MigrantInnen ist immer noch nur sehr lückenhaft vorhanden. Über das Merkmal migrantisch wird migrantische Kulturarbeit klassifizierbar. Trotz Reduktion und Funktionalisierung, die aus dieser Markierung entstehen, liegt in diesem „Angesprochen werden“ auch eine Anerkennung ihrer Existenz und damit auch die Möglichkeit der Entwicklung von Strategien für eventuelle Handlungs- und Rezeptions(spiel)räume, die dieser Reduktion bzw. Funktionalisierung entgegenwirken können.

Wenn ich den Begriff „migrantische Kulturarbeit“ als klassifikatorischen Irrtum ansehe, als regulierendes und kontrollierendes Paradigma, dann könnte sich die Frage stellen: Für wen wurde dieser Begriff geschaffen? Andererseits könnte dieser Begriff auch als Ansatzpunkt für das Fassen widersprüchlicher Alltagshandlungen dienen; für die Entwicklung und Repräsentation eigener Haltungen, Einstellungen und Auffassungen, abseits einer Unterordnung unter vorgegebenen Konzeptualisierungen – als die Möglichkeit des Kampfes, des Widerstands und der Veränderung. Es geht also nicht um das bloße „für“ und „wider“ von Begrifflichkeiten, sondern um die Frage, warum und aufgrund welcher Konzeptualisierungen Kategorien, die an sich fragwürdig sind, zusammen gedacht und ausgesprochen werden.

Antirassismus und Kulturarbeit

Zwar werden im Rahmen verschiedenster Kulturarbeiten häufig rassistische Mechanismen und Wirkungsweisen produziert, jedoch werden diese gerne geleugnet. Sie werden anhand herrschender Stereotypen und Klischees mittels (bildlich) umgesetzter Topoi, Metaphern und ausgewählter Stilmittel erzeugt. Eine der möglichen Aufgaben im (migrantisch-)antirassistischen Zugang zu bereits bestehenden Kulturarbeiten ist es, nicht offensichtliche, visuelle und für Rassismen konstitutive Beziehungen aufzuzeigen und ihnen im Sinne einer Selbstermächtigung entgegenzuwirken. Unterschiedliche Machstrukturen bedingen in der Kulturarbeit auch unterschiedliche Artikulationsmöglichkeiten und Wahrnehmungen – sowohl auf der Seite der Dargestellten als auch der der ProduzentInnen und Rezipierenden.

Auf der Homepage der IG Kultur Österreich ist ein Antirassistisches Positionspapier zu finden, in dem politische Kulturarbeit konzeptualisiert und die Etablierung des Politischen Antirassismus als integraler Bestandteil der Kulturarbeit formuliert wird. Und damit auch eine unverwechselbare Fachidentität, die sich von anderen Formen der Kulturarbeit abgrenzt. Mit diesem Positionspapier wird implizit konkretisiert, welche Bereiche migrantischer Kulturarbeit aus der Kulturarbeit im Sinne einer politischen Kulturarbeit ausgeschlossen werden – so ist etwa Folklore tabu.

Auch in der politischen Kulturarbeit besteht eine Grundkonstruktion an Gruppenzuweisungen – die Definition der Eigengruppe, von der in den Alltagsdiskursen die Identifikation der Anderen ausgeht. Das gilt für die Mehrheitsgesellschaft wie auch für die so genannten Minderheiten. Entscheidend ist eine Ordnung, die es ermöglicht, auch Herrschaft auszuüben. Diese Ordnung wird von jenen vorgegeben, die für sich in Anspruch nehmen, die wahren VertreterInnen für das Kollektiv zu sein. Die Autorisierung ihrer Vertreterschaft und ihrer Repräsentation ist wiederum dadurch gegeben, dass die Angehörigen der Minderheit das Ordnungs- bzw. Deutungsmuster der sog. politischen Elite fraglos akzeptieren (vgl. Wakounig 1999). Merkmale, die u.a. auch politische Kulturarbeit konstituieren, werden immer exklusiver und komplexer. Damit wird auch der Prozess, mit dem Aussagen der (politischen) Kulturarbeit über die (politische) Kulturarbeit gemacht werden, für migrantische Selbstorganisationen immer schwerer fassbar.

Viele der migrantischen Selbstorganisationen akzeptieren die Ordnungs- und Deutungsmuster der Mehrheitsgesellschaft nicht, werden aber durch die stillschweigende Ausgrenzung von einer Stellungnahme ausgeschlossen, wodurch eine Aushandlung im Rahmen eines Interessenskonflikts unmöglich gemacht wird. Wie kommen migrantische Selbstorganisationen dazu, ihre Lebens- und Kulturpraxen im Rahmen eines vorgegebenen Konzepts zu leben? Ist eine gute Portion Aufklärung nötig, damit sie erkennen, dass die Art und Weise, wie sie ihre Beziehung zu den (rassistischen) Verhältnissen leben, gar nicht in ihrem Interesse liegt (vgl. Räthzel 2000)? Was könnte die Anziehungskraft der dominanten Interpretationsangebote für die migrantischen Selbstorganisationen sein?

