Denn PolizeibeamtInnen und MigrantInnen sind auch Menschen... Über Multikulturalismus und Staatsgewalt.

„Die meisten PolizistInnen geben in den Fragebögen zur Vorbereitung auf unseren Lehrgang an, kaum oder nie privaten Kontakt mit ZuwanderInnen zu haben. Kaum ein/e MigrantIn oder ein Flüchtling hat zuvor entspannte, persönliche Begegnungen mit VertreterInnen der Exekutive gehabt.“

Vor ungefähr 4 Monaten wurde ich von einer alten Freundin während eines Interviews gefragt, ob ich der Meinung sei, dass das letztes Jahr erschienene Buch Tandem. Polizisten treffen Migranten. Literarische Protokolle ein aktuelles Beispiel für politische Literatur wäre. Ich sah mich gezwungen, die Frage mit einem Ja zu beantworten.

Reale Begegnungen zwischen PolizistInnen und MigrantInnen

Die literarischen Protokolle erzählen von realen Begegnungen zwischen PolizistInnen und MigrantInnen. Begegnungen, die im Rahmen eines Tandemprojektes stattfinden, welches wiederum ein Modul innerhalb eines bestimmten Lehrgangs bildet. Der Lehrgang heißt „Polizeiliches Handeln in einer multikulturellen Gesellschaft“ und wird seit sieben Jahren in einer Kooperation zwischen dem Internationalen Zentrum für Kulturen und Sprachen und der Sicherheitsakademie/BMI durchgeführt. Auf der Website des o.e. Instituts erfahren wir über das Ziel des Lehrgangs: „Mit dem Lehrgang (…) soll BeamtInnen, die in ihrem beruflichen Alltag häufig Kontakt zu MigrantInnen haben, die Möglichkeit geboten werden, ihre Erfahrung und ihr Wissen in Theorie und Praxis zu vertiefen und dieses zertifizieren zu lassen.“ izks Als Nachweis für die Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit und/oder Angemessenheit des Lehrgangs erklärt eine der Verantwortlichen für das Projekt: „Die meisten PolizistInnen geben in den Fragebögen zur Vorbereitung auf unseren Lehrgang an, kaum oder nie privaten Kontakt mit ZuwanderInnen zu haben. Kaum ein/e MigrantIn oder ein Flüchtling hat zuvor entspannte, persönliche Begegnungen mit VertreterInnen der Exekutive gehabt.“ (Gratzl/Hintenlehner/Langthaler 2006: 6) Das Konzept des Moduls „Tandem® – Lernen im Kulturkontakt“ „(…) besteht darin, einerseits Themen, die beide Gruppen beschäftigen, gemeinsam zu bearbeiten, anderseits Begegnungen auf persönlicher Ebene zu ermöglichen und zu fördern.“ (ebd.)

Verwerfungen des moralisierenden Antirassismus...

Das Buch und das darin präsentierte Projekt geht von zwei zentralen Annahmen aus: Die erste bezieht sich auf die Idee des Multikulturalismus als Weg zu einem friedlichen und nützlichen Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Lebensstile. Die zweite verkörpert die Überzeugung, dass die Gewährleistung eines spannungsfreien und friedlichen Zusammenlebens primäre Aufgabe der Polizei ist. Weichen manche PolizeibeamtInnen von diesem Ansatz in ihrem Umgang mit „Fremden“ ab, dann können sie durch persönliche Begegnungen mit MigrantInnen, bei welchen sie von den individuellen Lebensgeschichten, Erfahrungen, Weltanschauungen und vor allem von den Kulturen der jeweiligen MigrantInnen erfahren, ihre Haltung „korrigieren“. Ganz im Einklang mit den Ansätzen eines moralisierenden Antirassismus wird die strukturelle und gesellschaftliche Dimension des Rassismus ausradiert und der Glaube an die Lösung des Problems durch die Auseinandersetzung auf der persönlichen Ebene verbreitet.

Die Hauptbotschaft lautet: in jedem/r Fremden lebt ein Mensch, in jedem/r Polizeibeamten/in versteckt sich ebenfalls ein Mensch und sich auf diese herausfordernde Entdeckungsreise zu begeben, bedeutet die Eröffnung neuer Dimensionen des Verständnisses für die menschlichen Handlungen. So erzählt Herbert Langthaler im Vorwort zum Buch über die erleuchtende Wirkung seiner Erfahrungen als Mitarbeiter im Tandem®-Projekt: „Und wo früher Angst vor den ,fremden’ Männern in Uniform vorherrschte, wurde plötzlich ein Dialog möglich. (…) Als ich mich nach einem halbstündigen Gespräch über internationale Politik von einem Polizisten verabschiedete, der mir kurz zuvor bei der Räumung einer illegalen Straßenblockade einen Mantelknopf abgerissen hatte, mich ohne Groll verabschiedete, weil ich mir selbst die Möglichkeit gegeben hatte, einen Menschen kennen zu lernen (und dabei auch zu erfahren, dass er von seinem Vorgesetzten nach einem anstrengenden Nachtdienst zu einem Einsatz geschickt worden war), wurde mir klar, wie viel ich an den gemeinsamen Tandem®-Abenden von seinen KollegInnen gelernt hatte.“ (Gratzl/Hintenlehner/Langthaler 2006: 15)

