Heart Punch: No one is illegal!

Bei jeder neu geplanten Flüchtlingsunterkunft, die in Österreich eröffnet werden soll, formen sich Bürgerinitiativen, die eben diese zu verhindern versuchen – was ihnen auch oft gelingt. Diese Situation führt dazu, dass Orte wie die Bundesbetreuungsstelle für Asylwerber in Traiskirchen zeitweise völlig überbelegt sind.

Bei jeder neu geplanten Flüchtlingsunterkunft, die in Österreich eröffnet werden soll, formen sich Bürgerinitiativen, die eben diese zu verhindern versuchen – was ihnen auch oft gelingt. Diese Situation führt dazu, dass Orte wie die Bundesbetreuungsstelle für Asylwerber in Traiskirchen zeitweise völlig überbelegt sind. Trotz oft vorgetragener Kritik an den Zuständen hat sich bis dato kaum etwas verbessert. Die dortigen Lebensumstände und ihre allgemeine politische Situation bewegten cirka 150 dort internierte Refugees dazu, einen Refugee Protest March von Traiskirchen nach Wien zu machen. In Wien wurde die Demo ungewohnt positiv aufgenommen, mehrere hundert Menschen zeigten sich solidarisch und schlossen sich der Demo an, so dass ca. 500 Leute im Sigmund Freud Park ankamen, wo schließlich das Refugee Camp entstand.

Dieses Camp sollte für mehr als vier Wochen Ausgangspunkt und Mittelpunkt für viele Aktionen, Diskussionen und Demos sein. Aus einer Gruppe vom untersten Rand der österreichischen Gesellschaft entwickelte sich eine durchaus selbstbewusste Gruppe von politischen Aktivist_innen, die es geschickt verstand, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, so dass ihre Anliegen in verschiedensten Bereichen der österreichischen Gesellschaft diskutiert wurden und immer noch werden. Die Reaktion des Staates ließ nicht lange auf sich warten – das Camp wurde in der Nacht des 28. Dezember unter Anwesenheit hochrangiger Polizisten zerstört. Woraufhin ein Teil der Refugees in der Votivkirche Schutz suchte. Der zuvor offene, bunte Begegnungsort des Refugee Camps wurde ersetzt durch ein kaltes, dunkles Kirchenasyl, alsbald abgesperrt von einem meterhohen Metalltor, zusätzlich bewacht von Caritas Türsteher_innen, ausgestattet mit Listen, wer rein darf. Es muss aber auch betont werden, dass ohne die Tolerierung der Kirche und die (für Caritas-Verhältnisse mutige) Positionierung das Refugee Camp zu diesem Zeitpunkt wohl geendet hätte. Mit dem Schutz des Kirchenasyls begann dort eine neue Phase des Protests, ein Teil der Refugees entschloss sich – desillusioniert von den politischen Entscheidungsträger_innen –, in den Hungerstreik zu treten. Mit dem Einzug in die Kirche änderte sich auch die Medienberichterstattung – sie wurde zunehmend negativer –, vor allem aus Unverständnis für den radikalen Schritt, in den Hungerstreik zu treten. Caritas und Kirche nutzten ab diesem Zeitpunkt ihre Macht geschickt aus und rissen mehr und mehr die Medienhoheit an sich. Den Refugees wurde dadurch vielfach Selbstverantwortung abgesprochen, indem behauptet wurde, sie würden von den Unterstützer_innen instrumentalisiert.

Nach etwa 50 Tagen Hungerstreik und dutzenden damit verbunden Rettungseinsätzen, wurde der Hungerstreik abgebrochen. In der ersten März Woche zogen die Refugees von der Votivkirche in das ehemalige Servitenkloster im 9. Bezirk um. Hoffentlich ein wieder offener Ort, wo eine bessere Zusammenarbeit von möglichst vielen Menschen möglich wird! Obwohl vier Wochen des Refugee Camp im beginnenden Winter stattfanden, sie mehr als zwei Monate in der eiskalten Votivkirche (inklusive Hungerstreik) verbringen mussten und die Polizei Menschenjagden vor der Kirche veranstaltete, nehmen die Refugees einen realen Platz im Stadtbild wie auch in den Medien ein und sind dadurch nach wie vor sichtbar und hörbar. Die Refugees haben bereits unglaubliches geschafft. Gegen die Festung Europa, Bewegungsfreiheit für alle Menschen! Join the movement:

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