Urbane Konfliktzonen

„Have you ever squatted an airport“? Unter diesem Motto rief die Initiative Squat Tempelhof zur öffentlichen Massenbesetzung des gleichnamigen, seit Herbst 2008 leer stehenden Berliner Flughafens auf.

„Have you ever squatted an airport“? Unter diesem Motto rief die Initiative Squat Tempelhof zur öffentlichen Massenbesetzung des gleichnamigen, seit Herbst 2008 leer stehenden Berliner Flughafens auf. Da die Ankündigung bereits seit Monaten im Internet kursierte, fanden sich am 20.06.2009 nicht nur Tausende campingwillige AktivistInnen ein, sondern auch 1800 Uniformierte aus fünf Bundesländern, die das rund 500 Fußballfelder große Gelände mittels Wasserwerfern, Räumpanzern und Hundestaffeln letztlich auch zu verteidigen wussten. Der Schutz einer brachliegenden Wiese stand dabei über dem kollektiven Wunsch, die Freifläche für die Allgemeinheit zu öffnen und sich damit in die offizielle Stadtplanung einzumischen. Denn bisher lud der Berliner Senat lediglich zahlungskräftige InvestorInnen ein, ihre Vorstellungen von Luxuswohnungen und Büros für die Kreativwirtschaft umzusetzen. Der städtische Raum wird damit zur urbanen Konfliktzone, innerhalb derer sich die Linie privater Investitionen zunehmend auf Kosten der Öffentlichkeit verschiebt. Im Folgenden geht es daher um zwei konkrete Versuche des World-Information Institute, die öffentliche Debatte um eine neoliberale Umstrukturierung der Städte erneut anzustoßen und damit deren Umwandlung in konkurrenzfähige Metropolen zu hinterfragen.

Zonierung der Stadt

Dass der urbane Raum sich gerade in seinen Konflikten immer schon als ein sozial produzierter zeigt, stand im Zentrum der Ende Mai abgehaltenen Konferenz World-Information City in Paris. Dabei seien, wie der britische Soziologe John Urry gleich zu Beginn feststellte, die letzten Jahrzehnte durch eine ständig wachsende Mobilität von Menschen, Waren und Informationen geprägt gewesen. Angesichts zunehmender Energiekrisen und einem tief greifendem Klimawandel könnte sich diese Mobilitätsphase jedoch als ein kurzes Zwischenspiel des 20. Jahrhunderts herausstellen. Statt dem alten Traum von individueller Freiheit und grenzenloser Mobilität beobachten wir das permanente Anwachsen von urbanen Zonen, in denen heute schon ein Großteil der Weltbevölkerung lebt. Dabei sind es die globalen Städte, die als Knotenpunkte trans- und internationaler Datenströme neue Mobilitätsmuster ermöglichen. Diese ließen sich laut Saskia Sassen (siehe Interview in diesem Heft) entlang der binären Netzwerklogik von Ein- und Ausschluss analysieren, wobei die US-amerikanische Wissenschafterin betont, dass auch die oft übersehene Macht der Ohnmächtigen geschichtsmächtig werden kann. Die Stadt, welche sich auf Grund der neuen technologischen Regimes in ein disparates Feld individueller Handlungsspielräume verwandelt, bildet damit die Bühne für politische Auseinandersetzungen.

So sieht auch Stephen Graham, Professor für Humangeographie an der Durham Universität, in der heutigen Stadt das entscheidende Schlachtfeld eines permanenten, offenen und deterritorialisierten Krieges gegen Verbrechen, Drogen und andere städtische Bedrohungen. Gemeinsam mit dem militärisch-industriellen Komplex bildet die globale Stadt die Grundlage für eine neoliberale Hegemonie, deren Sicherheitsarchitektur durch eine zunehmende Entgrenzung von Zivilem und Militärischem gekennzeichnet ist. Gerade diese Implosion äußerer Grenzen in das Innere der Stadt schafft eine Vielzahl fragmentierter Räume, die sich durch neue, der Formation der Netzwerke entsprechende Ordnungssysteme weiter verfestigen. Denn durch die Fähigkeit von Netzwerken, nicht kompatible Knoten einfach auszuschalten bzw. dissidente Haltungen in die eigene Funktionsweise zu integrieren, wird die Zonierung der Stadt vorangetrieben und sozialer Wandel innerhalb der einzelnen Teilbereiche sowie der Austausch zwischen ihnen erschwert. Die in den Netzwerken einprogrammierten Ziele müssen daher offen gelegt und die ihnen zu Grunde liegenden Algorithmen sichtbar gemacht werden. Und hierzu könnten für Bruno Latour, dessen Vortrag den Schluss der Konferenz markierte, gerade die digitalen Technologien einen Beitrag leisten, indem sie die Idee der Gesellschaft als einer totalisierenden Entität hinterfragen und stattdessen eine prozessorientierte Neuzusammensetzung des Sozialen einfordern.