...und Bereicherungen für den politischen Antirassismus

Um zurück auf die Frage zu kommen, ob dieses Werk als ein aktuelles Beispiel für politische Literatur in Österreich zu bewerten sei: Ja, das Buch erfüllt die Funktion der Verbreitung und der Legitimation der Idee des Multikulturalismus; das Projekt insgesamt bildet eine der perversesten Umsetzungen dieser Idee: die Humanisierung der Staatsgewalt!

Als unverbesserliche Optimistin versuche ich jedoch aus diesem – aus der Perspektive des politischen Antirassismus gesehen – reaktionären Projekts etwas herauszufiltern, das für AktivistInnen und Intellektuelle, die um eine Demontage der strukturellen Wurzeln des Rassismus bemüht sind, innerhalb der Reflexion und Planung weiterer strategischer Handlungen bedeutend und bereichernd sein könnte. Und dieses Etwas möchte ich hier in Form von zwei Fragen zum Ausdruck bringen: Welche Auswirkungen würde die Aufhebung der Annahme auslösen, dass die Mitwirkung von MigrantInnen als TandempartnerInnen in solchen Projekten ein Beispiel für die Instrumentalisierung rassistisch diskriminierter Personen zugunsten hegemonialer Kräfte darstellt? Wie soll die Kollaboration intellektueller MigrantInnen, die medial als Beispiel der Umsetzung längst formulierter Forderungen nach Partizipation und Anerkennung als AkteurInnen in Kultur und Medien fungieren, als AutorInnen im Rahmen des Buchprojektes analysiert werden?

Literatur

Dimitré Dinev, Erich Hackl, Alma Hadzibeganovic, Heinz Janisch, Vladimir Vertlib, Renate Welsh-Rabady und Christa Zettel: Tandem. Polizisten treffen Migranten. Literarische Protokolle. Hrg: Susanna Gratzl, Maria Hirtenlehner und Herbert Langthaler. Mandelbaum Verlag 2006

Rubia Salgado Mitbegründerin und Mitarbeiterin des Vereins maiz; Autorin, Aktivistin; Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich

Ähnliche Artikel

Walter Scott, Sandra Bland, Eric Garner, Trayvon Martin, Mya Hall, George Floyd - Das sind Namen von Menschen, die bei Amtshandlungen der Polizei in den USA durch rassistisch motivierte Gewalt ums Leben gekommen sind. Der Tod George Floyds hat aber auch in vielen anderen Ländern massive Proteste ausgelöst. Auch in Österreich waren über 50.000 Menschen auf der Straßn. Die haben aber nicht gegen Polizeigewalt in den USA protestiert. Auch in Österreich zeigt sich das Problem ganz ähnlich.
Regierungsprogramm, Kunst Kultur, Menschenrechte, Sozialpolitik, Frauenpolitik, Medienpolitik Das Regierungsprogramm hat 324 Seiten. Daraus ist für den Kulturbereich nicht nur das Kapitel Kunst und Kultur relevant, weil viele Entscheidungen aus anderen Ressorts in die Entwicklung des Sektors hineinspielt: Arbeits- und Sozialpolitik, Asyl- und Migrationspolitik, Menschenrechte, Frauenpolitik, Meinungs- und Pressefreiheit, die Entwicklung der Zivilgesellschaft und vieles mehr. Wir haben uns umgehört, wie verschiedene Bereiche, nämlich Kunst und Kultur, Soziales, Frauenpolitik, Migration und Asyl und freie Medien das Regierungsprogramm beurteilen und was sie erwarten. 
Stadtentwicklung, Kulturpolitik Was sind die Herausforderungen von Kulturentwicklung in urbanen Regionen? Hat die städtische Kulturpolitik überhaupt einen Plan oder reagiert sie nur und verwaltet. Gibt es eine Strategie? Gibt es Ziele? Wie soll das implementiert werden? Wie partizipativ sieht das ganze aus in der Kulturplanung? Und zu guter letzt, inwiefern spielt das Thema Migration und und das neue politische Klima dazu eine Rolle?</p <hr / Wir haben Player aus der Kulturpolitik, der