Warnhinweis: Künstlerische Tätigkeit kann ihre Gesundheit gefährden
Kunst und Kultur hat nachweislich gesundheitsfördernde Wirkung. Doch die gegenwärtige soziale Lage im Sektor, prekäre Arbeitsverhältnisse und nicht immer durchgehende Versicherung ist ein großes Problem für die Kunst- und Kulturschaffenden, die auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit gehen kann.
Im Jahr 2008 konstatierte die Studie „Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich“, beauftragt vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, eine beunruhigende Situation. Beim Update zehn Jahre danach, im Jahr 2018, hatten sich trotz verschiedenster Optimierungsmaßnahmen an den bestehenden Strukturen keine wesentlichen Verbesserungen etabliert. Die Studie[1] plädiert für spezifische Lösungen für Kunstschaffende zur sozialen Absicherung, für mehr ressort- und institutionsübergreifende Prozesse und für eine Einbeziehung von ExpertInnen.
KünstlerInnen als GrenzgängerInnen der Arbeit
Kunst- und Kulturschaffende arbeiten prekär, in unsicheren Verhältnissen, mit unsicheren Einkommensperspektiven und in einer mangelnden sozialen Absicherung. Das sind und waren die ernüchternden Ergebnisse der Studie aus dem Jahr 2008 und auch des Updates von 2018. Die künstlerischen Arbeitsrealitäten stoßen an die Grenzen der Sozialversicherungssysteme, wenn gleichzeitig in verschiedenen Arbeitsverhältnissen, etwa selbständig und unselbständig, gearbeitet wird. Ein Problem, das laut der Studie jede/jeden fünften Kunstschaffende/n betrifft. Eine plötzlich schwer krebserkrankte Autorin und Kulturarbeiterin etwa, die jeweils nur sieben Monate im Jahr angestellt war und viel ehrenamtliche Kulturarbeit leistete, war zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung ohne Anstellung. Ebenso ohne Krankenversicherung, ihre selbständigen Einkünfte waren zu gering, um sich selbst zu versichern und Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte sie aufgrund der Kürze ihres Anstellungsverhältnisses auch nicht. Die junge Frau organisierte – bereits unter höchsten Schmerzen leidend – noch einen Workshop und ging dabei an ihre Grenzen. Da sie die Einkünfte dringend zum Abdecken von lebensnotwendigen Kosten benötigte, riskierte die Mutter eines 13-jährigen Burschen dafür sogar ihr Leben. In prekären Arbeitsverhältnissen kann man es sich nicht leisten, krank zu sein.
In prekären Arbeitsverhältnissen kann man es sich nicht leisten, krank zu sein.
Aber auch für rein selbständig arbeitende KünstlerInnen ist es schwierig, wie das Beispiel einer freischaffenden Bildhauerin und Holzkünstlerin zeigt, die sich auch mit kunstnahen und kunstfernen Zusatzarbeiten verdingt. Eine Verletzung während ihrer künstlerischen Arbeit bedeutet einen Arbeitsausfall und keine Einkünfte für sie. Bei Kunst-Symposien, an denen sie häufig teilnimmt, wird zum Teil nur Kost und Logis bezahlt. Dort erwarte man aber auch, dass unter Stress in kürzester Zeit ein aufwändiges Kunstwerk hergestellt werden soll. Dieses wird dann – vielfach ohne Honorar für die Künstlerin – ausgestellt. Überarbeitet sie sich in dieser Zeit und verletzt sich, sind ihre Einkünfte aus den anderen Tätigkeiten, von denen sie den überwiegenden Teil des Jahres lebt, gefährdet.
1998 demonstrierten Kunst- und Kulturschaffende bereits gegen die miserable soziale Lage beim "Umzug der Maroden" auf der Ringstraße in Wien, Foto © Peter Paul Wiplinger
Absicherung im Krankheitsfall
Laut Ergebnissen der Studie sind die Einkommen Kunstschaffender aber nicht nur unregelmäßig und schwer planbar, sondern auch von geringer Höhe. Sich einen Risikopolster für den Krankheitsfall anzulegen, ist dabei selten möglich. Wenn man sich die Zahlen zu Gemüte führt: Rund die Hälfte der 1.757 Befragten muss sich mit rund 5.000 Euro netto pro Jahr durchschlagen. Die höchsten Einkommen in dieser Gruppe belaufen sich dabei aber auch nur auf 10.000 Euro pro Jahr. Rund ein Drittel ist armutsgefährdet. Während 14 % der Gesamtbevölkerung und 8 % der Erwerbstätigen zu den einkommensschwachen Haushalten zählen, muss ein Drittel der für die Studie Befragten dieser Gruppe zugerechnet werden. In der Bildenden Kunst sind es sogar 47 %, in der Kunst- und Kulturvermittlung „nur“ 24 %. Generell zeigen die Ergebnisse des Studienupdates 2018 einen unterdurchschnittlichen Lebensstandard in weiten Kreisen der Kunstschaffenden. Als eines der zentralen Verbesserungsanliegen wird adäquate Absicherung und leistbare gesundheitliche Versorgung artikuliert. Denn nur 58 % der Befragten sind durchgängig sozialversichert (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) und 36 % der Befragten weisen eine unklare sozial- versicherungsrechtliche Situation auf (etwa parallele Pfichtversicherungen als Selbständige und Unselbständige). So wird ein Krankheitsfall schnell zum Problem, etwa durch drohende Selbstbehalte.
Ist Kunstschaffen noch leistbar?