Städtische Grenzziehung

Technik und Wirklichkeit sind demnach sozial konstruiert, wobei sich die Produktion von urbanem Raum nicht zuletzt auf kulturelle Räume und die symbolische Inszenierung von Macht erstreckt. In dem neu erschienen Buch „Phantom Kulturstadt“ unternehmen daher 29 AutorInnen den Versuch, die Stadt als urbane Konfliktzone zu beschreiben. Das von Konrad Becker und Martin Wassermair herausgegebene Buch, welches zugleich die beim Löcker-Verlag erscheinende Reihe „Texte zur Kulturpolitik“ fortsetzt, spürt der herrschaftlichen Grenzziehung zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Sagbarem und Unsagbarem, zwischen Macht und Ohnmacht nach. Die Segregation städtischer Räume dient dabei der Einordnung in ökonomische Zusammenhänge und etabliert so die fortschreitende Dominanz neoliberaler Ordnung. Dass Sichtbarkeit in diesem Zusammenhang auch ein „Ringen um Anerkennung“ im internationalen Standortwettbewerb meint, zeigt der Text von Therese Kaufmann. Im Wettlauf um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt setzt damit eine „schleichende Privatisierung der Kulturpolitik“ (Monika Mokre) ein, wie an den Beispielen von Graz 2003 und Linz 09 ersichtlich wird. Im Zuge dieser „City Brandings“ (Siegfried Mattl) soll mit Ruhr 2010 eine weitere prosperierende Metropole entstehen, wobei „die Kulturalisierung des urbanen Marketings vor allem neue Qualitäten gouvernementaler Verhältnisse hervorbringt“ (Martin Wasermair). Jedoch ermöglichen die „Nischen im Flickenteppich“ (Felix Stalder) der Kulturstadt auch eine Unsichtbarkeit, die notwendig ist für das Wuchern von Differenz, Experiment und Dissens.

Die „Phantome der Stadt“ (Konrad Becker) bewegen sich also in den Zwischenräumen der Stadt, um damit eine „Performance der Alltagspolitik“ (Tom Waibel) zu betreiben. Diese „Politik des Experimentierens“ hat dabei ganz eigene „Entfesslungsträume des individuellen Stadtlebens“ (Ewen Chardronnet) hervorgebracht, die wiederum die Kreativindustrien auf den Plan riefen. Dass Wien hier trotz einer langen Tradition der „Selbsterwichtigung“ (Christian Höller) nur ein Beispiel unter vielen ist, betont der Artikel von Elisabeth Mayerhofer. Die Netzwerke der Cultural and Creative Industries (CCI) haben nämlich nicht nur prekären Arbeitsformen Vorschub geleistet, sondern auch „wissensbasierte Innovations- und Produktionsentwicklungsprozesse“ hervorgebracht. Die urbanen EinzelunternehmerInnen teilen dabei jenen libertären Geist, der von Anfang an die neuen Kulturtechnologien umwehte und den Staat allmählich zu einer Funktion des Marktes werden ließ. Die urbanen Kämpfe zeigen sich als weitgehend „postsoziale Kämpfe“ (Boris Buden), da mit der neoliberalen Hegemonie auch die Gesellschaft als repräsentierbare Totalität verschwunden ist. Der Kampf um die Umstrukturierung der Stadt findet somit in einer verschwindenden Gesellschaft statt. Und angesichts dieses Umstandes plädiert Mike Davis für „eine Rückkehr zu explizit utopischen Vorstellungen“, um ein Mindestmaß an menschlicher Solidarität in einer zunehmend instabilen und durch Krisen bedrohten Welt zu gewährleisten. Denn erst die Vorstellung „alternative[r] Strukturen von Akteuren, Praktiken und sozialen Beziehungen“ beinhaltet für ihn die Möglichkeit, den gegenwärtigen sozioökonomischen Strukturierungen zu entfliehen.

Urbane Utopien

In Zeiten des Umbruchs galten Städte immer wieder als Orte von Träumen und Utopien, von Campanellas Sonnenstadt bis hin zu den futuristischen Zeichnungen eines Hugh Ferris. Und so scheinen architektonische und städteplanerische Großprojekte gerade in jüngster Zeit wieder Konjunktur zu haben: sei es die chinesische Planstadt Lingang oder die Waterfront City in Dubai, sei es New Songdo in der Nähe von Seoul oder Graz-Reininghaus. Eben dorthin lud Ende 2008 die InvestorInnengruppe Asset One zu einer Fachtagung für WissenschafterInnen, ArchitektInnen, IT-SpezialistInnen, StädteplanerInnen und selbsternannte VertreterInnen der Digitalen Bohème, um gemeinsam über die mögliche Nutzung der 540.000 Quadratmeter großen Fläche nahe der Grazer Innenstadt zu beraten. Dass die „Next City“ eine Siedlung für Kunst- und Kulturschaffende, Kreative und Intellektuelle werden soll, stand dabei ebenso fest, wie die Vorstellung, diese am Computer zu planen und mit Hilfe von Betondruckern zu bauen. Denn je phantastischer die Visionen sind, desto eher werden Investitionsgelder angelockt, um damit bestimmte Bereiche der Stadt in exklusive Räume zu verwandeln. Das bedeutet komfortables Wohnen und Arbeiten für jene, die es sich leisten können, während der Rest aus den neuen Lifestyle-Quartieren verdrängt oder gar nicht erst hereingelassen wird.

