Im Dickicht der Medienlandschaften

Der wesentliche Teil von Brüssels Kritik an der Organisation des ORF betrifft aber seine Finanzierung und die fehlende „Gewährleistung, dass rein kommerzielle Aktivitäten nicht von staatlichen Zuwendungen profitieren“

Mit Kosten von etwas weniger als einer Million Euro, meint ORF-Marketing- und Kommunikationschef Pius Strobl, ehemaliger Stiftungsrat der Grünen, sei die aktuelle Imagekampagne Am liebsten ORF vergleichsweise billig. Dieses bisschen Geld könnte zwar ebenso dafür verwendet werden, um die Produktion von zwanzig österreichischen Dokumentarfilmen wesentlich zu unterstützen – und dies wäre sicher auch nicht so schlecht für das Oscar ausgezeichnete Image gewesen –, aber die Entscheidung der Marketingabteilung war konservativ und eine scheinbar bewährte: Mit Fernsehspots, Inseraten und Plakaten will der Bevölkerung klar gemacht werden, was sie an ihrem guten, alten und vor allem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat. Das Volk hat aber anscheinend nicht genau hingesehen, nicht verstanden oder einfach souverän anders entschieden: Seit Beginn der Kampagne fallen die Quoten wieder und kontinuierlich weiter. Dieses Scheitern der ORF-Öffentlichkeitsarbeit symbolisiert auf mehrfacher Ebene die ambivalente Situation der Sendeanstalt. Einerseits will das Kronen Zeitung lesende Massenpublikum erreicht und ein hoher Marktanteil erzielt werden, um auch weiterhin das finanzielle Standbein durch Werbeeinnahmen zu halten; zusätzlich verpflichtet sich der ORF, festgelegt im ORF-Gesetz, aber auch zu Programmgrundsätzen wie „Qualität, Innovation, Integration, Gleichberechtigung und Verständigung“, eben zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags als Grundvoraussetzung, um Programmentgelte überhaupt einnehmen zu dürfen. Und genau in diese offene Wunde hat die EU kürzlich ihre Finger gelegt: Die Europäische Kommission (EK), Generaldirektion Wettbewerb, hat die „Vereinbarkeit des bestehenden Systems der Finanzierung des ORF mit dem Gemeinsamen Markt“ untersucht und daraufhin dem Staat Österreich einige Auflagen zur Modifizierung der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erteilt.

Wie der ORF in den Markt schreit ...

Nach Beschwerden des Verbandes Österreichischer Zeitungen und des Verbandes Österreichischer Privatsender hat die EK geprüft, ob es beim ORF wettbewerbsverzerrende Strukturen durch etwaige Quersubventionierung nicht öffentlich-rechtlicher Programminhalte gibt. Die Beschwerdeführer fühlen sich marktpolitisch benachteiligt – vor allem im Online-Bereich –, haben aber hauptsächlich Sorge um ihren Anteil am fetten Werbekuchen, der im Grunde der eigentliche Schlüsselfaktor in dieser Causa ist. Und so wie die Klagen eben von wirtschaftlichen Interessen motiviert waren, so hat auch die EU-Wettbewerbsbehörde in ihrem Urteil den Schwerpunkt auf Marktregulierung gesetzt. Ganz klar stellt die Kommission in ihrem an die Bundesregierung gerichteten Schreiben fest, dass die Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags Ländersache sei, gibt aber dennoch die dringende Empfehlung, diesen für neue Online-Angebote oder auch für das Sport-Spartenprogramm (ORF-SportPlus) zu präzisieren und dabei einen etwaigen „gemeinwirtschaftlichen Charakter“ herauszuarbeiten. Weiters kritisiert die EK, dass der ORF die Erfüllung des Auftrags nicht adäquat, also regelmäßig und unabhängig, prüfen würde. Der jährlich am 1. April dem Nationalrat vorgelegte „Lagebericht“, in dem bestimmte Unterhaltungs-Formate und Programme als öffentlich-rechtlich legitimiert werden (z.B. Wetten, dass... als „in der Fachwelt anerkanntes Unterhaltungsformat, teilweise mit Österreichbezug“ oder ein Fußballländerspiel, welches „das Interesse an aktiver sportlicher Betätigung“ fördern würde), genügt den europäischen Behörden nicht. Wohl auch deshalb nicht, weil die EU-Wettbewerbsbehörde dem ORF mehrmals eindeutig „einen staatlichen Charakter“ attestiert und die Absurdität dieser Situation der Selbstevaluierung erkannt hat. Die „Versorgung“ des ORF mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag (Versorgung, Programm- und besondere Aufträge) durch das ORF-Gesetz wird zwar von der Kommission anerkannt, eine konkretere Beauftragung der Online-Dienste, zukünftiger technischer Angebote wie Handy-TV und auch (europaweite) Ausschreibungen einzelner Aufträge werden aber vermisst. Interessante Potentiale gäbe es hier bei tatsächlich offenen Vergaben vor allem für die Freien Medien – im Sinne einer sicheren Grundfinanzierung durch Programmentgelte –, denn wer kommt dem Auftrag zur „Wiedergabe und Vermittlung von für die Allgemeinheit wesentlichen Kommentaren, Standpunkten und kritischen Stellungnahmen unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen“ am nächsten und das noch ohne schwerfälligen, kostenintensiven Apparat?

