Supermarkt und Sonnenpyramide. "Kulturpolitik" in San Juán Teotihuacán, Mexiko

Als im Jahr 2002 in Oaxaca im Südwesten Mexikos eine McDonald’s-Filiale eröffnet werden sollte, gab es Proteste über die Staatsgrenzen hinaus. Die Eröffnung der Fastfood-Filiale im von kolonialer Architektur geprägten Zentrum der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates konnte verhindert werden. Aus Kreisen des Instituts für Grafische Künste (IAGO) kursierte damals ein Mobilisierungsplakat, das auf einer Fotomontage den charakteristischen gelben Doppelbogen des Fastfoodkonzerns auf den Ruinen von Monte Albán zeigte. Unter dem Bild stand zu lesen: "Die nächsten Filialen". Die Satire wird – wie so oft – von der Realität überholt.

Als im Jahr 2002 in Oaxaca im Südwesten Mexikos eine McDonald’s-Filiale eröffnet werden sollte, gab es Proteste über die Staatsgrenzen hinaus. Die Eröffnung der Fastfood-Filiale im von kolonialer Architektur geprägten Zentrum der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates konnte verhindert werden. Aus Kreisen des Instituts für Grafische Künste (IAGO) kursierte damals ein Mobilisierungsplakat, das auf einer Fotomontage den charakteristischen gelben Doppelbogen des Fastfoodkonzerns auf den Ruinen von Monte Albán zeigte. Unter dem Bild stand zu lesen: "Die nächsten Filialen". Die Satire wird – wie so oft – von der Realität überholt. Was den von olmekischen, zapotekischen und mixtekischen Einflüssen geprägten architektonischen Überresten in der Nähe von Oaxaca erspart blieb, geschieht jetzt den gigantischen Überbleibseln der Hochkultur von Teotihuacán. Auf dem Gelände der größten bislang ausgegrabenen altindianischen Stadt Mesoamerikas hat das größte Einzelhandelsunternehmen der Welt eine Filiale errichtet: Die Supermarktkette Wal-Mart.

Das Terrain der Superlative ist dabei nicht nur geografischer und finanzieller Art. Auch symbolpolitisch haben die bereits ausgeführten Pläne des US-Multis einiges zu bieten. Der Wirtschaftsriese setzt sich mit dem neuen Geschäft in die Tradition der spanischen Konquistadoren, die ihre barocke Kirchenpracht nicht selten mit den Steinen und an die Stellen der zuvor zerstörten indigenen Kultstätten errichteten. Indem der Konzern sich von den 1.958.201 Quadratkilometern des mexikanischen Territoriums ausgerechnet jene paar aussucht, die zu einer der wichtigsten archäologischen Fundstätten des Landes gehören, setzt er ein ähnliches kulturelles Zeichen wie mit seiner internen, auf eine "vergemeinschaftende Personalpolitik" setzenden "Unternehmenskultur". Der mit mehr als einer Million Angestellten größte Arbeitgeber der USA wütet insofern gleich auf verschiedenen kulturellen bzw. kulturpolitischen Terrains. Ob ihm deshalb aber allein auf diesen Ebenen widerständig beizukommen ist, muss fraglich bleiben. Eine Protestbewegung jedenfalls artikulierte sich auch in Teotihuacán und um die Ruinen herum.

Gespalten zeigt sich dabei – ebenfalls kaum überraschend – die parlamentarische Linke. Denn während sich einige Abgeordnete der auf Bundesebene in der Opposition befindlichen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) vehement auf die Seite der KritikerInnen schlagen, gehört Guillermo Rodríguez Céspedes, der für die PRD das Bürgermeisteramt von San Juan Teotihuacán ausübt, zu den BefürworterInnen des Neubaus. Weniger verwunderlich hingegen waren die Genehmigungen durch den Gouverneur des Bundesstaates Mexiko, Arturo Montiel (PRI), und die Zentralregierung von Präsident Vicente Fox von der konservativ-klerikalen Partei der Nationalen Aktion (PAN). Ihre Zustimmung gab ebenfalls die Behörde, die die Ruinen verwaltet: Das Nationale Institut für Archäologie und Geschichte.

