Zwischen Dialog, Selbstpräsentation und Ausgrenzung

Mit Schlagwörtern wie „interkultureller Dialog“ und „Kulturen verbinden“ haben sich die europäischen Kulturinstitute dem Zeitgeist angepasst, zumindest am Papier. In der Praxis dominiert die Selbstdarstellung.

Zur aktuellen Lage der internationalen Kulturpolitik. 

Mit Schlagwörtern wie „interkultureller Dialog“ und „Kulturen verbinden“ haben sich die europäischen Kulturinstitute dem Zeitgeist angepasst, zumindest am Papier. In der Praxis dominiert die Selbstdarstellung. Von der österreichischen Außenkulturpolitik werden ganze Regionen, wie der afrikanische Kontinent, ausgeblendet. Dies ist zumindest ehrlich, da die herrschenden Immigrations- und Visa-Regime ohnehin keinen gleichberechtigten Dialog erlauben.

Kultureller Dialog mit wem?

Die Proteste der Zivilgesellschaft in den Ländern Nordafrikas und der arabischen Welt haben eine Gemeinsamkeit: Kunst und Kultur waren eine der Hauptachsen der Revolten. In den letzten Monaten folgten in vielen EU-Ländern Diskussionen, wie die kulturelle Zusammenarbeit künftig gestaltet werden soll.

Die österreichische Debatte hingegen nimmt die Umbrüche noch kaum wahr und konzentriert sich auf den Donauraum und den Kaukasus. Interessant ist auch die geografische Verteilung der offiziellen Kulturinstitutionen. Von 30 österreichischen Kulturforen befindet sich nur eines auf dem afrikanischen Kontinent, nämlich in Kairo. Die rund 60 Bibliotheken in 27 Ländern befinden sich, ebenso wie die Kulturinstitute, schwerpunktmäßig in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, ein paar gibt es im Kaukasus und in Zentralasien. In Sub-Sahara Afrika ist die Kulturnation nicht präsent. Die wenigen Botschaften verfügen über ein Kulturbudget in der Größenordnung von ein paar Tausend Euro. Der marginalisierte Austausch lebt von der Privatinitiative einiger BotschaftsmitarbeiterInnen und vom persönlichen Engagement der KünstlerInnen.

Wozu arabischer Raum, wozu Afrika?

Die Umwälzungen im arabischen Raum und die leiseren Protestbewegungen in den Ländern Sub-Sahara Afrikas bieten eine Chance, einen Wandel der eingefahrenen Pfade in der Außenkulturpolitik einzuleiten.

Ausgangspunkt für den Austausch von internationalen Kooperationen mit Kulturschaffenden ist die künstlerische Neugier, also der Wunsch, sich auf andere künstlerische Produktionen und Kontexte einzulassen. Es gibt zumindest drei Ebenen, die den Kulturaustausch und die kulturellen Kooperationen mit dem arabischen Raum und Afrika aus europäischer Sicht – die Bedeutung von Kunst und Kultur aus „Südperspektiven“ wäre ebenso wichtig (beispielsweise die Kulturalisierung von sozialen Konflikten in Afrika), würde aber hier zu weit führen – relevant erscheinen lassen.

Rechtliche Ebene: Österreich hat 2006 das UNESCO-Übereinkommen zur Kulturellen Vielfalt unterzeichnet. Darin enthalten ist auch die Verpflichtung zur Kooperation mit den sogenannten Entwicklungsländern. Das Übereinkommen wurde vom Parlament ratifiziert, gilt daher für alle Akteure in Österreich und nicht nur für das Kunstministerium.

Inhaltliche Ebene: Afrika und der arabische Raum unterliegen drei Wahrnehmungsmustern. Zum Ersten dominiert bei beiden Regionen eine kolonial und neokolonial geprägte Fremdzuschreibung, die eigene Geschichtsschreibung wird weitgehend ignoriert. Zweitens dominiert oft ein ethnologischer Blick. Drittens neigen wir zur Homogenisierung des Kontinents, die der Vielfalt der Länder nicht gerecht wird.

Gesellschaftspolitische Ebene: Solche Bilder haben Rückwirkungen auf das Leben in Österreich, darauf, wie MigrantInnen wahrgenommen werden. Die weltoffene Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und künstlerischen Manifestationen können dazu beitragen, der Abschottung, Fremdenfeindlichkeit und Entsolidarisierung etwas entgegenzusetzen.

