„Wir sind gegen AUSLÄNDER_theater“

„Ich heiße Süleyman! Und das ist mein Migrationshintergrund. – Gelme lan, gelmesene oğlum! Lan oğlum bıraksana yakamı, sümük gibi yapış tın, bırak lan yakamı! Ich bin Österreicher!“

„Ich heiße Süleyman! Und das ist mein Migrationshintergrund. – Gelme lan, gelmesene oğlum! Lan oğlum bıraksana yakamı, sümük gibi yapış tın, bırak lan yakamı! Ich bin Österreicher!“

Selbstdefinition und Fremdzuschreibungen
Bei diesen Worten von Süleyman in der aktuellen daskunst-Produktion Politik mich doch am Arsch taucht im Hintergrund die türkische Flagge auf der Leinwand auf, die ihn zuerst verfolgt und immer kleiner wird bei seinem Schimpfen – die Szene rief regelmäßig Szenenapplaus hervor. Genau wie die Figur Süleyman verfolgt uns selbst dieser Migrationshintergrund – sowohl das Ensemble als auch die einzelnen Mitglieder. „Etwas klebt immer an mir“, sagt Aslı Kışlal, die künstlerische Leiterin von daskunst.

Die vierjährige Konzeptförderung bekam daskunst in der interkulturellen Schublade, dauernd werden Beschreibungen wie „Migrantentheater“, „Asli und ihre Türken“ etc. für uns verwendet. Und auf solche – gut gemeinten – Besprechungen wie im Falter können wir sowieso verzichten: „Weil es sich bei daskunst um eine ‚multinationale Gruppe für Tanz, Film, Musik und alles andere‘ handelt, stehen dabei in erster Linie Laien mit Migrationshintergrund auf der Bühne. Das merkt man zwar, ist aber sehr in Ordnung.“ (Wurmdobler: Falter 45/06, S. 67) Infolge wurden unsere Produktionen auf der Online-Seite wie im Theater-Überblicksteil der Printausgabe sowieso mit „die Laientheatergruppe mit Migrationshintergrund daskunst“ angekündigt.

Erstaunlich wie stark diese Einordnungssucht in die türkische-fremde-Laien-Schublade wirkt. Wir wehren uns gegen diese Begrifflichkeit, obwohl es manchmal einfacher wäre, der Einordnungssucht nachzugeben: Für eine bmukk-Förderung der Abteilung 7 für „interkulturelle Aktivitäten“ – die wir erfreulicherweise zugesprochen bekamen – mussten wir ein ausgeschrieben „interkulturelles“ Programm einreichen; für den Interkultpreis gaben wir uns auch Mühe, Begriffe wie „MigrantInnen“ und „interkulturelle Kommunikation“ hervorzuholen. Und beim Ablehnungsbrief der Förderung des Europäischen Integrationsfonds lasen wir unter anderem die Begründung, dass wir zu wenig dargelegt hätten, was unser Projekt zum „Interkulturellen Dialog“ beiträgt. Mist, wir haben zu sehr von Menschen statt von Ausländern und Inländern gesprochen, wenn man sich unsere Einreichungsunterlagen anschaut. Es ist ein schwieriger Spagat der Begrifflichkeit, aber wir wollen uns nicht in „Die Kunst“ umtaufen.

Unser Selbstverständnis unterscheidet sich massiv von diesen Zuschreibungen – aber wer sieht sich selbst schon gerne als AusländerIn oder MigrantIn, FremdeR oder als etwas zu Integrierendes, obwohl beispielsweise in Wien geboren?
Wir sind eine v. a. von der Stadt Wien geförderte Theatergruppe, die seit 2005 besteht, aus dem damaligen Jugendverein ECHO hervorgegangen und so heterogen zusammengesetzt ist, wie wir die Wiener Wohnbevölkerung wahrnehmen mit ihren 44% KurzzeitösterreicherInnen – ein Begriff, der von der Autorin Seher Cakır geprägt wurde. Unüblich für die freie Theaterszene Wiens ist, dass die meisten Mitglieder des großen Teams, das kollektiv organisiert ist, schon seit Jahren kontinuierlich im Ensemble mitarbeiten, wobei auch ständig neue dazukommen. Wir bestehen aus einigen Menschen, die in Österreich, Deutschland, der Türkei, England, dem Kongo, Griechenland, Finnland, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Serbien, Kroatien … geboren sind. Aber das macht uns nicht zu einer interkulturellen Truppe, denn was heißt dieser Begriff? In der Theatertheorie wurde er auf Arbeiten von Peter Brook, Ariane Mnouchkine, Ong Keng Sen etc. angewandt – aus klar getrennten, weit räumlich auseinander liegenden Kultur- und Zeiträumen wurden v. a. rituelle Elemente gemixt und mit Sprech- und Illusionstheater zusammen gebracht. Und arbeiten ein Franzose und eine Deutsche gemeinsam, dann ist es ein internationales Projekt – also steckt auch noch eine Wertung in Sachen Fremdheit im Begriff des Interkulturellen?