"Stadt der Toten". Die Ruinen

Teotihuacán liegt etwa 50 Kilometer nordöstlich von Mexiko-Stadt. Die archäologischen Stätten sind in drei Zonen aufgeteilt, in deren bedeutendster Zone A jährlich Zehntausende von TouristInnen die gigantische Sonnenpyramide und die nicht weniger beeindruckende Mondpyramide besteigen. Im 8. Jahrhundert nach der Zeitenwende brach die Kultur von Teotihuacán aus ungeklärten Gründen zusammen. Schon für die nachher dort lebenden TolmekInnen und AztekInnen waren die Ruinen ein verlassener Ort mit mythischer Bedeutung. Als die Spanier 1519 hier vorbeizogen, war die Stadt vollständig mit Erde bedeckt. Ausgrabungen begannen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und machten recht bald klar, dass hier eine Hochkultur existiert hatte. Die Stadt hatte bereits vor 350 n. Chr. Ausmaße von 20 Quadratkilometern und war damit größer als das damalige Rom. In ihrer Blütezeit (350–650 n.Chr.) lebten geschätzte 200.000 Menschen in Teotihuacán, die in regem kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit anderen Zentren standen, u.a. mit dem einige hundert Kilometer entfernt liegenden Monte Albán. Heute leben etwa 35.000 Menschen in San Juán Teotihuacán. Die Ruinen selbst sind nicht nur als heilige Stätte oder historisches Monument zu betrachten, sondern – wenn in Betracht gezogen wird, dass es erst die bürgerliche Kultur des 19. Jahrhunderts war, die mit der Autonomisierung des künstlerischen Feldes die Trennung der Gattungen Architektur, Skulputr etc. vollzog – auch als Kunst im öffentlichen Raum.

Dass die "Stadt der Toten" nun von einem der miesesten Ausbeutungsschuppen der Welt bebaut worden ist, kann auch als kleiner Etappensieg im Krieg um die Zeichen gelesen werden. Mit dem Ort, an dem – wie die Mythologie sagt – "die Menschen zu Göttern werden", haben die Konzernoberen im Verbund mit der politischen Klasse Mexikos ein perfektes Plätzchen gefunden, um ihrer Ideologie des ökonomischen Sachzwangs und des natürlichen Laufs der Dinge, der Straßenhändler durch Discounter und Kultur durch Konsum ersetzt, ein Mahnmal zu bauen.

"Walmatisierung". Der Konzern

Der Wal-Mart-Konzern hat auf jeden Fall das Zeug dazu, als Inbegriff des neoliberalen Kapitalismus zu gelten. Als größtes Einzelhandelsunternehmen in den USA, Kanada und Mexiko kontrolliert er die Märkte und verfügt über ein nicht geringes Machtpotenzial über Produzenten und Zulieferer, KonsumentInnen und nicht zuletzt über PolitikerInnen. Der Jahresumsatz von 256 Mrd. US-Dollar erreichte 2003 fast das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz (und überstieg das vieler anderer Staaten). Mit riesigen Einkaufszentren in ländlichen Gebieten, gebaut auf günstigen Grundstücken und geführt von billigen Arbeitskräften, hat der Konzern bereits im Mutterland diverse lokale Arbeitsmärkte vernichtet. Die "Walmatisierung" des Arbeitsmarktes droht laut New York Times (15.11. 2003) Tausende von AmerikanerInnen in die Armut zu stürzen oder hat dies bereits vollbracht. Die schlecht bezahlten MitarbeiterInnen werden auf ein Gefühl der "subjektiven Zugehörigkeit" zur großen Wal-Mart-Familie eingeschworen, während gewerkschaftliche Organisierung nicht geduldet und aktiv bekämpft wird. Seit 1995 gab es allein in den USA 70 Klagen gegen den Konzern wegen anti-gewerkschaftlicher Aktivitäten. Schier endlos ist die Liste der Klagen über sexistische und rassistische Diskriminierungen in den ca. 5000 weltweit existieren Wal-Mart-Geschäften. In Mexiko existieren 687 Filialen in 71 Städten (Stand: Dezember 2004), eine davon in der Zone C der archäologischen Stätte von Teotihuacán.

