„Eine angebotene Zigarette gewinnt das Herz (der Südländer) im Nu“[1]. Das „Projekt Migration“ in Köln.

Was denkt ein alteingesessener Kölner, wenn er von einer Reihe von Ausschnitten aus der Fernsehserie Tatort steht, auf denen ein Polizist gerade einen Asylwerber demütigt? Und was kommt ihm in den Sinn, wenn er an einem anderen Ort in Köln in einem offiziellen Schreiben an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung liest, dass die portugiesischen Arbeitskräfte mit „asiatischer“ oder „afrikanischer“ Hautfarbe „zurückhaltend“ angeworben werden sollen?

Was denkt ein alteingesessener Kölner, wenn er von einer Reihe von Ausschnitten aus der Fernsehserie Tatort steht, auf denen ein Polizist gerade einen Asylwerber demütigt? Und was kommt ihm in den Sinn, wenn er an einem anderen Ort in Köln in einem offiziellen Schreiben an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung liest, dass die portugiesischen Arbeitskräfte mit „asiatischer“ oder „afrikanischer“ Hautfarbe „zurückhaltend“ angeworben werden sollen? Kölnerinnen und Kölner gibt es wie üblich viele in Köln. MigrantInnen auch. Und die Geschichten von KölnerInnen und MigrantInnen trafen und überlappten sich im Rahmen der Ausstellung „Projekt Migration“ in Köln gleich an mehreren Plätzen: am Neumarkt im Kölnischen Kunstverein, am Rudolfplatz und am Friessenplatz in jeweils neueren, leer stehenden Gebäuden aus den sechziger Jahren, aus der Zeit des Beginns der permanenten Migration nach Deutschland und im Hotel Plaza, wo die besagte Arbeit von Gustav Deutsch über den Tatort zu besichtigen war. An diesen Orten auf insgesamt ca. 2.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche waren die Arbeiten und Ergebnisse von Bemühungen von insgesamt 50 KünstlerInnen und einer mir unbekannten Anzahl von wissenschaftlichen BegleiterInnen usw. zusammen gesammelt. Die Grundidee dabei war, sich interdisziplinär einem Bereich in den westlichen Gesellschaften zu nähern, der sonst eher für die Fremdenpolizei, SoziologInnen und HelferInnen für Objektivierungen aller Art reserviert scheint: dem Bereich der Migration – sich diesem Bereich zu nähern und womöglich seine Struktur zu verändern. Zu diesem Zweck hatte die deutsche Bundeskulturstiftung genug Geld frei und drei Hauptverantwortliche für deren Realisierung ausfindig gemacht: der Kölnische Kunstverein, DOMiT (das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland) aus Köln und das Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt/ Main.