... so schreit es zurück!

Der wesentliche Teil von Brüssels Kritik an der Organisation des ORF betrifft aber seine Finanzierung und die fehlende „Gewährleistung, dass rein kommerzielle Aktivitäten nicht von staatlichen Zuwendungen profitieren“ würden. Also ganz im Sinne der privaten Konkurrenz wird von der Kommission eine potentielle Quersubventionierung festgestellt, werden „objektive und transparente Parameter“ zur Bemessung der Gebührenhöhe verlangt und vor allem wird die fehlende unabhängige Kontrolle von zwei getrennten Buchhaltungen (eine öffentlich-rechtliche und eine kommerzielle) gerügt. Dem österreichischen Staat wird Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht vorgeworfen und es werden konkrete Handlungen erwartet, um auf diese Missstände zu reagieren. Ganz zur Unfreude des Koalitionspartners ÖVP hat das dem Bundeskanzleramt unterstellte Ressort von Bundesministerin Doris Bures für Frauen, Medien und Öffentlichen Dienst, im Alleingang bzw. in „Koalition mit dem ORF“ (Franz Morak), auch relativ schnell verschiedene Vorschläge an die EU-Wettbewerbsbehörde übermittelt: Die gewünschte Erweiterung oder Konkretisierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags könne – ähnlich dem Verfahren in Großbritannien – durch einen mehrstufigen Prozess, der ORF-Programmmachende, Stiftungsrat und Bundeskommunikationssenat passiert, erfolgen. Der Senat als Rechtsaufsichtsbehörde soll auch mit der (nachträglichen) Prüfung der Gebührenhöhe und der Auftragserfüllung beauftragt werden. Die verlangte Kontrolle der getrennten Finanzkreise würde wiederum vom Rechnungshof vorgenommen werden. Insgesamt sind das sicherlich alles leicht mit der EK akkordierbare Modifikationen; um notwendige, längerfristige Reformen, die den ORF aus seiner misslichen Lage befreien könnten, handelt es sich hierbei allerdings nicht. Anscheinend will Österreich auch in dieser Angelegenheit keinen fortschrittlicheren, mutigeren Weg gehen, indem es z.B. einen geschützten Rahmen für öffentlich-rechtliche Medienarbeit skizziert, was etwa bedeuten würde, dass die gesellschaftlichen „Mehrwerte“ im Mittelpunkt einer Neuorganisierung der Medienlandschaft stehen und nicht kapitalkonforme Markt- und Kontrollregulierungen.

Und der faule Apfel selber?

