Der Mensch lebt nicht von Brot allein...
Kunst und Kultur können nachweislich Gesundheit und Wohlbefinden steigern. Nur leider haben nicht alle Menschen gleichermaßen Zugang dazu. Ein Plädoyer für Kunst und Kultur für alle.
Kunst und Kultur gehören zum Leben wie ein Bissen Brot. Sie inspirieren und bereichern den Alltag, öffnen neue Räume und Perspektiven und geben neue Denkanstöße. Sie können durchaus auch zu mehr Wohlbefinden beitragen, wenn bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sind, die ich in weiterer Folge näher erläutern möchte. Denn ob und wie unterschiedliche Gesellschaftsgruppen tatsächlich von der Rezeption bzw. Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur profitieren bzw. profitieren können, hängt von diversen Faktoren ab, unter anderem von der Leistbarkeit von Kunst und dem jeweiligen Setting der Partizipation.
Voraussetzung für kulturelle Teilhabe ist zunächst, dass der Zugang zu Kunst und Kultur für alle – auch für jene, die sich Kulturbesuche aufgrund ihrer prekären Einkommenssituation nicht leisten können – gewährleistet wird. Denn wer über kein monetäres „Pouvoir“ verfügt, dem bleiben die Errungenschaften von Kunst und Kultur schlichtweg verborgen.
Hier hilft seit 2003 die von Schauspielhaus Wien und der Armutskonferenz ins Leben gerufene Aktion Hunger auf Kunst und Kultur mit dem Kulturpass. Mit diesem Ausweis erhalten sozial benachteiligte Menschen freien Eintritt in zahlreiche kulturelle Einrichtungen: österreichweit, in acht Bundesländern in mittlerweile mehr als tausend Kulturbetriebe. Die Ausgabe des Kulturpasses erfolgt u. a. über karitative und soziale Einrichtungen – d. h. unmittelbar dort, wo Menschen mit ihren unterschiedlichen Problemlagen Rat suchen oder betreut werden. In diesem Rahmen nimmt der Kulturpass mitunter eine besondere Funktion ein. Denn dieser Pass kann das besondere Extra sein, da er die Möglichkeit birgt, nebst allen Sorgen, Problemen und Schwierigkeiten, in andere Welten einzutauchen, um vielleicht abzuschalten oder sich für Neues inspirieren zu lassen. Mehrfach wurde uns in diesem Zusammenhang von den Sozialarbeiter*innen erzählt, dass der Kulturpass – insbesondere bei Menschen mit psychischen und/oder Suchterkrankungen – gerne als therapeutisches Tool zur Anwendung kommt – als reale, weil kostenfreie Option, die Freizeit und den Alltag neu zu gestalten.
Soweit so gut. Doch kann durch den Kulturpass die kulturelle Teilhabe tatsächlich gewährleistet werden? Werden die Angebote von Menschen in schwierigen Lebenssituationen auch wirklich genutzt? Nein, nicht unbedingt. Denn es braucht oft mehr als diesen Pass: Es braucht einerseits persönliche Unterstützung, Assistenz und Begleitung und andererseits auf kultureller Seite Angebote, die willkommen heißen und auf die Bedürfnisse bestimmter Personengruppen eingehen und Rücksicht nehmen.
Es lag daher nahe, Ideen zu entwickeln und Maßnahmen zu setzen, um auf diese Herausforderungen eine Antwort zu finden und ein Setting zu schaffen, das dem Postulat der Partizipation auch ernsthaft gerecht werden kann.
In diesem Kontext ist 2009 unsere erfolgreiche Projektreihe „Kultur-Transfair“ entstanden, bei der Hunger auf Kunst und Kultur die Rolle der Vermittlerin zwischen Kultur- und Sozialbereich einnimmt. Seither wurden 53 Projekte zwischen Kultur- und Sozialeinrichtungen – seit 2011 mit finanzieller Unterstützung im Rahmen des MehrWERT Sponsoringprogramms der Erste Bank – durchgeführt, die alle jeweils im partnerschaftlichen Dialog zwischen Sozialarbeiter*in und Kulturvermittler*in entwickelt und umgesetzt wurden. Es ist ein respektables Reservoir an Wissen und Erfahrungen entstanden, aus dem ich im Folgenden einige Aspekte herausgreifen möchte, die durchaus als Anregungen für gelungene Kulturprojekte im zur Diskussion stehenden Kontext dienlich sein können.
Ich werde mich dabei im Wesentlichen auf die Erfahrungen und das Feedback der Teilnehmenden, der Sozialarbeiter*innen und Kunst- und Kulturvermittler*innen jener Kultur-Transfair-Projekte beziehen, bei denen die Teilnehmer*innen Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. Menschen mit Suchtproblemen waren.
Grundbedingung ist, dass Projekte dieser Art sowohl im Kultur- als auch im Sozialbereich die notwendige Zustimmung und Unterstützung der leitenden Instanzen erfahren, damit von beiden Seiten der institutionelle Rückhalt gegeben ist. Erfahrungsgemäß erfordern diese Projekte viel Zeit, persönlichen Einsatz und Engagement, um ein Setting zu schaffen, wo Begegnungen auf Augenhöhe und ein wertschätzendes Aufeinander-Zugehen und Miteinander „State of the Art“ sind. Dies ist die Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit und Voraussetzung dafür, dass Kulturhäuser ihr Potenzial, Raum für Kreativität und Gedankenaustausch zu sein, auszuschöpfen vermögen. Denn Kulturräume können in diesem Kontext eine Art „Leo“ sein, wo alle gleichwertig und in Sicherheit sind, wo sich jede/jeder entfalten darf und es kein Richtig und kein Falsch, kein Scheitern gibt. Hier darf und kann das eigene kreative Reservoir (neu) entdeckt werden, und es gibt Raum für Gedanken, Ideen und Meinungen.
Ein solcher Rahmen, in dem jede/jeder geachtet und ernst genommen wird und in dem es grundsätzlich keine negativen Erfahrungen gibt, sondern in dem alles, was entsteht, gelungen ist und seine Berechtigung hat, schafft Vertrauen und kann somit zur Stärkung des Selbstbewusstseins und zur Stabilisierung der Teilnehmenden beitragen. Das gemeinsame Tun stärkt darüber hinaus nicht nur den Zusammenhalt der Gruppe, sondern vermag auch die Aktivierung jedes/jeder Einzelnen zu fördern und die Motivation bei den Teilnehmenden zu steigern. Dabei werden sinnvolle Freizeitgestaltungsmöglichkeiten kennengelernt bzw. wiederentdeckt und der sozialen Isolation entgegengewirkt. Es ist aber vor allem die positive Erfahrung, anerkannt und als Mensch – trotz Suchterkrankung, psychischer oder körperliche Beeinträchtigung – respektiert zu werden, die bei jeder einzelnen Person Prozesse in Gang zu setzen vermag, die zu mehr Selbstwertgefühl und letztlich zu mehr Wohlbefinden führen.
Und auch auf kultureller Seite haben diese Projekte letztlich dazu beigetragen, etwaige Berührungsängste abzubauen, um die Türen zu Kunst und Kultur noch ein Stück weiter zu öffnen.
Monika Wagner ist seit 2007 Geschäftsführerin der Vereins Hunger auf Kunst und Kultur.
Fotos: Freizeit trifft Kunst © Nick Mangafas, Kultur-Transfair
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.19 „Kultur als Rezept“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter @email (5 €) bestellt werden.