Von künstlerischer Viel- und politischer Eindeutigkeit

In der Tat ließen sich die Ergebnisse sehen. Wir landeten in einem dichten Geflecht von Fotografien, Installationen, Filmen, Videos, offiziellen und privaten Briefen, Plakaten, Aufrufen usw., die alle insgesamt das vorgegebene Thema, nämlich das „Projekt Migration“ voran zu treiben versuchten. Sehr dicht und sehr klar war das alles. Auch dann, wenn ich gestehen muss, dass meine Erwartungen an diese Ausstellungen andere waren. In den Räumen trafen eine Fülle von Materialien, Dokumenten und Objekten auf die Fülle von teilweise aus diesen Materialien, Dokumenten und Objekten bestehenden Kunstprodukten. Für den ewigen Begleiter der Ausstellung über Migration, den beinahe obligatori- schen Koffer, hatten die KuratorInnen (Kathrin Rhomberg, Marion von Osten und Martin Rapp) eine sehr gelungene „Verkunstung“ in der Installation „Unikate, Sammlungsgruppen und Archiv“, entworfen von Christian Philipp Müller, gefunden. Zur Erinnerung: die Wiener, ähnlich ausgerichtete Migrationsausstellung „Gastarbajteri“ im Jahr 2004 verweigerte sich einer solchen Art von Objektivierung der Geschichte der MigrantInnen. Die Lösung, die seitens der AusstellungsmacherInnen in Köln präsentiert wurde, war spielerischer. Gleichzeitig aber deutete sie in die Richtung, die die ganze Ausstellung nahm. Es handelte sich hier um eine Kunstausstellung, und wer etwas anderes erwartet – zum Beispiel irgendeine Art von Konfliktinszenierung – wurde enttäuscht. Wer die Politik nicht als stattfindendes sondern nur als angedeutetes Moment erwartete, konnte dafür umso mehr an Außergewöhnlichem erleben. Somit kann für die ganze Ausstellung hier kritisch bemerkt werden, dass sie trotz deklarierter Tendenz zur Politik und Radikalität eine durch und durch interessante Kunstausstellung war. Dies wurde z.B. ersichtlich in der mangelnden Kontextualisierung von Dokumenten und deren Hineinwurf in eine kunsteigene Vieldeutigkeit. Außer kurzen Beschreibungen der Objekte waren in der Ausstellung kaum Texte, Überschriften, Zitate etc. zu finden. Die Ausstellung positionierte sich nur indirekt durch die Auswahl von Dokumenten und Kunstwerken, die für sich allein sprachen oder sprechen sollten. Alles blieb im Bereich des Vieldeutigen, was im Bereich der modernen Kunst ein gängiges Verfahren ist (die liberale Vorstellung dessen ist, dass jede/-r ZuschauerIn – glücklich um die Wiedergewinnung seiner/ihrer Individualität – seinen/ihren eigenen Zugang zu den Kunstwerken finden soll), was aber im Bereich des politisch verstandenen Antirassismus einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Dies aus dem einfachen Grund, weil es schon eine rassisierte Vorgeschichte, eine Wirklichkeit gibt, wir sozusagen in einem ganz bestimmten Diskurs uns befinden und diesen gleichzeitig auch bekämpfen – jedenfalls dem gegenüber weder indifferent sind noch sein können. Jede Verweigerung von Konfrontation und eindeutiger Kontextualisierung in diesem Bereich führt zur indirekten Bestätigung der vorherrschenden Sichtsweise. Die Vieldeutigkeit von Kunst ist ein kunstinternes Phänomen. Nun scheint entweder nicht verstanden worden oder nicht intendiert gewesen zu sein, dass bestimmte klare Positionierungen und Forderungen einen Platz finden müssen. Dabei bleibt uns natürlich die Frage, was damit in einem solchen Kontext passieren würde, weiterhin nicht erspart. Vergessen wir nicht, dass die Wiener Ausstellung „Gastarbajteri“ einen anderen depolitisierenden Effekt hatte, nämlich den, dass die dort ausgestellten Dokumente einfach Teil der an der Wand hängenden Kunstwerke wurden und umso leichter für jede/-n BesucherIn zu betrachten waren. Die so im Rahmen eines Kunstwerks kontextualisierten Dokumente, die im Mainstream als unerträglich galten und dort kaum als Bestandteil akzeptiert wurden, gelangten so ästhetisiert in eine spezifisch museale Öffentlichkeit, die wiederum kaum mehr mit den Kontexten der Kämpfe, aus denen diese Dokumente stammten, etwas zu tun hatte.

Von Kunstobjekten und den Dokumenten migrantischer Kämpfe

Im Gebäude des kölnischen Kunstvereins selbst war in der Ausstellung gleich am Anfang eines der wichtigen Dokumente der Migration, der Film „Inventur – Metzstraße 11“ von Zelimir Zilnik aus dem Jahr 1975, zu sehen. Zilnik war in der Ausstellung auch mit einem anderen Werk, „Kenedi nach zwei Jahren“, der Fortsetzung seiner früheren Arbeit „Kenedi se vraca kuci (Kenedi goes back home)“, vertreten. Und am 12.11.2005 gab es eine Premiere von seinem, im Auftrag von „Projekt Migration“ entstandenen Film „Europa Next Door“. Ein anderes sehr aufschlussreiches – und wahrscheinlich das politischste – Vorhaben von Zilnik, nämlich das Projekt „Non-Schengen Pavillon“, in dem er einen Raum entwarf, der als Spiegelbild der herrschenden europäischen Visaregimes hätte funktionieren sollen, stieß hingegen leider nicht auf das Wohlwollen der KuratorInnen. Die „Inventur“ gehörte genauso wie der Film „Sonderzügen“ (Raum: Friesenplatz) von Krsto Papic und der im öffentlichen Fernsehen nie ausgestrahlte Dokumentarfilm über den Streik von 1973 unter dem Titel „Pierburg: Ihr Kampf ist unser Kampf“ (Raum: Rudolfsplatz) zu den drei zentralen Punkten der Ausstellung. Um diese Film-Dokumente gruppierten sich die anderen Arbeiten in einer Reihenfolge, die einer kunstinternen Narration folgten.