Die Arbeitsweise von daskunst
Wir verarbeiten weder originäres türkisches Schattentheater in unseren Produktionen, noch sprechen wir auf der Bühne Serbisch für ein rein Serbisch verstehendes Publikum. Geprägt von unseren eigenen Sehgewohnheiten und der eines Großteils unseres Publikums arbeitet daskunst in seinen Produktionen immer mit viel Videoeinsatz und mit Tempo. Außerdem wollen wir entgegen so mancher Trends im zeitgenössischen Theater nicht auf die Kraft des Geschichten-Erzählens verzichten. In den Erzählungen von 1001 Nacht besiegt das Geschichten-Erzählen den Tod: Der König kann Scheherazade an keinem Morgen den Kopf abschlagen, weil sie am Ende der Nacht immer am spannendsten Teil der Erzählung angekommen ist und schlussendlich wird ihr Gnade zuteil. Für daskunst ist es wichtig, politisches Theater zu präsentieren, das an Menschen und ihren Erlebnissen interessiert ist. Nicht woher jemand kommt, ist für uns interessant, das verflüchtigt sich, sondern die mit den Wegen verbundenen Geschichten. Von selbstbewussten Charakteren werden die Figuren mehr oder weniger verkörpert, um unserem Publikum auch Identifikationsmöglichkeiten zu bieten. Das Ganze wird mit einem ordentlichen Schuss Humor versetzt, denn die Verhältnisse und sich selbst zu ernst zu nehmen, bringt selten Fruchtbares hervor.

Die Arbeiten von daskunst bestehen nicht aus sprachfixiertem Texttheater – wir freuen uns, wenn Menschen, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind, unsere Produktionen trotzdem zu einem großen Teil verstehen. Wir arbeiten mit Videos, Humor, Tempo und Unterhaltung zwischen Leichtigkeit und einer Message. Die Gradwanderung, dass wir Publikum vom Professor der Theaterwissenschaft bis zur Kebab-Verkäuferin, die leider oft abends arbeiten muss, ansprechen, beschäftigt uns bei jeder unserer Produktionen – aber der Publikumszuspruch lässt uns auf jeden Fall weiter arbeiten, denn wir sind absolut publikumsfixiert.
Und wir verstehen uns als Ausbildungsstätte für junge Menschen, die sich vielleicht zur Kunst hingezogen fühlen, aber vom strengen Aufnahmeverfahren an österreichischen Schauspielschulen oder Regieakademien abgeschreckt werden. Hier entsteht eine Subkultur, die bald immer mehr herausragende Produkte produzieren wird, weil die jungen Menschen ihr Selbstbewusstsein nicht verloren haben, was zu sagen haben und sich nicht den Mund von Gleichmacherei und Assimilation verbieten lassen wollen.

