5 vor 12. Es wird Zeit
<p>Italowestern und Gesundheit, psychische, physische Gesundheit und Cowboys haben auf den ersten Blick nicht nur nichts miteinander zu tun, sondern wirken wie eine willkürliche Ansammlung von Begriffen. Wir versuch(t)en den Beweis zu erbringen, dass diese sehr wohl sehr eng verknüpft sein können. Und meinen damit nicht, dass „blaue Bohnen“ ungesund für Mensch und Tier sind. </p> <p>Wir drehten einen österreichischen Italowestern in Wien, im Burgenland und in
Italowestern und Gesundheit, psychische, physische Gesundheit und Cowboys haben auf den ersten Blick nicht nur nichts miteinander zu tun, sondern wirken wie eine willkürliche Ansammlung von Begriffen. Wir versuch(t)en den Beweis zu erbringen, dass diese sehr wohl sehr eng verknüpft sein können. Und meinen damit nicht, dass „blaue Bohnen“ ungesund für Mensch und Tier sind.
Wir drehten einen österreichischen Italowestern in Wien, im Burgenland und in der Steiermark. Zunächst war „5 vor 12“ 2015 als Vier-Teiler für OKTO TV produziert und dort ausgestrahlt worden. 2019 wurde er schließlich als Einteiler auf ORF III gezeigt. Zuvor lief er in Kinos in Wien, auch bei SOHO in Ottakring und in der Steiermark.
Jim, Ben & Cooper, so heißen die Hauptdarsteller. Sie bilden die Bande, die den Zug überfällt, in dem der Sheriff Weber und der Marshall sitzen. Die Fahrgäste werden ausgeraubt und auch dem Marshall wird die Uhr geklaut. Es ist 5 vor 12! Verdammt! Und dann kommt es, wie es kommen muss: Sheriff Weber und Gangster Jim stehen sich am Ende in einem Duell gegenüber. Mit klassischen, sehr langen Einstellungen. Man ist trotz der schlichten Handlung gefesselt, kann kaum wegsehen – und muss immer wieder lachen.
Menschen mit Behinderung kommen medial selten bis gar nicht vor, wenn, dann zumeist in der Rolle von AußenseiterInnen oder Bedürftigen.
Die Hauptrollen sind ausschließlich mit Menschen mit Lernbehinderung, Downsyndrom bzw. Trisomie 21 u. a., und Menschen mit körperlicher Behinderung besetzt. Da ich selbst schon lange mit Menschen mit Behinderungen arbeite, lag es nahe, dass diese Personengruppe in meinem Western die Hauptrollen besetzt. Die Nebenrollen spielen Alf Poier, Hubsi Kramar und Stefano Bernardin. Ansonsten ist der einzige hauptberufliche Schauspieler Florian Jung als Gangster Jim, alle anderen sind LaiendarstellerInnen. Eine wichtige beabsichtigte Begleiterscheinung bei der Idee zu dieser Produktion war, Menschen mit (Lern-) Behinderung en passant in einem humorvollen und beliebten Genre sicht- und hörbar zu machen. Menschen mit Behinderung kommen medial selten bis gar nicht vor, wenn, dann zumeist in der Rolle von AußenseiterInnen oder Bedürftigen. In gängigen Rollen oder in der Moderation sieht und hört man sie nicht.
Eines der großen Vorbilder aus meiner Jugend – „Spiel mir das Lied vom Tod“ – weckte neben dem Winnetou-Konsum in sehr jungen Jahren den Wunsch, irgendwann selbst einen Western zu drehen. Das Drehbuch war recht flott geschrieben. Es orientierte sich an den Drehorten, die wir nutzen konnten und zahlreichen Kindheitserinnerungen. So startete die Arbeit am Western – mit eigenem (kindlichem) Interesse und einer Begeisterung, die von allen, die ich zur Mitarbeit gewinnen konnte, geteilt wurde.
Die Dialoge waren so angelegt, dass sie während der Dreharbeiten verändert und der jeweiligen Person und ihrer Kompetenz angepasst werden konnten. Auch die Technik am Set wurde so gestaltet, dass schnell reagiert und umgebaut werden konnte. Wir drehten unter anderem in der Westernstadt Lucky Town im Burgenland. Dies war ideal, weil so bei allen Beteiligten schnell Westernfeeling aufkommen konnte. Die SchauspielerInnen waren von dem Moment an, als sie in ihr Kostüm schlüpften, wie verwandelt. Ich merkte dies meist erst abends, wenn sie in ihrem Normalmodus locker vor sich hinblödelten. Dies taten sie tagsüber beim Dreh weniger, da waren sie hochkonzentriert und passten gut auf. Sie fragten nach, taten, was gefordert wurde, und auch mit den Wiederholungen kamen sie erstaunlich gut klar.