Aufgrund der ökonomischen Ungleichheiten gehen die Initiativen für den Dialog und damit der Inhalt meist von Europa aus. Eine Künstlerin in Afrika ist mangels lokaler Kunstförderung auf die europäischen Kulturinstitute und FreundInnen angewiesen. Das hat auch damit zu tun, dass die Kunstszenen der afrikanischen Metropolen mit Ausnahme von Johannesburg und Dakar international wenig sichtbar sind. Den KünstlerInnen bleibt nur die Option, nach Europa oder in die USA auszuwandern. Dieser Weg wird durch die restriktiven Immigrationsregime immer steiniger und teurer. Beispielsweise haben wenig finanzkräftige StudentInnen aus Entwicklungsländern aufgrund von bürokratischen Erfordernissen und hohen Studiengebühren kaum Chancen, in Österreich zu studieren. Zudem wurden die staatlichen Stipendienprogramme de facto eingestellt.

EU-Visakodex mit restriktiver Auslegung

Eine weitere zentrale Barriere stellt die österreichische Visapolitik dar. Mit dem seit 2010 gültigen EU-Visakodex wurde zumindest ein kleiner Schritt vorwärts gemacht. Deutsche und niederländische VeranstalterInnen betonen die Verbesserungen durch den Kodex, wie klarere Regeln oder die Einführung der europäischen Versicherungskarte für ausländische KünstlerInnen. Für österreichische VeranstalterInnen, die Gäste aus dem Globalen Süden einladen, hat sich noch wenig geändert. Das liegt einerseits am Umstand, dass es vor Ort kaum österreichische Botschaften gibt und daher andere Länder zuständig sind. Zweitens scheint Österreich den nationalen Handlungsspielraum, den der EU-Visakodex lässt, sehr restriktiv auszulegen. Beispielsweise haben die nationalen Behörden bzw. Botschaften bei der Mittelaufbringung für die Reisekosten bzw. der Bewertung der „Rückkehr-Bereitschaft“ relativ freie Hand. Dazu werden Einkommensbescheide, Kontoauszüge und/oder Steuernachweise verlangt. Junge KünstlerInnen im Globalen Süden verfügen meist über kein regelmäßiges Einkommen und noch seltener über ein eigenes Bankkonto. Arrivierte KünstlerInnen und WissenschafterInnen sehen oft nicht ein, warum sie ihre Einkommensverhältnisse einer europäischen Botschaft vorlegen sollen. Werden von österreichischen VeranstalterInnen alle Kosten übernommen, stellt sich die Frage, warum auch die Gäste ihre finanziellen Mittel offenlegen müssen.

Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind und die Risikobewertung positiv ausfällt, gibt es das Visum. Das ist allerdings keine Garantie für die Reise nach Europa. Das VIDC hat im Jänner einen Experten aus Ghana zu einer Migrationskonferenz eingeladen. Da der Wissenschafter auch Vorträge in Italien hielt, flog er von Rom mit einer anderen Fluglinie nach Ghana zurück. Die portugiesische TAP hatte ihn daher nicht auf der Rückflugliste und verweigerte den Flug nach Europa. Eine Band aus Nepal strandete in New Delhi. Die Airline hatte ihnen weder bei Ticketausstellung noch beim Abflug in Kathmandu gesagt, dass sie neben dem Schengen-Visum auch ein Transitvisum für London Heathrow brauchen. Die Band musste innerhalb von 24 Stunden Indien verlassen. Rasch musste ein Retourflug nach Kathmandu gekauft werden, der Europaflug für fünf Leute verfiel. Neue Flüge wurden gebucht, um zumindest einen Teil der Europatour zu retten.

Wien ist eine internationale Konferenzstadt, für ökonomisch benachteiligte PartnerInnen aus dem Globalen Süden sind Teilnahmen an Tagungen kaum mehr möglich, vor allem wenn der/die österreichische VeranstalterIn die Kosten nicht übernimmt. Bei einer Konferenz in Wien anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika 2010 meldeten sich rund 25 afrikanische TeilnehmerInnen an. Fünf waren ReferentInnen und vom Veranstalter bezahlt, wovon vier letztendlich in Wien eintrafen. Von den SelbstzahlerInnen schaffte es keiner.

Aufgrund der Komplexität wird VeranstalterInnen empfohlen, etwaige Fragen bereits im Vorfeld mit der Visa-Abteilung im BMeiA (abtiv2@bmeia.gv.at) zu klären. Erfahrungen zeigten, dass sich die Unterstützung in Grenzen hält. Die elektronischen Verpflichtungserklärungen sind ohnehin in den Polizeikommissariaten zu beantragen. Das Außenamt weist darauf hin, dass die Fachaufsicht für die Visa-Erteilung beim BMI liegt. Das heißt, letztendlich entscheidet das Innenministerium über mögliche Kulturkooperationen und Gastspiele!