Was ist uns denn wirklich fremd?
Auch inhaltlich dreht es sich bei den Produktionen von daskunst nicht nur um das Thema Migration, Fremd-Sein etc. In der ersten Produktion Dirty Dishes, die in Kooperation mit dem Jugendverein ECHO entstand, nützt ein fieser Pizzeria-Besitzer seine ArbeiterInnen aus, weil diese alle keine Arbeitserlaubnis in Österreich besitzen, bis sie zu rebellieren beginnen. No Man’s Land zeigt die Absurdität von Krieg, in dem Fall des Bosnienkrieges, wobei die UNO hilflos daneben steht und CNN die Wirklichkeit verdreht. Kultur mich doch am Arsch spielte sich mit der Verrücktheit von Normalität in Form einer Revuenummernshow. Experiment Mensch thematisierte das Böse im Menschen in Form einer Gefängnissituation, die den Wärtern zu viel Macht verleiht, was in einer Katastrophe endet. Während der Fußball-EM 2008 verhandelten wir Nationalismus und Männlichkeitsideale in Kultoour!. Die Produktion Warum das Kind in der Polenta kocht erzählt in der teils autobiographischen Geschichte von Aglaja Veteranyi von einer rumänischen Zirkusfamilie, die durch Europa tourt und deren Heimat der Geruch des Essens der Mutter im Wohnwagen ist. Die sehr poetische Sprache der Romanvorlage rief große Diskussionen im Team von daskunst hervor, für wen wir diese Produktion machen und ob wir eventuell Publikum damit verlieren würden. Denn dieser Text enthält viele kleine Mehrwertbausteine, wenn man der deutschen Sprache sehr gut mächtig ist und die Sprachspielereien der Autorin versteht, die sich mit 18 Jahren das Sprechen in der deutschen Sprache und das Schreiben überhaupt erst beigebracht hat. Aber die Produktion wurde von unserem Publikum angenommen. Also wandten wir uns gleich dem Thema Kommunikation zwischen den verschiedenen Sprachen zu: I call U tomorrow spielte sich im Internet ab, Menschen verstanden sich, ohne die gleiche Sprache zu sprechen und andere Menschen verstanden sich nicht, obwohl sie die gleiche Sprache sprachen, aber Argumente einer rechten oder eben linken Politik verwendeten. In der aktuellen Produktion Politik mich doch am Arsch wundern sich die Zwillinge Edmund und Edwin, die aus einer psychiatrischen Anstalt in die angebliche sozialisierte Welt entlassen wurden und darin integriert werden sollen, abermals über so manche Normalität.

Gleichheit oder Quotensystem
Im Team von daskunst gibt es kein Quotensystem und keine positive Diskriminierung von Menschen mit so genanntem Migrationshintergrund, sondern wir orientieren uns an einem Gleichheitsideal, wofür aber in vielen gesellschaftlichen Bereichen noch nicht die Grundvoraussetzungen und Rahmenbedingungen vorhanden sind. Deshalb bleibt als eine Forderung bestehen, dass sich die großen Institutionen u. a. der Kulturszene schnellstens der heterogenen Bevölkerung in Österreich öffnen müssen – das Burgtheater, der ORF, das Reinhardt Seminar etc. –, damit sich die öffentliche Repräsentation und der Mainstream der Wirklichkeit annähern.

Denn die Entwicklung in Österreich geht zu langsam vor sich. Ist es nicht selbstverständlich, dass sich alle Menschen, die hier länger leben, wohl fühlen können, demokratische Rechte besitzen und nicht nur Steuern zahlen? Österreich ist eben ein langsames Land, aber wir sind alle dafür verantwortlich, etwas zu verändern bzw. haben die Möglichkeit dazu. Die gesellschaftliche Zusammensetzung in Österreich – wie in anderen Ländern – hat sich in den letzten Jahrzehnten im Gegensatz zur offiziellen Repräsentation Österreichs rapide verändert. Denn mit kulturellen Schubladisierungen haben nicht nur wir zu kämpfen. Wahrscheinlich werden sich diese Zuschreibungen erst auflösen, wenn sich die Teilung der österreichischen Bevölkerung zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und ÖsterreicherInnen, zwischen „Wir“ und „Sie“ aus den Köpfen und der Wirklichkeitswahrnehmung so vieler Menschen verabschiedet hat. Diese Auflösung und Verwirrung ist eine der Hauptaufgaben unserer Generationen. Vielleicht löst sich vorher noch das Denken in Nationalstaaten auf.

daskunst

Carolin Vikoler ist Ensemblemitglied von daskunst, Theaterwissenschafterin und Mitarbeiterin der IG Freie Theaterarbeit.

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