(Anti-)Heteronormative Diaspora

Diaspora bezieht sich tendenziell auf eine Vielfalt nationaler und staatlicher Räume und kann, wie Puar (2005) annimmt, Dynamiken der Reterritorialisierung in Gang setzen, indem sie nationalistische Kategorien auf transnationalen Wegen wiederholt. Diese in der Diaspora reproduzierten Diskurse sind so gut wie immer auch heteronormativ. In der Mehrzahl der über 500 MigrantInnenvereine bzw. migrantischen Selbstorganisationen in Wien, in denen die Arbeit von den Mitgliedern auch als Kulturarbeit verstanden wird, wird von national, kulturell und stillschweigend auch von heteronormativ bestimmten Räumen ausgegangen. Nicht-heteronormative migrantische Subjekte sind nicht repräsentiert in den patriarchalen und heterosexuellen Konfigurationen der Diaspora. Und doch müssen DIE MigrantInnen undifferenziert als „das revolutionäre migrantische Subjekt“ herhalten, wobei doch bekannt ist, dass sich revolutionäre Subjekte in der Geschichte immer schon ihrer Rolle entzogen bzw. diese nicht erfüllt haben.

Die Vielfalt der stattfindenden kulturellen Produktion in migrantischen Selbstorganisationen bedingt die Vielfalt der sich mit ihnen befassenden Zugänge. Eine Reduzierung auf wenige Zusammenhänge ermöglicht auch eine Beherrschung, eine Monopolisierung der eigenen Positionen, Haltungen und Einstellungen.

Abschließend möchte ich zwei Beispiele politischer Kulturarbeit von Migrantinnen abseits national festgelegter Räume herausgreifen, die antirassistisch, anti-diskriminatorisch, anti-heteronormativ und ermächtigend wirksam geworden sind und in ihrer Prozesshaftigkeit immer noch Aktualität besitzen. Die Feministischen Migrantinnen Wien und die Lesbischen Migrantinnen haben durch eine u.a. queere Lesart von Migrationsprozessen versucht, Verbindungen zwischen verschiedenen Repräsentationen queeren Begehrens und politischer kultureller Praktiken herzustellen. Das Besondere and diesen beiden Selbstorganisationen ist, dass es keine ausschließliche Community-Bindung gab. So gut wie alle waren bzw. sind in verschiedenen Communities verortet, was einen grundlegenden Unterschied zu migrantischen Selbstorganisationen ausmacht, die auf gemeinsamer Sprache, nationaler bzw. regionaler Herkunft basieren.

Das Manifesto von FeMigra Wien wurde 2003 von mehreren politisch engagierten Migrantinnen in einem ersten Entwurf verfasst. Das Manifesto ist ein offenes und dynamisches Forderungskonzept, das sich je nach Bedürfnissen und politischen Umständen verändert bzw. unendlich erweiterbar ist. Das Manifesto wurde als Mittel für politische Performancearbeit (u.a. bei Soho in Ottakring 2004) und als Arbeitsmaterial bei verschiedenen Seminaren und Workshops verwendet. Forderungen sind u.a.: Honorierung und Anerkennung der unbezahlten Wissensvermittlung von MigrantInnen; Anerkennung von Asyl für Schwule, Lesben, Transgender. Der FeMigra-Film „Was ist eine feministische Migrantin?“ (vorgeführt 2004 in der Wiener Secession bei einer Veranstaltung des ai-Netzwerks Frauenrechte) war ein Schritt in Richtung selbstermächtigender Repräsentation abseits national und damit auch heteronormativ bestimmter migrantischer Kulturproduktion.

Die Lesbischen Migrantinnen (LesMAus – Lesbische Migrantinnen in Austria) haben 2003 den Film „Stay – Geh“ über lesbische Migrantinnen gedreht, welcher u.a. in Wien vorgeführt wurde. Die Visualisierung und Translation in diesem Filmprojekt wirkte hin zu einer Selbstermächtigung und war ein Versuch, queere Diaspora abseits national definierter Räume zu lesen.

Anmerkung

Mit dem Begriff Ermächtigung beziehe ich mich in diesem Text auf die deutsche Übersetzung des Begriffs „empowerment“ und verwende ihn im Sinne von „an die Macht kommen, die Macht ergreifen“.

Literatur:

Fiske, John (1989/2000): Lesarten des Populären. Wien

IG Kultur Österreich: „Kulturarbeit und Politischer Antirassismus. Antirassistisches Positionspapier der IG Kultur Österreich“

Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Erster Teilband. Frankfurt/M.

Puar, Jasbir K. (2005): „Transnationale Sexualitäten. Südasiatische (Trans)-Nation(alism)en und Queer Diasporas“. In: Haase, Matthias/Marc Siegel/Michaela Wünsch (Hg.): Outside. Die Politik Queerer Räume. Berlin

Räthzel, Nora (2000): „Kultur und Ideologie. Der Nutzen von Cultural Studies und Ideologietheorie für die Rassismusforschung“. In: Berghold, Josef/Elisabeth Menasse/ Klaus Ottomeyer (Hg.): Trennlinien. Imagination des Fremden und Konstruktion des Eigenen. Klagenfurt/Celovec

Wakounig, Vladimir (1999): „Verstrickt in den eigenen Rassismus: Minderheiten in einer anderen Rolle“. In: Aluffi-Pentini, Anna/Peter Gstettner/Walter Lorenz/Vladimir Wakounig (Hg.): Antirassistische Pädagogik in Europa. Theorie und Praxis. Slowenische Jahrbücher. Klagenfurt/Celovec

Vlatka Frketic lebt und arbeitet in Wien

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