Der EU-Visakodex enthält viele Kann-Bestimmungen, die auch liberal ausgelegt werden könnten. Beispielsweise ist für Personen, die immer wieder in den Schengenraum reisen, die Möglichkeit eines mehrjährigen multiply entry-Visums vorgesehen (maximal fünf Jahre). Und die Visagebühr von 60 Euro kann ermäßigt oder auf ihre Einhebung völlig verzichtet werden, wenn dies etwa der Förderung der kulturellen Beziehungen dient.

Offene, temporäre Kulturforen

„There is a big perception gap between how the Arab regimes define culture and how the artists, cultural workers and intellectuals define it“, formulierte der jordanische Künstler Samah Hijawi beim Symposion Cultural Dialogue after the Arab Spring, das anlässlich des XI. Europäischen Kulturkongresses 2011 in Barcelona abgehalten wurde. Damit spricht er eines der Spannungsfelder der offiziellen Außenkulturpolitik an. Es besteht eine große Differenz zwischen dem, wie RegierungsvertreterInnen und religiöse FührerInnen Kultur und Kunst definieren, und dem Zugang, den zeitgenössische KünstlerInnen, KulturarbeiterInnen und AktivistInnen haben. Der offizielle Kulturdialog läuft tendenziell Gefahr, sich in jener staatstragenden Welt zu bewegen, die von vielen Künstlerinnen als repressiv wahrgenommen wird.

An vielen Orten bleibt die Auslandskultur zudem mangels örtlicher Vernetzung innerhalb der expatriate communities und lokalen Eliten.

Es braucht daher Kulturforen und Institute, die weniger an den hermetisch gesicherten Botschaften, sondern vielmehr bei lokalen Kulturzentren angesiedelt sind. Die Nähe zur örtlichen Kunst- und Kulturszene eröffnet für eingeladene KünstlerInnen die Möglichkeit, die direkte Kontaktaufnahme mit den Kulturschaffenden vor Ort. Kulturattachés sollten eine kunstnahe Ausbildung vorweisen und entsprechendes Interesse am kulturellen Schaffen vor Ort haben. Es braucht die Freiräume, sich in die Kunstszene vor Ort einzulassen und entsprechende Netzwerke aufzubauen. Die Kenntnis der lokalen Kunstszene ist eine notwendige Voraussetzung für die kulturelle Zusammenarbeit. Programme sollten gemeinsam mit lokalen KuratorInnen entwickelt werden.

Längerfristige Beziehungen und Forschungsprogramme zwischen Institutionen ist der Vorzug gegenüber den isolierten, punktuellen Auftritten und Ausstellungen zu geben. Allianzen und Netzwerke mit lokalen Institutionen sollten gestärkt werden, um gemeinsam Kulturpolitiken zu formulieren und in den jeweiligen Heimatländern Druck auf Entscheidungsträger zu machen.

Die Einbindung von migrantischen KünstlerInnen in Schwerpunktsetzungen, Planung und Umsetzung von Kulturaustauschprogrammen ließe sich einfach bewerkstelligen. Zahlreiche KünstlerInnen mit Bezügen zum arabischen Raum und Afrika arbeiten in Österreich. Sie verfügen über Kenntnisse über die lokalen Kunstszenen, habe Kontakte zu kulturellen Einrichtungen und organisieren meist auf eigene Kosten ihre Reisen.

Mögliche geografische Schwerpunkte für die offenen Kulturforen könnten Partnerländer der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (Uganda, Mozambique, Burkina Faso, Äthiopien) sein oder Herkunftsländer von aktiven migrantischen Gemeinden in Österreich (etwa Ägypten, Nigeria, Ghana, Senegal).

Die Europäische Kommission organisierte 2009 ein Kolloquium mit 700 KünstlerInnen und KulturakteurInnen, darunter 40 Minister aus Europa sowie aus Afrika, Karibik und Pazifik (AKP Staaten). Die verabschiedete „Brüsseler Deklaration“ stellte eine Reihe von Forderungen zur Stärkung der künstlerischen Produktion, zum Ausbau des kulturellen Sektors und zum Austausch mit Europa auf. Zusammen mit dem UNESCO-Übereinkommen bietet die Deklaration eine gute Grundlage für weitere Diskussionen in Österreich.

Franz Schmidjell ist Mitarbeiter am Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC). Er betreut seit 15 Jahren Austauschprojekte und Kulturkooperationen mit Afrika.

Anmerkung

Eine Langversion dieses Artikels kann unter http://igkultur.at/medien/presse/internationale-kulturpolitik nachgelesen werden.

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