Einmal kam der Aufnahmeleiter Armin Faymann zu mir gelaufen und meinte, er vermute, man müsse mit einer Schauspielerin sofort drehen, sie wirke etwas angespannt. Und tatsächlich hatte er richtig vermutet. Ich kannte sie schon länger und wusste aus Erfahrung, wie sehr sie die Fassung verlieren konnte. Schnell organisierten wir einen Dreh, in dem sie mich erschießen sollte. Das tat sie mit großer Freude und Genugtuung. Wir brauchten diese Szene nicht und es blieb auch nicht die Zeit, mich zu schminken oder zu kostümieren. Aber das irritierte sie nicht im Geringsten, sie freute sich sehr darauf, den „Ernst zu erschießen“. Die gute Laune war wieder da und wir verwendeten die Szene schließlich für den Trailer.
Bevor wir zu drehen begannen, übten wir die Szenen und das wurde auch schon mitgefilmt. Die beiden Kameramänner, Kurt Van der Vloedt und Ernst Spiessberger, hatten den Auftrag, nicht immer auf die „Klappe“ zu warten und zeitgleich zu filmen. Durch die zwei Kameras hatten wir zumindest zwei Einstellungsgrößen bzw. -perspektiven, um auf alle Fälle schneiden zu können, wenn mal nur ein Durchspielen einer Szene möglich war. So ist „5 vor 12“ eine Mischung aus Spiel lm und Dokumentar lm geworden.
Die Realisierung und die Produktion wurde vor allem durch Georg Lindner (oktolab GmbH / OKTO TV) möglich, der mich bei den Anträgen für die Finanzierung unterstützte. OKTO bzw. oktoLab GmbH war der Co-Produzent neben MENSCHEN & MEDIEN. Der Fernsehfonds Austria RTR (Fonds für nichtkommerzielles Fernsehen) finanzierte zum großen Teil die Produktion, neben vielen Eigenleistungen – von SchauspielerInnen, von FreundInnen und ihren Autos über KollegInnen bis hin zu Julia Krasser und ihrem Team aus Deutschlandsberg / Stmk. (Werkstätte für Menschen mit Behinderungen) der Mosaik GmbH. Ohne diese Hilfe wäre es nicht möglich gewesen, diesen Western umzusetzen.
Ob die Arbeit für die SchauspielerInnen zu ihrer psychischen Gesundheit beigetragen hat? Auf jeden Fall hat sie Selbstbewusstsein und Spaß gebracht! Das wäre auch für Menschen ohne (Lern-)Behinderung so: Du stehst im Mittelpunkt. Du wirst umsorgt, von der Stylistin bis hin zu den Kameraleuten. Du bekommst ein Kostüm und einen schweren Revolver in die Hand. Es ist aufregend, bei einem Filmset, bei der Filmarbeit dabei zu sein. Du musst dir Text merken und du sagst Texte, die vielleicht nicht hochintelligent sind, aber durchaus einem (Italowestern) Cowboy oder Indianer würdig erscheinen. Und du bist auf der Kinoleinwand oder auf dem Fernsehbildschirm zu sehen! Ich behaupte, dass die Arbeit als SchauspielerIn bei einer Italowestern Hommage in Österreich sehr förderlich ist für die Gesundheit. Wobei man im Zweifel wohl lieber Arzt oder Apotheker fragen sollte, beziehungsweise Ärztin oder Apothekerin.
Übrigens: zu sehen ist der „5 vor 12“ – Vier-Teiler in der OKTO-thek und der Einteiler nun auch auf YouTube. 5 vor 12. Es wird Zeit.
Ernst Tradinik arbeitet mit MENSCHEN & MEDIEN als Betreuer von Menschen mit (Lern-)Behinderung/en im Wohnbereich, als Trainer mit Jugendlichen und Erwachsenen im AMS-Kontext sowie als Redakteur und Filmemacher. In der inklusiven Medienarbeit verbindet er diese Bereiche, u. a. für OKTO TV und als externer Lektor der FH St. Pölten.
Fotos: Dreharbeiten zu "5 vor 12" © Delphine Esmann
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.19 „Kultur als Rezept“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
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