Die Genehmigung durch das staatliche Institut für Archäologie und Geschichte (INAH) erfolgte auf der Grundlage eines zwanzig Jahre alten Gutachtens, das die besagte Zone für durchaus bebaubar erklärt. Sollte es während der Bauarbeiten wider Erwarten doch zu Funden kommen, so war vereinbart, die Arbeiten zu unterbrechen und die Pläne zu ändern. Wie allerdings einzelne Bauarbeiter der Tageszeitung La Jornada anvertrauten, waren sie angewiesen worden, mögliche prähispanische Spuren zu verwischen und Gegenstände verschwinden zu lassen. Nicht möglich war das offenbar mit einem 80 cm breiten und 25 cm hohen Altar, der nun hinter Plexiglas auf dem 8000m2-Parklatz des Supermarktes zu bewundern ist. Diese Art der Kulturpflege war aber nicht der einzige Anlass für die vielfältige Protestbewegung, die seit Monaten gegen Wal-Mart mobil macht.

Indigene, Punks und KünstlerInnen. Die Bewegung

Angeführt wird die Bewegung gegen die Wal-Mart-Filiale von der "BürgerInnenfront zur Verteidigung des Tals von Teotihuacán". Aber nicht nur AnwohnerInnen und KleinunternehmerInnen haben sich organisiert, auch Intellektuelle wie die SchriftstellerInnen Elena Poniatowska und Homero Aridjis und die Künstler Luis Cuevas und der schon in Oaxaca aktive Francisco Toledo gehören zur Protestbewegung. Punks aus Mexiko-Stadt mobilisieren ebenso gegen Wal-Mart wie ehemalige ArbeiterInnen des Unternehmens und vor allem Indígena-Initiativen aus ganz Mexiko. In einer Stellungnahme von Wal-Mart Mexiko heißt es hingegen lapidar: "Die einzige Opposition gegen unser Geschäft kam von einer kleinen Gruppe von Kaufleuten, die die Konkurrenz fürchten und versuchen, unsere Pläne aus ihren eigenen Interessen heraus in Misskredit zu bringen".

Im Widerstand lassen sich grob drei Argumentationen unterscheiden: Die erste richtet sich gegen die Vernichtung des kulturellen Erbes von Teotihuacán als spirituelles Zentrum der indigenen Bevölkerungen, denen heute noch etwa zehn Prozent der mexikanischen BürgerInnen zugerechnet werden. Die u. a. von der "Nationalen Pluralen Indigenen Versammlung für die Autonomie" (ANIPA) geäußerte Befürchtung, die kosmischen Strömungen der Ruinen würden durch einen Supermarkt in ihrer Nähe zerstört werden, mutet vielleicht zunächst etwas esoterisch an. Zum einen klagt sie jedoch die Anerkennung "anderen", von der Kolonisierung zerstörten Wissens ein, dessen Legitimität vor dem Hintergrund einer 500 Jahre währenden, gewaltsamen Modernisierung kaum bestritten werden kann. Teotihuacán wurde erst mit Verweis auf die architektonische Einheit zwischen Landschaft und Bauwerk von der UNESCO zum Kulturerbe der Menschheit erklärt. Dass man nun von der Sonnenpyramide aus nicht nur die Berge, sondern auch den Wal-Mart sieht, hat natürlich auch etwas mit Kultur zu tun. Zum anderen wird sie im Kontext des Kampfes um die Erhaltung der Biodiversität vorgetragen, der angesichts der aktuell z.B. über Patentierungen indigenen Wissens betriebenen Politik transnationaler Konzerne an vielen Orten Mexikos keineswegs anachronistisch daherkommt. Der zweite Argumentationsstrang zielt allgemeiner auf die Unterminierung der Präsenz indigener Gemeinden und damit auf ein zentrales geschichts- und kulturpolitisches Thema (nicht nur) in Mexiko. Denn mit der Missachtung der prähispanischen Traditionen wird nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte der Nation ausgelöscht, sondern auch die Diskriminierung der gegenwärtig in Mexiko lebenden, als indigen Klassifizierten betrieben. Dass das "kulturelle Erbe der Nation" keineswegs nur aus tourismuskompatiblen Steinhaufen, sondern aus gegenwärtig sozial und politisch exkludierten Menschen besteht, darauf hat nicht zuletzt der Aufstand der Zapatistischen Befreiungsbewegung um die Guerilla EZLN im Süden des Landes aufmerksam gemacht. Die auf Einbeziehung aller Ausgeschlossenen zielende Parole der Zapatistas, "Nie mehr ein Mexiko ohne uns", wurde in Teotihuacán so gesehen ganz handfest niedergebaut. Beide Argumentationen bergen dennoch die Gefahr, über den Bezug auf das "nationale kulturelle Erbe", das Vorkolumbianische als indigene Essenz festzuschreiben.