So kam zum Beispiel die Arbeit „Türken in Deutschland“ von Candida Höfer aus den siebziger Jahren ziemlich prominent auf uns zu. Dass diese Arbeit nach all den Diskussionen in den letzten dreißig Jahren über die Macht der Bilder einfach so unkommentiert da stand, kann nur als eine Fehlleistung bezeichnet werden. Kann sein, dass dies ein „Dokument der Veränderung unserer Städte“ ist, wie die NZZ in einer Ausstellungsrezension es beschrieb, es ist aber vor allem ein Dokument dessen, wie die Mehrheitsangehörigen „die Türken“ als Gruppe schaffen, diese ethnifizieren, um sie schließlich als Objekt „unserer“ Betrachtung zu ästhetisieren. Die AusstellungsmacherInnen sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie dadurch in der kolonialistischen Tradition der Fremdenschau stehen. Unklar ist, warum eine Serie von Plakaten und Flugblätter über die verschiedenen Demonstrationen, Kämpfe in Richtung Herkunftsland, nicht im Ausstellungsführer dargestellt wurden. Überhaupt ist der sehr handliche Ausstellungsführer einer, der die Kunstwerke in ihrer Vielfältigkeit kontextualisiert, nicht aber das mit Bedeutungen überbordernde Überbleibsel von migrantischen Geschichten und Kämpfen. Auch auf der Homepage des Projektes sind nur KünstlerInnen und Kunstprodukte aufgelistet. Somit bleibt denjenigen, die nicht nach Köln fahren konnten, kaum Möglichkeit, außerhalb von der Ausstellung etwas von dem schon erwähnten offiziellen Brief über die Anwerbung möglichst weißer Portugiesen zu erfahren. Schade deswegen, weil ein besserer Beweis als dieser Brief für den strukturellen, von oben verwaltungstechnisch verordneten Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland wird wahrlich schwer zu finden sein. Nicht so richtig klar wurde auch der Grund der Platzierung der Arbeit des berühmten Künstlers Vito Acconci unter dem Titel „Shoot“. Zumindest da soll die Frage gestellt werden, ob es wirklich genügt, ein Künstler mit so genanntem migrantischen Hintergrund zu sein, um an einer Ausstellung mit dem Titel „Projekt Migration“ teilzunehmen? Ob es genügt, dass in einer – wenigstens der Intention nach – auf die Politik gerichteten Ausstellung, jemand seine Identitätsschwierigkeit als Italiener in Amerika darstellt, um als wichtig betrachtet zu werden? Ich denke, dass in einer Ausstellung, wo es um Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse geht, die Produkte von psychologisierenden KünstlerInnen genau so wenig einen Platz haben sollen, wie diejenigen von ethnisierenden KünstlerInnen. Position beziehen für die gleichen Rechte für MigrantInnen würde unter anderem auch heißen, eine Auswahl unter den KünstlerInnen vorzunehmen, die der Vorantreibung dieser Position zuarbeitet – und gerade nicht einer kunsteigenen Aufzählung von möglichst vielen Positionen. Nur auf diese Weise wäre eine politische Verbindung von Diskursen möglich.

Fazit

Es soll hier nicht das Recht der Kunst auf das Thema Migration bestritten werden. Ich will nur eines – und zwar betonen, dass es sich dabei um kein heroisches oder emanzipatorisches Moment handelt. Wir hatten es in Köln mit einer guten, in Momenten sehr guten Ausstellung der modernen Kunst zum Thema Migration zu tun. Die Aufgabe der Kunst innerhalb solcher Ausstellungen ist eben die, vor allem sich selbst zu zeigen, nicht auf etwas zu zeigen. Und Kunst zeigte sich in der Ausstellung und im Ausstellungsführer als Kunst und nicht als Mittel zum Zweck der Veränderung der gesellschaftlichen Situation. Es entscheidet eben nicht der Blick – wie das in dem Vorwort des opulenten Katalogswerks steht – darüber, wie die MigrantInnen zu sehen sind, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse entscheiden, welche Blicke wir auf wen werfen, werfen dürfen und was es überhaupt wert ist, angeblickt zu werden. Dabei ist keineswegs der Dialog als Leitfigur der Auseinandersetzungen zu kultivieren. Es kann nur um einen permanenten Konflikt gehen, um einen Konflikt der so lange dauern wird, solange die Gesellschaft so strukturiert ist. Dieser Konflikt ist der neuralgische Moment. Wenn heutzutage politische Kunst gemacht wird, dann geht es nur um diesen einen Moment, wo die miteinander nicht kommunizierbaren Diskurse Teil der Kunstwerke werden.

Anmerkung
Die Website zur Ausstellung findet sich unter: Projekt Migration

[1]Der Titel zitiert ein internes Caritaspapier aus den 1970er Jahren in Deutschland, einem der Dokumente in der Ausstellung „Projekt Migration“

Ljubomir Bratic ist Philosoph und Publizist, lebt in Wien.

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