Kreativität des Spargels

Der kreativste aller Arbeiter Österreichs ist müde. Wolfgang Schüssel kann nicht mehr. Nicht weil es ihm an Kreativität fehlt, sondern vielmehr weil alle anderen inzwischen kreativ geworden sind.

Der kreativste aller Arbeiter Österreichs ist müde. Wolfgang Schüssel kann nicht mehr. Nicht weil es ihm an Kreativität fehlt, sondern vielmehr weil alle anderen inzwischen kreativ geworden sind. Kreative Arbeit in der österreichischen Politik ist keine Ausnahme mehr, kein Prärogativ des ingeniösen Individuums, kein Akt außerordentlicher Kühnheit, der sich dem versteinerten Opportunismus der österreichischen Gesellschaft und ihrer politischen VertreterInnen radikal widersetzt. Im Gegenteil. Die Kreativität ist die Regel, die Norm der politischen Tätigkeit in diesem Lande geworden. Sie stellt den allgegenwärtigen Opportunismus nicht in Frage, sondern ist seine eigentliche Form geworden, die Art und Weise, wie er sich unter den neuen ökonomischen und politischen Bedingungen reproduziert, wie er sich verdaulich, d.h. rational erklärbar und akzeptierbar macht.

Es ist nicht so lange her, dass uns Wolfgang Schüssel als absoluter Einzelgänger eine Lektion in Sachen politischer Kreativität gegeben hat. "Lektion" heißt hier, dass man aus seinem Tun lernen konnte und auch gelernt hat. Seine in der politischen Tradition Österreichs so seltene Risikobereitschaft, sein innovatives Denken, sein avanciertes Wissen, sein nonkonformistisches Handeln, seine moralische Flexibilität, seine kollektivbildende und subjektivierungsfördernde soziale Kompetenz, um nur die wichtigsten Eigenschaften aus dem Arsenal der kreativen Arbeit zu nennen, haben ihn nicht zum politischen Freak, sondern zum Trendsetter gemacht. Dadurch, dass er einer bisher auf der politischen Bühne unzumutbaren politischen Option an die Macht geholfen hat, zeigte er den Anderen sowohl in Europa als auch hierzulande den kreativsten Weg in die Zukunft. So wurde aus der politischen Subkultur ein Mainstream, aus der Abweichung eine Norm und aus Österreich eine Lehre.

Seitdem heißt es: Sei realistisch, bejahe das Verworfene! Das gilt nicht nur für die kärntner WählerInnen, sondern auch für die SPÖ. Wer jetzt vom rot-blauen Pakt in Klagenfurt überrascht wurde, hat offensichtlich Schüssels Lektion nicht gelernt. Im Unterschied zu Gusenbauer. Die ersten Symptome eines Kreativitätsanfalls hat er gar nicht versteckt. Man denke nur an das berüchtigte Spargelessen mit Haider. Dass uns diese politische Absprache ausgerechnet unter diesem Namen in Erinnerung geblieben ist, soll kein Wunder sein. Der Spargel spielte dabei sogar die wichtigste Rolle - die eines Fetisch-Objekts.

Bekanntlich dient ein Fetisch-Objekt vor allem dazu, die unerträgliche Ambivalenz - die gleichzeitige Annerkennung und Verleugnung einer Tatsache - zu beruhigen, stabilisieren, und zu normalisieren. Es macht möglich, dass im psychischen Haushalt eines Individuums zwei widersprüchliche, sich gegenseitig ausschließende Gefühlspositionen friedlich nebeneinander existieren, ohne dass man dabei psychotisch, d.h. wahnsinnig wird. Und tatsächlich. Die reale kärntnerische und als eine Bundesoption offen angekündigte Koalition mit Haider hat Gusenbauer nicht zum Wahnsinnigen, sondern zum kreativen Realpolitiker gemacht. Doch darüber sollten wir uns keine Sorgen machen. Es geht sowieso nur um den Spargel, nicht wahr.

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