Dagegen richtet sich u.a. der dritte Argumentationsstrang, der als typisch globalisierungskritischer bezeichnet werden könnte. Er richtet sich gegen die Zerstörung der lokalen Wirtschaftsstrukturen, insbesondere der Arbeitsplätze. Dass die Schaffung der läppischen 180 Stellen, die der Konzern anführt, die Vernichtung von unzähligen anderen mit sich bringen wird, dafür gibt es ebenso viele Beispiele von anderen Einkaufszentren in aller Welt. Zumindest ökonomisch gesehen hat hier die typische Entgegensetzung des "guten Lokalen" gegen das "böse Globale" auch durchaus seine Berechtigung.

"Kulturelles Erbe der Nation". Die Kulturpolitik

Dass neben den politischen Entscheidungsträgern auch die VertreterInnen des INAH dem Bauvorhaben zugestimmt haben, gibt der Debatte eine zusätzliche, handfest kulturpolitische Dimension. Das INAH versichert auf der extra eingerichteten Homepage http://proteccionteotihuacan.inah.gob.mx, dass der Schutz des nationalen Kulturerbes gesichert sei. Die Indigenen von der ANIPA hingegen machen in ihrer Deklaration vom 28.10. 2004 auch den INAH-Generaldirektor Sergio Raúl Arroyo García für dessen Zerstörung verantwortlich. Demgegenüber betont die linke Schauspielerin Ofelia Medina, die BeamtInnen des INAH würden nicht entscheiden, sondern nur verwalten. Und der Schriftsteller Carlos Montemayor hält die Angriffe gegen das INAH gar für ein Ablenkungsmanöver, das die Kritik an den wirklichen Verantwortlichen vernachlässige, den Ministern für Wirtschaft, Umwelt, Energie, Agrikultur und nicht zuletzt am Präsidenten selbst. Dass der Präsident als ehemaliger Coca Cola-Manager US-Konzernen nicht gerade feindlich gesonnen ist und sich für kulturpolitische Fragen nicht sonderlich interessiert, ist allgemein bekannt. Der Kunstkritiker Fernando Gálvez nennt Fox Quesada daher auch den ignorantesten Präsidenten, den Mexiko je hatte, weil er sich nicht für den Erhalt des kulturellen Erbes der Nation einsetzte.

Die jenes kulturelle Erbe verwaltende Institution ist allerdings keine unbedeutende Klitsche, sondern verwaltet alle 128 archäologische Zonen in 26 (von 32) Bundesstaaten. Was ein abschlägiger Bescheid aus der Behörde bewirkt hätte, ist sicherlich spekulativ. Ein aktuelles Gutachten hätte da womöglich einiges bewirken können, ebenso wie die Bezugnahme auf die bestehende Gesetzeslage. So existiert beispielsweise das "Gesetz über archäologische, künstlerische und historische Gebäude und Zonen". Auf dieses bezogen sich die PRD-Abgeordneten Inti Muñoz Santini und Rafael Candelas Salinas in ihrer Pressekonferenz (15.10. 2004), auf der sie die Baugenehmigung als Gesetzesbruch anprangern. Sie befinden sich damit freilich im Gegensatz zu ihrem Parteigenossen vor Ort, der als Bürgermeister ebenfalls seine Unterschrift gab. Und dass sich mit dem Gesetz über die historischen Orte einiges anfangen lässt, hatte zuletzt noch die Landesregierung von Oaxaca bewiesen. Kurz vor dem Nationalfeiertag im September hatte sie Indígena-AktivistInnen, die vor dem ("historischen") Regierungspalast eine Mahnwache errichtet hatten, durch knüppelschwingende Polzeihundertschaften räumen lassen. Auch dies war unter der bewilligenden Aufsicht eines INAH-Vertreters geschehen. Es ist letztlich keineswegs eindeutig, was überhaupt ein "nationales kulturelles Erbe" ist und was damit geschehen soll und nicht geschehen darf. Ein Gesetz jedenfalls, dass die Inanspruchnahme eines 24000m2 großen Areals innerhalb einer archäologischen Stätte durch einen Supermarktbau erlaubt, während es die etwa 40m2 für ein Zelt und ein paar Transparente auf einem ohnehin öffentlichen Platz abzureißen gestattet, ist offensichtlich politisch interpretierbar. Als "kulturelles Erbe" nur Gebäude, Plätze und deren Reste zu betrachten, rekurriert letztlich auf einen etwas antiquierten Kulturbegriff, der die lebendigen Auseinandersetzungen mit Traditionen, gegenwärtigen Praktiken, Ritualen und Symbolen ausschließt. Angesagt wäre es also, einem anderen Verständnis von Kultur zur Durchsetzung zu verhelfen. Und zwar einem Kulturverständnis, das es sowohl unmöglich macht, kulturelles Erbe in Kubikmetern zu messen oder nach touristischen Kriterien zu bewerten, als auch als Grundlage für die Vertreibung von Indigenen zu missbrauchen, die für ihre Rechte protestieren.