Spricht man mit VertreterInnen der künstlerischen Zunft, klingt, was sie erzählen, als wären sie Paradebeispiele neoliberaler Ich-AGs. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit reiben sie sich zwischen administrativer Arbeit, Kommunikation, PR, Marketing und vielen anderen Funktionen auf. Diese Vielfalt an Tätigkeiten und Mehrfachbeschäftigungen in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen ist eine große Belastung für die Betroffenen und dauerhafter Stress ist bekanntlich ein gesundheitlicher Risikofaktor schlechthin.
Bei jeder neuen Regie etwa steht die Filmemacherin Nina Kusturica vor der Frage: „Wie kann ich das Projekt machen, ohne auf einen Stundenlohn unter dem Mindestlohn zu kommen?“ Ein Problem, das ganz viele im künstlerischen Bereich trifft, wie sie meint. Und die Kluft zwischen hoch geförderten Kulturtankern gegenüber den Menschen, die in armen Verhältnissen arbeiten, wachse. Dazu komme, dass die Recherche und der Findungsprozess von konkreten Projektideen „absolut unbezahlt ist“. Von sich und ihren KollegInnen der Filmakademie weiß Kusturica, „dass das noch gut geht, wenn man 20 Jahre alt ist und gerade anfängt, aber wenn man Mitte 30 ist, fängt man an sich die Frage zu stellen, ob man so leben will.“ Etwas, das sich auch in der Studie zur sozialen Lage niederschlägt, wo sich zeigt, dass der Frauenanteil unter den Kunst- und Kulturschaffenden im Alter stark zurückgeht.
Ingrid Türk-Chlapek, die Intendantin des Klagenfurter Festivals „Pelzverkehr“, die im Laufe ihrer Arbeit über die Jahrzehnte im Kulturbereich schon mehrere Initiativen ins Leben gerufen hat, drückt sich drastisch aus: „In Kärnten arbeiten beinahe alle Kunstschaffenden prekär, viele verlassen das Land.“ Sie selbst hätte sich vor Jahren geschworen, sich nie mehr vor den Karren einer Kulturinitiative spannen zu lassen, das sei nur viel Arbeit, aber ohne ausreichenden finanziellen Rückhalt. Dann habe sie sich doch wieder bereit erklärt, und wenn sich ein Festival wie „Pelzverkehr“ von Jahr zu Jahr entwickelt, sei das dann doch wieder eine Freude, obwohl die finanziellen Rahmenbedingungen schwierig bleiben. Dass sie in einigen Jahren in Pension gehen und somit eine Grundversorgung beziehen kann, mildert ihre Zukunftssorgen in der Kulturbranche nun etwas. Denn „hat man einmal etwas in prekärer Arbeit verdient“, sagt sie, „ist das mit einer Apothekenrechnung schnell wieder ausgegeben.“
Das derzeitige System schließt immer mehr Nicht-ErbInnen konsequent aus Kunst- und Kultur aus, weil es für viele schlicht nicht leistbar ist, ohne massive Armuts- und damit auch Gesundheitsgefährdung langfristig in diesem Bereich tätig zu sein.
Seit 2001 gibt es einen Zuschuss des „Künstler-Sozialversicherungsfonds“ (KSVF) zu den Sozialversicherungsbeiträgen selbständiger KünstlerInnen, die bei der SVA pflichtversichert sind. Wobei die Höhe des Mindesteinkommens aus künstlerischer Tätigkeit immer noch eine Hürde für viele darstellt. Im Falle einer schweren Erkrankung etwa kann auch um einen Zuschuss aus dem Unterstützungsfonds des KSVF angesucht werden, in der Höhe von maximal 5.000 Euro pro Ansuchen.
Filmemacherin Kusturica ärgert sich, dass sich die Kulturpolitik rühmt, eine vielfältige künstlerische Szene zu haben, aber diese mit zu wenig Geld ausstattet und damit Wertschätzung vermissen lässt. „Ich frage mich, was man da dagegen tun kann?“, sagt sie, „Sagen, deswegen produziere ich nichts, ist kein Weg, aber ich glaube, dass wir das immer thematisieren müssen und nicht tabuisieren dürfen und ihnen dadurch eine Legitimation geben, weiter das Unmögliche zu verlangen.“
Veronika Krenn war zuerst langjährige Kulturarbeiterin in unterschiedlichen Funktionen, die aufgrund der Möglichkeit - als nicht der ErbInnengeneration Angehörige - dauerhaft in diesem Sektor zu arbeiten, sich sukzessive daraus verabschiedet hat. Sie ist nun seit vielen Jahren Kulturjournalistin - auch einer dieser Bereiche, wo für immer weniger Gegenwert (= angemessene Bezahlung) immer mehr gefordert wird!
Dazu eine Offenlegung der persönlichen Meinung der Autorin: Das derzeitige System schließt immer mehr Nicht-ErbInnen konsequent aus Kunst- und Kultur aus, weil es für viele schlicht nicht leistbar ist, ohne massive Armuts- und damit auch Gesundheitsgefährdung langfristig in diesem Bereich tätig zu sein.
Coverfoto: Umzug der Maroden 1998 © Peter Paul Wiplinger
1 Wetzel P., Ratzenböck V., et. al. (2018): Soziale Lage der Kunstschaffenden und Kunst und Kulturvermittler/innen in sterreich. Ein Update der Studie ‚Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in sterreich 2008‘. L&R Sozialforschung und österreichische kulturdokumentation. Studie im Auftrag des Bundeskanzleramts
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.19 „Kultur als Rezept“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
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