Mit dem vermeintlichen Aufstieg der „Kreativen Klasse“ verknüpfen sich zudem neue Subjektivierungsweisen, die in ihrer Vielfalt und Mehrdeutigkeit den Anforderungen der westlichen Informationsgesellschaften entsprechen und damit der Verwertungslogik einer kognitiven Marktwirtschaft gerecht werden. Jedoch bilden sich so auch wieder neuartige Subjektivitäten heraus, die zur Voraussetzung kultureller Innovationen werden könnten. Denn erst durch die Entgrenzung bestehender Milieus entsteht die Möglichkeit für neue soziale Praxen und damit zur Produktion von Raum selbst. Eine städtische (Kultur-) Politik müsste sich diesen urbanen Subjektivierungsweisen annehmen und ihr Potenzial als neuartige Experimentierfelder anerkennen. Anstatt also lediglich das kulturelle Erbe zu vermarkten und die selbst bestimmte Einmischung in die Stadtentwicklung als Bedrohung wahrzunehmen, müssen die städtischen Ressourcen für eine kollektive Wunschproduktion freigemacht werden, um damit neue Ideen und Konzepte für die Zukunft der Städte zu erarbeiten. In Tempelhof sollte ein solches Zeichen gesetzt und die Besetzung selbst schon als Prozess größerer Freiheit erfahrbar werden. Würde nämlich den bereits bestehenden und neu hinzukommenden Praxen urbaner Verwandlung Raum gegeben, vermag auch die Stadt wieder abzuheben.

ZITAT I
Mit der Konferenz World-Information City in Paris und dem gerade erschienen Buch „Phantom Kulturstadt“ versucht das World-Information Institute, die öffentliche Debatte um eine neoliberale Umstrukturierung der Städte erneut anzustoßen und damit deren Umwandlung in konkurrenzfähige Metropolen zu hinterfragen.

ZITAT II
Anstatt lediglich das kulturelle Erbe zu vermarkten und die selbst bestimmte Einmischung in die Stadtentwicklung als Bedrohung wahrzunehmen, müssen die städtischen Ressourcen für eine kollektive Wunschproduktion freigemacht werden, um damit neue Ideen und Konzepte für die Zukunft der Städte zu erarbeiten.

Literatur:

Becker, Konrad/Wassermair, Martin (Hrsg.): Phantom Kulturstadt. Texte zur Zukunft der Kulturpolitik II. Wien: Löcker. 2009

World Information
Tempelhof

Clemens Apprich ist Promotionsstudent der Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Ähnliche Artikel

Rund um Raum brodelt es, wenn es um Kunst- und Kulturarbeit geht. Neben der Frage des Zugangs zu Ressourcen (inklusive Geld) und der Anerkennung geleisteter Arbeit, ist die Frage des Zugangs zu Raum genauso wichtig. Denn Raum bietet eine fundamentale Grundlage für viele (die meisten) Aspekte unseres Schaffens. Das Finden, Erhalten, Betreiben und Nutzen von Raum sind in der freien und autonomen Kulturarbeit Dauerthemen. 
Wie wirken sich das Berliner Modell der Honoraruntergrenzen für Künstlerinnen und Künstler auf Kulturveranstalterinnen und -veranstalter aus? Wie haben bei der ufaFabrik, einem kollektiv verwalteten Kulturzentrum in Berlin nachgefragt. Ein Gespräch mit Frido Hinde, Geschäftsführer des „Internationalen Kulturcentrum ufaFabrik“ und Mitglied der ufaFabrik Gemeinschaft.
Kulturarbeit ist Arbeit und sollte auch als solche entlohnt werden. Mindeststandards der Entlohnung fehlen jedoch weitgehend, auch wenn die öffentliche Hand fördert. In Berlin gibt es seit 2014 Honoraruntergrenzen, die von Politik und Verwaltung explizit gefördert werden. Warum setzt sich die Verwaltung dafür ein? Wie sieht das in der Praxis aus? Und wie wird das finanziert? Ein Gespräch mit Nora Gatewood-Kurz (Kulturabteilung des Berliner Senats) über Honoraruntergrenzen aus Perspektive der Kulturverwaltung.