Erst 2007 hat der ORF ein Kompetenzzentrum für Public Value gegründet, in dem Qualitätskriterien zur Konkretisierung des Auftrags, zur Selbstprüfung und für ein internes Leitbild entwickelt werden, die demnächst durch ein Public-Value-Handbuch auch der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Wenn der ORF-Generaldirektor in diesem Zusammenhang aber von „Neuland“ spricht, ist es unverständlich, warum der anglisierte, wissenschaftlich etablierte Begriff den herkömmlichen des „öffentlich-rechtlichen Auftrags“ ersetzen musste, wenn dann offensichtlich die eigene Geschichte, das eigene Gesetz, und vor allem die von vielen Seiten geäußerte Programmkritik, ignoriert werden. Da auch weiterhin im Kontext des Wettbewerbs gedacht und mit dem Slogan Erfolg durch Mehrwert das Beibehalten des Kurses zwischen Kommerz, Quote und Programmentgeltlegitimation angestrebt wird, lassen sich auch durch diesen prinzipiell positiven Prozess keine grundlegenden Reformen erwarten. Qualitätsinseln finden sich natürlich auch heute (noch) im ORF, wie z.B. das Vorzeigeprogramm von Ö1, jedoch für eine zukünftige, verantwortungsvolle Mediengestaltung, die ihren gesellschaftlichen Auftrag ernst nimmt und im Gegenzug dafür auch ernst genommen wird, müssten wesentlichere Reformen und Strukturänderungen vorgenommen werden. Eine schon seit Jahrzehnten immer wieder diskutierte Trennung von ORF 1 und 2 in einen öffentlich-rechtlichen und einen rein privaten Kanal wird von der derzeitigen ORF-Führung genauso abgelehnt wie von den Regierungsverantwortlichen. Das ORF-Projekt eines (dritten) rein öffentlich-rechtlichen Infokanals (durch Ausbau des bestehenden ORF-Spartenkanals TW1) könnte eventuell ein interessanter Ansatz zum Neuaufbau von qualitativen und kritischen Programminhalten sein, wobei hier geäußerte Befürchtungen einer politischen Machtkonzentration oder auch einer Unterdotierung und mangelnder Infrastruktur berechtigt erscheinen.

Und die andren Wälder?

In vielen europäischen Ländern prüft und mahnt die EU die Finanzierungssysteme der öffentlich-rechtlichen Sender. Die Reaktionen der einzelnen Staaten und Rundfunkanstalten sind verschieden und ohne konkrete Hintergrundinformationen der nationalen Medienökonomien auch schwer zu kommentieren. Beispielsweise plant Frankreich, komplett auf eine Co-Finanzierung durch Werbung zu verzichten und den Einnahmeverlust durch Steuern auf Werbeeinnahmen der privaten Sender und auf Mobiltelefonie und Internetnutzung zu kompensieren. Für Deutschland wird das EU-Verfahren vorläufig rückgestellt und abgewartet, bis die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen Public-Value-Test entwickelt haben. Bei dem schon im Jänner 2007 eingeführten Public-Value-Test der BBC handelt es sich eigentlich um ein Genehmigungsverfahren für neue Programmangebote inhaltlicher oder technischer Art. In einem mehrstufigen Verfahren wird einerseits der Mehrwert des Programms nach Kriterien wie Reichweite, individueller und gesellschaftlicher Relevanz, Nachwirkung, Qualität und Kosten analysiert, weiters beinhaltet der Test auch eine marktwirtschaftliche Prüfung durch die britische Regulierungsbehörde und öffentliche Konsultationen. Im ersten Public-Value-Test über neue on-demand-Services wurden über 10.000 Stellungnahmen sowie ausgleichende Meinungsforschung berücksichtigt, was die auch gesellschaftspolitische Brisanz dieser scheinbar wirtschaftlichen Angelegenheiten verdeutlicht. Alle Menschen, die Interesse an einer Entwicklung demokratischer, unkommerzieller Mediengestaltung haben und dabei aus den verschiedensten Gründen noch Hoffnung in die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten setzen, sollten sich in die momentanen Prozesse aktiv einmischen. Auch die EU müsste sich vermehrt an (ihren) ethischen Grundwerten orientieren, wenn sie nicht eine Medienlandschaft nach US-Muster haben und sich nicht vollkommen den Gesetzen der freien Marktwirtschaft aussetzen will.

Eva Simmler ist Kulturarbeiterin, Filmmacherin, Notstandshilfeempfängerin und Reisende.

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