Der Kampf um diese Durchsetzung kann kaum von staatlichen Institutionen wie dem INAH ausgehen. Notwendig dazu sind politische und gesellschaftliche Initiativen, reflektierte soziale Bewegungen, die sich anhand konkreter Kämpfe wie dem geschilderten auch um die Veränderung ihrer eigenen Grundlagen bemühen. Der Fokus auf das "nationale kulturelle Erbe" müsste dann nicht nur hinsichtlich seines Kulturbegriffes, sondern auch in Bezug auf das andere Adjektiv erweitert werden: Die UNESCO-Formel vom "kulturellen Erbe der Menschheit" gibt da zumindest schon eine Richtung vor, die theoretisch vielleicht nicht so leicht von nationalen Eliten verwaltet werden kann. Konkret hieße das, sich neben den erwähnten Argumentationen verstärkt auf transnationale Netzwerke zu beziehen und diese auszubauen. Im Falle Wal-Mart dürfte das, angesichts der Vielseitigkeit des Protests (www.walmartwatch.com, www.walmartvswomen.com u.a.), nicht schwer sein.

Ohnehin problematisch ist die Gegenüberstellung "nationales Erbe" vs. "ausländisches (sprich: US-amerikanisches) Kapital", denn ein von mexikanischen Kapitalisten erbauter Discounterklotz hätte geringfügig weniger Schaden angerichtet. Was ökonomisch angesichts der Abhängigkeit Mexikos vom US-amerikanischen Markt noch plausibel daher kommt, ist kulturell allerdings nicht unbedingt so eindeutig. Denn es ist zu einfach, "das Globale" mit bösem US-Kulturimperialismus und "das Lokale" mit guten eigenen Traditionen zu übersetzen. Weder sind die kulturellen Einflüsse aus den USA so einheitlich, ausschließlich schlimm und mit Gewalt durchgesetzt worden, noch sind die eigenen Traditionen bei allen dieselben, immer besonders toll und erhaltenswert. Zudem ist der Wal-Mart, wenn er auch auf kulturpolitischer Ebene aktiv und deshalb hier zu bekämpfen ist, keinesfalls als Inbegriff der US-Kultur zu betrachten. Der Bau auf dem Ruinengelände ist vielmehr arbeitsmarkt-, gesellschafts- und kulturpolitisch ein Meisterstück des Neoliberalismus. Dazu gehört auch, dass die SozialdemokratInnen von der PRD sich in der Wal-Mart-Frage so gespalten zeigen. Diese anfängliche, d.h. sich angesichts sozialer oder kultureller Konflikte entzündende Zerrissenheit kann getrost als paradigmatisch für die parlamentarische Linke im Neoliberalismus angesehen werden. Auch hier gibt es den unternehmerfreundlichen, technokratischen Flügel, der meint, es sich für eine mögliche Präsidentschaft ab 2006 nicht mit US-amerikanischen Investoren verscherzen zu dürfen. Auf der anderen Seite ist ein Wahlsieg des beliebten Linkspopulisten und derzeitigen PRD-Bürgermeisters von Mexiko-Stadt, Andrés Manuel Lopéz Obrador, ohne die Stimmen der AktivistInnen aus den vielen sozialen Bewegungen des Landes kaum denkbar. Für den ehemaligen PRD-Abgeordneten und Autonomie-Theoretiker Gilberto López y Rivas repräsentiert Wal-Mart die ganze "Perversion und Unmenschlichkeit des neoliberalen Modells". Seine Folgerung ist so einfach wie eindeutig: "¡Boicot a Wal-Mart ya!". Dem nichts hinzuzufügen, kann trotz allem ein Anliegen von Kulturpolitik sein.


Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lebt als freier Autor in Wien.

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